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30 / 8 / 2021

Zeitkapsel 1977.

Der Bahnhofsbunker in Nürnberg

Im Geschichtsunterricht finden Schüler die Ära des Kalten Krieges oft langweilig – eine Zeit vergleichsweise ereignisloser Starre, während der wie ein Damoklesschwert die Bedrohung „Dritter Weltkrieg“ über der Menschheit hing, der wohl nur deshalb nie stattfand, weil keiner daraus Gewinne hätte ziehen können. Allen war klar: Wer zuerst schießt, stirbt als Zweiter.

Als 1962 die Sowjets auf Kuba Atomraketen stationieren wollten, stand die Welt einem atomaren Schlagabtausch sehr nahe. Die sowjetische Führung unterschätzte offenbar die Entschlossenheit des noch recht jungen US-Präsidenten J.F. Kennedy und beschloss, Atomraketen auf Kuba zu stationieren. Doch Kennedy reagierte unnachgiebig und präsentierte sich während des Konfliktverlaufs vor Millionen von Fernsehzuschauern als entschlossener Führer der westlichen Welt. Später bilanzierte sein Verteidigungsminister Robert McNamara: „Wir haben uns in die Augen geschaut, und der andere hat geblinzelt.“

Nach dieser Krise begann die Bundesregierung, A-B-C-Bunker für die Bevölkerung zu errichten, die ab 2005 allesamt aufgelöst wurden. Dank des Einsatzes des Fördervereins Nürnberger Felsengänge e.V. ist der Bahnhofsbunker nicht entkernt und beseitigt worden. Noch heute kann man sich dort ein Bild davon machen, auf welch eine Katastrophe man sich damals vorzubereiten versuchte. Der Gründer des Fördervereins Nürnberger Felsengänge e.V., Walter Herppich, war in den 60er und 70er Jahren für die zivilen Luftschutzanlagen der Stadt Nürnberg zuständig. Später berichtete er, wie belastend es damals für ihn war, sich bei der Planung der Luftschutzbunker in die Szenerie eines atomaren Schlagabtausches hineinzudenken. Das hat ihm viele schlaflose Nächte bereitet.

Riesige Aktivkohlefilter sollten die Luft reinigen, die ins Bunkerinnere geführt werden sollte. Bildnachweis: Oliver Schmidtgen

Der Bahnhofsbunker wurde nicht entkernt und beseitigt

Heute können Schüler und Schülerinnen oder auch andere Neugierige den Bahnhofsbunker erleben, wie er 1977 fertig gestellt worden war. Vierzehn Tage Aufenthalt für 2448 Personen, jeden Tag sechzehn Stunden sitzen und acht Stunden liegen, zwischendurch hätte man Essen gefasst oder wäre zu den Waschräumen geschickt worden. Jede Person hätte einen halben Quadratmeter Platz für sich gehabt. So sollte man zwei Wochen beieinander hausen. Nach vierzehn Tagen wäre der Treibstoff für das Notstromaggregat aufgebraucht gewesen und man hätte kein Licht mehr gehabt, keine Luftzufuhr und kein Wasser. Dann hätten alle hinausgemusst – egal, was da oben los ist, ganz gleich, wie hoch die Strahlungsbelastung noch gewesen wäre …

Einem direkten Treffer einer Atombombe hätte der Bunker ohnehin nicht standgehalten. In diesem Falle wären alle Insassen sofort ums Leben gekommen. Und bei einem Atomkrieg aus Versehen, wie ihn Nena in ihrem Lied „99 Luftballons“ besungen hat, hätte der Bunker auch nichts gebracht, denn es hätte dann zu viel Zeit gekostet, ihn noch rechtzeitig hochzufahren. Vor allem am 26. September 1983 ist die Welt nur knapp an einer solchen Katastrophe vorbeigeschrammt, nachdem durch einen Satelliten des sowjetischen Frühwarnsystems ein Fehlalarm ausgelöst worden war. Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow hieß der verantwortliche Offizier, der den kühlen Kopf bewahrte und eine Menschheitskatastrophe nie da gewesenen Ausmaßes verhinderte.

Sie kennen das Lied von Nena, aber wenn man heutige Schüler_innen nach dem Text und dessen Bedeutung fragt, kommt bei nahezu allen Ratlosigkeit auf. Die jüngste Geschichte im Unterricht oder auch museal zu beackern, ist in allen Zeiten eine eher zähe Angelegenheit, weil auch viele direkt Beteiligte noch am Leben sind und Konflikte aus diesen Zeiten noch nachschwelen. Um so vorteilhafter ist es, Anschauungsmaterial zu haben, welches beeindruckt und widerspiegelt, in welcher Gefahr man sich befunden hat.

Auch der A-B-C-Bunker in der Krebsgasse ist noch erhalten. Hier die Eingangsschleuse. Bildnachweis: Jonathan Danko-Kielkowski

Um den Bahnhofsbunker regelmäßig für Führungen öffnen zu dürfen, bedarf es wegen des Brandschutzes noch einiger Umbauten. Als sich der Förderverein Nürnberger Felsengänge e.V. ab 2009 darum zu bemühen begann, die Anlage für einen Führungsbetrieb zu ertüchtigen, mussten zuerst zwischen Deutscher Bahn und der Stadt Nürnberg die Eigentumsverhältnisse geklärt werden. Diese Klärung entwickelte sich zu einem längeren Verfahren, welches der Förderverein mit viel Öffentlichkeitsarbeit und bundesweiter Unterstützung seitens der Presse letztendlich erfolgreich vorantrieb. Nun kann es in die Phase der Bau- und Finanzierungsplanung gehen. Bislang dürfen nur ausnahmsweise Führungen nach Einholung von Sondergenehmigungen in dem Bunker gehalten werden.

Es macht Mut, dass immer wieder Anfragen kommen und die Sondergenehmigungen von der Stadt umstandslos erlassen werden. Aber es bereitet Sorge, dass die Weltlage sich in Ansätzen wieder zurück entwickelt zu einer Konfrontation zwischen großen Supermächten mit dem Potential zur Vernichtung der gesamten Menschheit.

Informationen zum Förderverein Nürnberger Felsengänge e.V.


Ralf Arnold ist Gästeführer und 1. Vorsitzender des Fördervereins Nürnberger Felsengänge.

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