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10 / 1 / 2023

„In einer lauten Zeit ist die Stille das Spektakuläre“

Der Holzbildhauer Stefan Schindler wechselte von der krachenden Axt zur surrenden Kettensäge

Zwischen herumliegenden Baumstämmen, Hügeln von Sägespänen und mehr oder weniger bearbeiteten Werkstücken gibt es ein Wiedersehen mit Stefan Schindler. Von Anfang August bis Ende Oktober 2019 hatte der Nürnberger Holzbildhauer das Museumsfoyer, den Schlosshof und vor allem den Schlossgarten des Museums Tucherschloss mit 18 seiner Skulpturen unter dem Titel „Zwischen den Welten“ bespielt. Heute kann man ihn in seinem Atelier am Hummelsteiner Weg antreffen oder auf dem Gelände der Akademie der Bildenden Künste an der Bingstraße, wo der 41-Jährige jungen Nachwuchskünstlerinnen und -künstlern den Umgang mit Axt, Säge und Schnitzeisen beibringt.

Der Bildhauerplatz auf dem Gelände der Akademie der Bildenden Künste.

Einige seiner anthropomorphen Figuren in Überlänge, stets mit kleinen Köpfen und teils mit wunderlichen Kopfbedeckungen, stehen auf dem überdachten Bildhauerplatz der Akademie und erinnern an seine erste Einzel- und erste Open-Air-Ausstellung im Außenbereich des Tucherschlosses. „Ich habe viel gelernt dabei über Statik und Sicherheit – wichtig für das Aufstellen im öffentlichen Raum“, sagt Stefan Schindler. Nachhaltig dankbar ist er über den Bekanntheitsgrad, den die Präsentation ihm bescherte. Immer noch kommen neue Kunden, die sich auf die Werkschau beziehen. Sehr willkommen war auch die Förderung durch den städtischen Ankauf der beiden „Melek“-Skulpturen, die seither die Blicke der Schlosshofbesucher in die beiden Arkaden an der Fassade des Tucherschlosses ziehen. Nicht zuletzt lenkte die Ausstellung wohl auch die Aufmerksamkeit der NN-Kunstpreis-Jury auf den Künstler, dem das Gremium 2020 den 1. Preis zuerkannte.

Mit der großen Kettensäge bringt Stefan Schindler das Werkstück grob in Form.

1981 geboren in Ansbach und aufgewachsen im mittelfränkischen Bechhofen an der Heide – „mitten im Wald“ –, lag die Beschäftigung mit Bäumen und ihrem Holz nahe. Die „Suche nach einer inneren Heimat“ und der Wille, etwas Eigenes zu schaffen, führten Stefan Schindler zur Kunst. Seinen ersten Werkstoff lieferte 2002 bis 2005 während der Ausbildung zum Holzbildhauer in Oberammergau die Linde. „Ihr Holz war mir jedoch zu charakterlos, es schmiegt sich so an“, befand Schindler und wandte sich der „kraftvollen“ Eiche zu: „Ihr Holz hat seinen eigenen Willen. Und es hilft mir. Wenn mir was wegbricht und ich erst fluche, sagt es mir: ‚Aber schau doch mal hin, es ist doch gut!‘“ Seit seinem 2011 abgeschlossenem Studium der Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg sowie an der Akademie der Schönen Künste in Krakau arbeitet Schindler freischaffend mit Faible für das harte Holz. „Eiche platzt so schön weg“, beschreibt er die bis 2020 ausgelebte Phase, in der er mit Äxten ein aggressives Brechen von Oberflächen, einen „kontrollierten Kontrollverlust“ bevorzugte. Seine neueren Arbeiten formt er aus den Baumstämmen, die er etwa vom nahegelegenen Tiergarten erhält, nicht mehr mit der lauten Axt, sondern mit der kleinen, akkubetriebenen und vergleichsweise leisen Kettensäge. „In einer lauten Zeit ist die Stille das Spektakuläre“, meint er.

Der Künstler mit einer aktuellen Arbeit: Aus dem Haupt der Figur ragen „Antennen für geistiges Gut“.

Seit 2011 ist Schindler Lehrbeauftragter an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. Die Lehrtätigkeit bedeutet ihm viel. „Man gibt sich nach außen. Und je älter ich werde, desto besser werde ich, weil ich mehr Erfahrung und Sicherheit habe.“ Seinen 15 Studierenden im Wintersemester 2022/23 versucht er den Weg zur Holzbildhauerei zu ebnen. Allerdings findet er, dass diese Kunst in der Stadt, die Veit Stoß und Adam Kraft hervorgebracht hatte, recht stiefmütterlich behandelt wird. „Es gibt keine feste Bildhauerwerkstatt an der Akademie. Der Fokus liegt auf Digitalisierung.“ Nötig sei heute ein Schritt zurück, zur Einfachheit, und da könne sein Metier vorbildlich sein: „Ein Holzbildhauer kann mit wenigen Werkzeugen seinen Beruf ausüben. Einen Schnitzbock, Klüpfel und Schnitzeisen, Äxte, Kettensägen und Holz – mehr braucht es nicht.“ Allerdings stehen dem Künstler allein 60 verschiedene Schnitzeisen zur Verfügung, um feinste Details an seinen Figuren herauszuarbeiten.

Mit der kleinen Kettensäge entstehen die anthropomorphen Züge der Skulptur.

Warum seine Arbeiten nie rein abstrakt sind, sondern immer menschlichen Figuren ähneln, erklärt er so: „Durch die Gesichter baue ich eine Identifikationsbeziehung mit dem Betrachter auf.“ Doch nicht um die Anatomie seiner androgynen Wesen geht es Stefan Schindler, sondern um „etwas Seelisches“. Das Sensorische verkörpern auch seine gerade entstehenden Skulpturen. „Ich arbeite an einem neuen Volk, das noch Antennen für geistiges Gut hat.“ Weil den Menschen das spirituelle Bewusstsein abhandengekommen sei, imitiert er den beim Baumfällen entstehenden „Waldbart“, der an einer Seite des Stammes als fransiges Faserbüschel stehen bleibt. Wie Sinnesorgane wachsen die Büschel aus der Schädeldecke der Figuren, die sitzend oder kniend dargestellt sind. „Ich sehe meine Figuren als eine Art Andachtsbild, als ausatmenden Moment, als Anregung zum Innehalten.“ Eine Gegenreaktion zu unserer hektischen Zeit sei das.

Blick in den Bildhauer-Werkraum in der Akademie der Bildenden Künste.

Wie das auf ein breiteres Publikum wirkt, kann Stefan Schindler bald wieder erkunden: Zu sehen sein wird sein „neues Volk“ von 14. Mai bis 15. Oktober 2023 in einer Gemeinschaftsausstellung mit weiteren Künstlerinnen und Künstlern im Stadtgebiet von Heilsbronn.

Ein Blogbeitrag über Stefan Schindler anläßlich seiner Ausstellung im Museum Tucherschloss
Mann mit Axt

 

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