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28 / 4 / 2022

Der Kosmos der Michaela Biet

Die Nürnberger Bildhauerin stellt großformatige Skulpturen im Garten des Tucherschlosses aus

Ihre Arbeiten verbinden wuchtige Materialien und filigrane Strukturen, sie nehmen die Natur zum Vorbild – und wirken organisch in sie hinein. Michaela Biets kolossale Skulpturen aus Stein und Eisen sind unter dem Titel „Kosmos“ vom 28. April bis 3. Oktober 2022 im Garten des Tucherschlosses ausgestellt und geben schönsten Anlass, zu fragen: Wie entsteht ein solches Kunstwerk?

1. Die Idee

Am Anfang, natürlich, steht die Idee. Mit der „geöffneten Form“ spielt Michaela Biet, die aus Augsburg stammt und von 1980 bis 1985 an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg studiert hat, schon viele Jahre. Ein Stein, der in zwei Hälften zerfällt, offenbart ein überraschendes Inneres – oft mit Anklang an Pflanzen oder andere natürliche Strukturen. Unbedingt sollte eine solche „geöffnete Form“ die Werkschau mit rund einem Dutzend Skulpturen im Garten des Tucherschlosses bereichern.

2. Die Suche

Doch die Arbeiten, die die Bildhauerin in ihrem Atelier in der Brettergartenstraße schon fertig hatte, waren allesamt „viel zu klein“. Außerdem, das war der ausdrückliche Wunsch von Museumsleiterin und Kuratorin Ulrike Berninger, sollten auch Kunstwerke entstehen, die sich auf den jahrhundertealten Renaissance-Garten beziehen und in Dialog mit der Anlage treten. „Ich habe also einen kugeligen oder eiförmigen Findling gesucht“, sagt Michaela Biet. Gar nicht so einfach: Denn die Anfrage kam im Winter und der Steinbruch, von dem sie ihre Steine bezieht, hat bis März geschlossen. Aber ein Gartenbaubetrieb offerierte ein schönes Exemplar, das mit 900 Kilo auch noch das richtige Gewicht – massiv, aber noch transportabel – auf die Waage brachte.

3. Die Spaltung

Eine „geöffnete Form“ besitzt zwei Hälften. Die erste Frage für die Künstlerin ist deshalb, wie sie den Stein spaltet. „Ich schaue ihn von allen Seiten an und finde eine Linie, die ich anzeichne“, berichtet sie. Dann folgt körperliche Schwerarbeit: In den Granit bohrt sie mit einem Bohrhammer mehrere tiefe Löcher. Sieben an der Zahl für die aktuelle Arbeit. In die Löcher werden Metallkeile gesetzt, die Michaela Biet mit einem schweren Hammer immer tiefer hineintreibt. Sie lauscht nach jedem Schlag: „Wenn der Stein knirscht, gibt er nach – es ist eine feine Naht zu sehen. Dann warte ich ab, bis er mit einem tiefen Knacken auseinanderfällt.“ Ist alles gutgelaufen, folgt der Bruch der angezeichneten Linie und die Bruchfläche ist eben. Aber es ist auch schon passiert, dass Steine in viele Teile zersprangen und unbrauchbar wurden.

Noch deutlich zu sehen an dem geöffneten Findling sind die Spuren der Metallkeile. Foto: Birgit Hohenstein

4. Das Außen des Inneren

Der Findling für den Tucherschlossgarten teilte sich vorbildhaft. In ihrer Werkstatt hat sich Michaela Biet die erste Hälfte vorgenommen: Das Innere, so ihre Idee, sollte an eine Wolke erinnern. Für die Außenform – die Höhlung im Stein – hat sie zunächst eine Papierschablone gefertigt und sie so lange über die Bruchfläche geschoben, bis der „richtige“ Stelle gefunden war. Nun die Kontur anzeichnen – und loslegen. Den extrem harten Granit bearbeitet Michaela Biet mit einer Flex mit Diamantscheibe, wenn die Form ausgebildet ist, wird diese mit Korundsteinen und Schmirgelpapier geschliffen.

5. Die zweite Hälfte

Geschafft! Doch wie gelingt es der Bildhauerin, dass die andere Hälfte des Steines deckungsgleich wird? Michaela Biet verwendet transparente Folie, auf der sie die äußere Kontur und die innere Form der ersten Hälfte anzeichnet und auf die zweite Hälfte überträgt. Es folgen: Erneut viele Stunden flexen, schleifen, schmirgeln.

6. Der eiserne Kern

Der Kern der geöffneten Form für den Schlossgarten besteht aus einer Eisenskulptur, die im nächsten Schritt entstanden ist. Dazu hat Michaela Biet Ton in beide Aussparungen gedrückt und die tönernen Hälften zum Kern zusammengefügt. Für den Abguss einer Eisenplastik eignet sich Ton jedoch nicht. Also hat die Bildhauerin die Form abgenommen, das entstandene Negativ dann mit Gips ausgegossen – und schließlich die Vorlage für den Kern in den Händen gehalten.

Eisenskulptur „Wolke“, entstanden aus dem Kern der geöffneten Form. Foto: Michaela Biet

7. Der Guss

Das Gipsmodell haben die Kunstgießer der Eisengießerei Kronach zunächst in Gusssand gebettet, der aushärtet und – nachdem das Gipsmodell entfernt wurde – mit flüssigem Metall gefüllt worden ist. 60 Kilo passten in den wolkenförmigen Kern. Ein ideales Material, sagt Biet. Denn beim Erkalten hat Eisen hat nur ein Prozent Schwund. Kaum merklich für die Betrachter ihrer Arbeiten. Hätte sie eine passgenaue Form gewollt oder gebraucht, hätte sie zuerst den Kern gefertigt – und dann die äußere Form angepasst.

8. Die Oberfläche

Die vollplastische Skulptur hat – nach Entfernen der Gussform – eine silbrige Oberfläche. Doch Michaela Biet will, dass ihre Eisen-Arbeiten ein natürliches Aussehen annehmen: Sie rosten! Die Künstlerin beschleunigt die Oxidation schlicht durch Begießen mit Wasser.

Aufstellen der Eisenskulptur „Portrait 2020“ unter Einsatz eines Portalkrans. Foto: Ulrike Berninger

9. Der Transport

Den Kern könnten zwei kräftige Männer mit der Hand in den Kofferraum heben. Aber die beiden Hälften der Granit-Skulptur? Ausgeschlossen. Und außerdem gibt es ein Dutzend weitere Skulpturen, die Michaela Biets „Kosmos“ im Tucherschloss präsentiert. Also hat die Künstlerin den Transport vom Atelier in den Garten generalstabmäßig geplant: Ein Steinmetz verlud zusammen mit einem Helfer die Kunstwerke auf einen Lkw, bugsierte sie vor Ort auf einem Bildhauerwagen mit Hub-Funktion durch die schmale Pforte in den Schlossgarten.

Zuvor hatte Michaela Biet die Skulpturen schon auf Paletten gehievt. Unerwartetes kann immer passieren. „Beim Aufpumpen des Transportwagens ist uns gleich ein Reifen geplatzt“, berichtet sie. Die nächste Schwierigkeit: Im Garten gibt es mehrere Terrassen, Höhenunterschiede mussten überwunden werden. Auf-und ausgerichtet wurden die Skulpturen dann mit Hilfe eines Portalkranes.

Die Bildhauerin Michaela Biet in ihrem Atelier. Bildnachweis: Achim Weinberg

10. Die Ausstellung

Präsentiert wird die „geöffnete Form“, als wäre sie eben auseinandergefallen. Zwischen beiden Hälften der eiserne Kern – ganz wie beim natürlichen Vorbild und doch mit gewolltem ästhetischen Impetus. Mit ihren kraftvollen Skulpturen, schwärmt Ulrike Berninger, thematisiere Michaela Biet „zeitlose Grundformen des Lebens und zeigt elementare Facetten des Kosmos in teils starker Vergrößerung. Auf diese Weise gestaltet sie „Form-Ideen“, die den Betrachtenden weite Spielräume für eigene Interpretationen und ganz unterschiedliche Phantasien eröffnen. Symbolhaft verweist sie vom begrenzten skulpturalen Objekt auf den unbegrenzten „Kosmos der Gedanken.“

Informationen zur Ausstellung „Kosmos. Skulpturen von Michaela Biet“

Im Rahmen des Angebots „Schlossgarten für Alle!“ ist der Renaissancegarten bis Ende September 2022 jeden Dienstag und Mittwoch von 10 bis 19 Uhr geöffnet und kann kostenlos besucht werden. Inklusive des „Kosmos“.
Informationen zur Öffnung des Schlossgartens

 

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