Museenblog Nürnberg

Neueste Beiträge

Kategorien

9 / 4 / 2020

Harte Arbeit

Wie entstand das riesige Labyrinth der Nürnberger Bier- und Weinkeller?

Stellen Sie sich vor, Sie müssen in der Finsternis unter Tage arbeiten. Bevor es morgens hell wird, steigen sie in die Unterwelt hinab, und wenn man sie wieder herauslässt, ist es draußen bereits erneut dunkel. Über Monate bekommen Sie nur an Sonn- und Feiertagen die Sonne zu sehen, falls sie denn überhaupt scheint, denn es ist Winter. Dabei sind Sie erst gerade einmal zwölf Jahre alt und Steinmetzlehrling. Sie sind noch zart gebaut und haben weiche Kinderhände. Doch nun müssen Sie den ganzen Winter über von morgens bis abends mit Hammer und Meißel Keller in den Fels hauen und Ihnen ist klar, dass Sie auch an jedem weiteren Wintertag ihres Lebens da unten im Untergrund hacken müssen, bis sie zu alt und gebrechlich geworden sind für diese Arbeit.

Sobald die Witterung den Betrieb oberirdischer Baustellen wieder zulässt, werden Sie unter freiem Himmel Häuser bauen oder die Stadtmauer verstärken, denn die Steinmetzen liefern fertig geschnittene Steinblöcke und vermauern diese zum Teil auch gleich. Doch in Frostzeiten gibt es eben an Stelle von Schlecht-Wetter-Geld nur die Arbeit im Untergrund. Fast 500 Jahre lang werden über die Wintermonate aus dem Burgberg Unmengen von Sandstein herausgeschlagen und nach oben befördert – Jahr für Jahr weiter und weiter, mehr und mehr Kelleranlagen. Irgendwann werden es 25.000 m² sein – fast alle nur für die Lagerung von Bier und Wein …

25.000 Quadratmeter! Die Fläche von Nürnbergs Wein- und Bierkellern

25.000 Quadratmeter entsprechen der Fläche von knapp vier Fußballfeldern (vorgeschriebene Länderspielgröße). Dort in den Kellern ist es das ganze Jahr über relativ kühl. Wir wissen heute, dass am 11. November 1380 eine Verordnung in Nürnberg erlassen worden war, nach der Bierbrauer und Weinhändler verpflichtet waren, Keller von einer Größe von mindestens ca. 15 Quadratmetern anzulegen (Satzungsbuch V/D der „Freien Reichsstadt Nürnberg“). Diese Verordnung markiert den Beginn der uns bekannten Geschichte dieser alten Kelleranlagen. In Nürnberg wurden diese Keller in Handarbeit noch bis ins späte 19. Jahrhundert gegraben. Weil in der Zeit der Industrialisierung von 1835 an die Einwohnerzahl Nürnbergs gewaltig wuchs, wurden immer mehr Keller gebraucht. Vor allem in den 1860er und 1870er Jahren gab es noch einmal einen großen Grabeboom. In dieser Zeit beantragten sogar Hausbesitzer, die selbst gar keine Bierbrauer waren, aber solche alten Keller zu ihrem Anwesen zählten, bei den Behörden Erweiterungen ihrer Keller, weil es wohl ein einträgliches Geschäft gewesen zu sein schien, Bierkeller an Brauereien zu vermieten oder zu verpachten – so hoch war der Bedarf nach den kühlen Räumen. Auch außerhalb der Altstadt wurden in dieser Zeit zwei größere Kelleranlagen an der heutigen Bayreuther Straße und an der Ecke Bucherstraße/Arndtstraße geschaffen.

Teile der Kelleranlagen unter dem Paniersplatz befanden sich im 19. Jh. im Besitz der Tucher-Bräu. Bildnachweis: Jonathan Danko Kielkowski

In Städten, deren Untergrund Kellergrabungen zuließen, sind sehr häufig weitläufige Bier- oder Weinkeller gegraben worden. Dies ist nicht nur in Nürnberg so geschehen, sondern beispielsweise auch in Bamberg, in Bayreuth, in Gera, in Lauf, Schwandorf und vielen anderen Orten.

Walter Herppich erwähnt in seinem Buch „Das unterirdische Nürnberg“ einen Vorfall, als Steinmetze sich bei den Behörden beschwerten, dass ein Bierbrauer namens Friedrich Kunst, wohnhaft in der Hirschelgasse „ohne Zuziehung eines Steinhauermeisters, lediglich von Handlangern, einen Keller graben“ lässt. Die Polizei ließ die Steinmetze wissen, dass, solange alles vorschriftsmäßig gebaut sei und keine Mauerarbeiten dabei vorkommen, auch Handlanger allein das Graben eines Felsenkellers durchführen dürften.

Zuflucht im Krieg: Bierkeller werden zu Bunkern

Während des Zweiten Weltkrieges wurden die Keller als Luftschutzräume genutzt und die meisten Zeitzeugen, die während der Bombardierungen dort unten Zuflucht fanden, berichten, dass sie sich dort sicher gefühlt hätten. Offenbar vertrauten damals die Leute den alten Kellern. Der tiefste von allen Bierkellern ist übrigens heute Teil der Nürnberger Museenlandschaft. Der „Historische Kunstbunker“, in Kriegszeiten eine städtische Kunstbergungsanlage, die in einem der Bierkeller installiert war, ragt bis direkt unter den Palast der Kaiserburg und liegt in diesem Bereich ca. 24 Meter unter der Oberfläche. Wie alle anderen Bierkeller, hat auch diese Anlage dem Bombenhagel standgehalten, und viele wertvolle Kulturgüter konnten dadurch gerettet werden.

Notstromaggregat aus den 40er Jahren im „Historischen Kunstbunker“. Bildnachweis: Uwe Kabelitz

Die Stabilität der Bierkeller

Lediglich ein Kellereinsturz in mehr als sechshundert Jahren ist uns überliefert: Abraham Stauffer besaß einen Bierkeller im nordöstlichen Teil der Altstadt. Im Januar 1870 schloss er einen Vertrag über die Erweiterung eines Felsenkellers und erhielt die Genehmigung von den Behörden. Bereits im September desselben Jahres schlugen jedoch die Baubehörden Alarm. Mehrere Gewölbe der Stauffer‘schen Felsenkeller waren eingestürzt. Dies nahm man zum Anlass, alle anderen Keller genau zu inspizieren. Im Rahmen dieser Kontrollen wurden in den 1870er Jahren an vielen Stellen Reparaturarbeiten angeordnet, und es wurden Geldstrafen verhängt wegen unerlaubter Veränderungen der Keller oder wegen Nichterfüllung der angeordneten Reparaturarbeiten.

Nach der Erfindung der Kühlmaschine durch Carl von Linde wurden die Keller bald nicht mehr gebraucht. Bildnachweis: Jonathan Danko Kielkowski

Im Falle Abraham Stauffer gab es nach dem Einsturz auch in den folgenden Jahren noch jede Menge Schwierigkeiten. Nach dem Einsturz im September 1870 wurden weitere Gefahrenbereiche entdeckt. Die Nachbarn beschwerten sich und wurden wohl zunehmend nervös. Der Magistrat beschloss am 23.01.1871: „Eine umfassende Ertüchtigung muss vorgenommen werden.“ In den folgenden Monaten fand ein reger Schriftverkehr statt, der als sehr dringend behandelt wurde. 1874 beschwerte sich seinerseits der Bierbrauer Abraham Stauffer wegen der vielen Kontrollen und Auflagen. Daraufhin geht die königliche Bayrische Staatsanwaltschaft gegen Stauffer vor. Offensichtlich war Stauffer über mehrere Jahre ein Dauerproblem für die Behörden. 1887 wurde die Brauerei dann an einen Herrn Wörlein verkauft.

Heute überwacht das Bergamt Nordbayern in Kooperation mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und dem Hochbauamt der Stadt Nürnberg die Stabilität der Keller. Und wir werden (hoffentlich) keine Probleme dieser Art mehr erleben müssen.

Informationen zum Förderverein Nürnberger Felsengänge e.V.
Informationen zum Historischen Kunstbunker


Ralf Arnold ist Gästeführer und 1. Vorsitzender des Fördervereins Nürnberger Felsengänge.

Schreibe einen Kommentar
Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit einem * markiert.

*

*