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19 / 3 / 2024

Die hohe Kunst des Brückenbauens

Das Kettenstegmodell aus dem Museum Industriekultur

Es ist vermutlich einer der pittoreskesten Orte in der westlichen Nürnberger Altstadt – der Kettensteg, die eiserne Hängebrücke vor der alten Fronveste beim Hallertor. Die 68 Meter lange Fußgängerbrücke, die über zwei Pegnitzarme führt, wurde im Jahr 1824 vom Nürnberger Maschinenbauingenieur und Professor Conrad Georg Kuppler geplant und erbaut. Der Kettensteg ist ohne Zweifel eine kleine Sensation in der Geschichte des Brückenbaus. Denn die Fußgängerbrücke ist nicht nur die älteste noch erhaltene eiserne Hängebrücke Deutschlands, sondern auch gesamt Kontinentaleuropas.

Vom Bau der ersten eisernen Hängebrücke für Fußgänger

Conrad Georg Kupplers Idee bei der Planung war es, eine Pegnitzinsel als Basis für den mittleren Stützpfeiler der Brücke zu verwenden. So entstand eine zweigeteilte Hängebrücke, die sich aus zwei Kettenbögen zusammensetzte. Die Eisenketten hielten den Fußgängersteg und waren fest verbunden mit drei Pylonen aus Eichenholz.

Nach nur drei Monaten Bauzeit wurde die Brücke am 30. Dezember 1824 eröffnet. Dies war vor allem Kupplers akribischer Planung zu verdanken, aber auch auf die Tatsache zurückzuführen, dass die wichtigsten Bauteile bereits vorgefertigt und geprüft waren. Obwohl sich die Baukosten letzten Endes auf 3620 Gulden verdoppelten, war die Eröffnung des Nürnberger Kettenstegs ein Erfolg. Das Bauwerk galt bei seiner Eröffnung im 19. Jahrhundert als äußerst innovativ und wurde in Reiseführern als besonderes Highlight in Nürnberg angepriesen.

Da es vor 200 Jahren weder ein reales Vorbild einer solchen eisernen Hängebrücke noch eine wissenschaftlich belastbare Theorie zur Stabilität von Hängebrücken gab, studierte der Pragmatiker Kuppler die auftretenden physikalischen Kräfte wohl an einem Modell. Ein drei Meter langes, exakt ausgearbeitet Kettenstegmodell aus Holz mit Drahtketten aus dem Jahr 1824 diente ihm neben Konstruktionsplänen aus vorwiegend englischen Technik-Journalen für die Planung der neuartigen Hängebrücke. Am Modell probierte er unter anderem auch die Größenverhältnisse für den Bau aus.

Historische Aufnahme des Kettenstegmodells. Bildnachweis: Museum Industriekultur

Kupplers Kettenstegmodell?

In der Sammlung des Museums Industriekultur befindet sich seit Ende der 1980er-Jahre solch ein detailliertes Kettenstegmodell. Die Überlieferung sagt, dass es sich hierbei um Kupplers selbst gebautes Experimentierstück aus dem Jahr 1824 handelt. Tatsächlich befand sich dieses Modell bis Ende der 1980er-Jahre an der Technischen Hochschule – Georg Simon Ohm, der vormals „Polytechnischen Schule“, an der Kuppler lehrte und forschte.

Die Hochschule stellte dem Museum Industriekultur dieses historische und detailliert ausgearbeitete Kettenstegmodel als Leihgabe für die damals neue Dauerausstellung zur Verfügung. Die Historiker Franz Sonnenberger und Ernst Deuerlein gehen mit großer Wahrscheinlichkeit davon aus, dass es sich um Kupplers Modell handelt, da besonders die Konstruktion der Kettenglieder am Modell große Ähnlichkeit mit Kupplers Arbeiten aufweise. Damit wäre es eines der ältesten Exponate des Museums Industriekultur.

Das Kettenstegmodell in der Ausstellung des Museums Industriekultur. Bildnachweis: Museum Industriekultur, Fotograf: Uwe Niklas

Vergleicht man das Modell mit der fertigen Brückenkonstruktion, fallen auch ein paar Unterschiede auf. Zum einen ist nur die Hälfte der Hängebrücke dargestellt. Die mittleren Stützpfeiler fehlen. Zum anderen experimentierte Kuppler an seinem Modell noch mit einem Brückenbogen, entschied sich dann aber bei der richtigen Brücke für einen flachen Steg, der von Kettenseilen gehalten wird. Wahrscheinlich sollte sich die Last der beiden Brückenbögen ausgleichen und die Konstruktion so an Stabilität gewinnen.

Was Kuppler nicht an seinem Modell austestete, war die Auswirkung von großer Hitze und die damit verbundene Dehnung der Metallketten. Die brachte nämlich die reale Brücke nach dem Bau so ins Schwanken, dass das Fahren von Schubkarren, das Gehen im Gleichschritt, Schaukeln und Springen auf dem Kettensteg verboten wurden.

Das Kettenstegmodell im Depot. Bildnachweis: Museum Industriekultur, Foto: Simon Schütz

Der Miniaturkettensteg wandert ins Depot

Bis zur Schließung des Museums Industriekultur wegen Sanierungsarbeiten im November 2023 war das Kettenstegmodell in der Dauerausstellung zu sehen und wurde im Untergeschoss am Anfang der Museumsstraße präsentiert. Ob Kupplers Original oder nicht: Die Miniaturhängebrücke ist auf jeden Fall ein wunderbares Beispiel für die beginnende Industrialisierung in Nürnberg und soll daher auch in der neu überarbeiteten Dauerausstellung wieder gezeigt werden.

Der Kettensteg ist auch heute noch ein touristischer Anziehungspunkt. Foto: Uwe Niklas

Doch nun wurde das Modell im Januar 2024 erstmal gut verpackt und geschützt ins Depot umgezogen, wo es bis zur Wiedereröffnung des Museums im Jahr 2026 gelagert wird. Wenn sich dann die Türen des Museums Industriekultur öffnen, kann es von Besucherinnen und Besuchern aufs Neue bewundert werden. Wer davor schon das Meisterwerk der Brückenbaukunst im Original bestaunen will, dem sei ein kleiner Spaziergang über den mittlerweile mehrfach sanierten Kettensteg empfohlen.


Jana Schmid ist Diplom-Kulturwissenschaftlerin und Mitarbeiterin für Audience Development am Museum Industriekultur. Nach beruflichen Stationen an Museen in Frankfurt am Main, Mannheim und Fürth, arbeitet sie seit Anfang 2024 für die Städtischen Museen in Nürnberg.

Quellen:
Franz Sonnenberger: Der Brückenbauer – Conrad Georg Kuppler, Röttenbach 2017.
BauLust. Initiative für Architektur und Öffentlichkeit e. V (Herausgeber), Der Kettensteg schwingt!, Nürnberg 2011. Siehe PDF-Datei unter www.baulust.de

Titelbild: Radierung, Blick von Osten auf den Kettensteg mit dahinterliegender Fronveste, ca. 1830. Bildnachweis: Stadtarchiv Nürnberg, Signatur E 13/II Nr. 471

 

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