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6 / 10 / 2017

Wenn Du mal richtig Druck machen willst …!

… mit Fingerhut geht’s leichter!

Die Fingerhutsammlung Irmgard von Traitteur im Bestand der Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg

Jeder, der schon einmal von Hand genäht hat, eine Nadel durch dicken Stoff oder Leder drücken musste, wird früher oder später etwas zur Hilfe genommen haben, das die Finger vor Verletzungen durch das spitze Nadelöhr schützt – im Idealfall einen Fingerhut!

Schon seit Mitte der 1990er Jahre wird im Stadtmuseum zum Handwerk des „Fingerhüters“ – wie der handwerkliche Hersteller des Fingerhutes genannt wird – ein Nürnberger Fingerhut aus dem 16. Jahrhundert präsentiert. Bei dem Objekt handelt es sich um ein Geschenk der Fingerhut-Sammlerin Irmgard Edle von Traitteur – bei dem Hut quasi um einen „Vorhut“, denn nun, nach über zwanzig Jahren, folgt dem einen Exponat die ganze Sammlung!

Was hat der Fingerhut mit Nürnberg zu tun?

Warum eine ganze Fingerhutsammlung im Nürnberger Stadtmuseum?

Nürnberg galt lange als Hauptproduktionsort für Fingerhüte. Zwischen dem 14. und dem 18. Jahrhundert wurden hier Millionen davon produziert und in alle Welt exportiert. Durch die Verbesserung der Legierung gelang es den Nürnbergern um 1530, ein Messing herzustellen, das – zu Blech geschlagen – die nötige Elastizität aufwies, um es kalt in eine Form treiben zu können. Eine extreme Verbesserung gegenüber der bisherigen Gussmethode, bei der drei Gewerke nötig waren, um den Fingerhut fertigzustellen. Durch die neue Technik, das sogenannte „Tiefziehen“, war es dem Fingerhüter möglich, Fingerhüte von Grund auf alleine herzustellen. Es war also gelungen, mit geringem Aufwand und daher deutlich schneller als bisher produzieren zu können – ein enormer Vorteil, der es den Nürnbergern für über 200 Jahre erlaubte, in der Fingerhutherstellung quasi konkurrenzlos zu sein!

Jost Amman: Der Fingerhuter, Holzschnitt aus: „Eygentliche Beschreibung aller Stände auff Erden..“, Frankfurt am Main 1568 (Ausschnitt).

Durch eine Anfrage aus Österreich wurden wir auf eine Ungenauigkeit in unserer bisherigen Darstellung aufmerksam gemacht Um das Betriebsgeheimnis zu schützen, waren die Fingerhüter 1537 zu einem „gesperrten Handwerk“ geworden. Trotzdem gelang es Agenten der Kaiserin Maria Theresia, 1763 hiesige Fingerhutmeister abzuwerben und sie aus der Stadt zu schmuggeln. Die Nürnberger Fachleute gründeten schließlich in Österreich, in der Nadelburg bei Lichtenwörth, eine eigene Fingerhutherstellung. Mit dem Ende des 18. Jahrhunderts ging auch das Handwerk der Fingerhüter in Nürnberg zu Ende.
Um das Betriebsgeheimnis zu schützen, waren die Fingerhüter 1537 zu einem „gesperrten Handwerk“ erklärt geworden. Den Angehörigen des Handwerks war dadurch das Reisen und der Austausch mit auswärtigen Kollegen untersagt. Diese Reglementierung unterband allerdings auch die Einführung von Neuerungen. Während die Nürnberger Fingerhüter weiter an ihren traditionellen Fertigungstechniken festhielten, erwuchs ihnen nach und nach Konkurrenz im Rheinland und den Niederlanden. Unter Mithilfe angeworbener Aachener und Nürnberger Fachleute war im 18. Jahrhundert auch in Lichtenwörth bei Wien eine Produktionsstätte für Nadeln, Fingerhüte und Knöpfe gegründet worden, die sogenannte „Nadelburg“. Gegen Ende des Jahrhunderts verlor die Produktion von Fingerhüten in Nürnberg immer mehr an Bedeutung und wurde in der Folgezeit schließlich eingestellt.

Die Sammlung Traitteur

Knapp 200 Nürnberger Fingerhüte umfasst die Sammlung Traitteur. Darunter sind sowohl Exemplare aus dem 14. und 15. Jahrhundert, die noch nach dem alten Verfahren gegossen wurden, als auch zahlreiche Stücke des 16. und 17. Jahrhunderts, die im Tiefziehverfahren produziert wurden. Sie lassen sich häufig durch eingeschlagene Meistermarken als Nürnberger Stücke erkennen. Eine Besonderheit unter den frühen Nürnberger Stücken ist ein Fingerhut aus Silber, zu dem kaum Vergleichsstücke bekannt sind.

Der seltene Nürnberger Silber-Fingerhut aus dem 16. Jahrhundert. Foto: Martin Ammon

Abgesehen davon, dass also Fingerhüte ganz eindeutig ein „Nürnberger Thema“ sind und damit ins Stadtmuseum gehören, ist es auch die Sammlerin selbst, denn bei ihrer Sammlung handelt es sich um das Lebenswerk einer gebürtigen Nürnbergerin, das das Stadtmuseum zukünftig ausstellen wird.

Die Sammlerin

Irmgard von Traitteur ist 1926 in Nürnberg geboren und besuchte hier das Mädchen-Realgymnasium, das sie mit dem Abitur abschloss. Schon als Kind hatte sie Freude am Basteln und Handarbeiten. So brachte ihr der Vater die Arbeit mit Holz – unter anderem das Schnitzen – bei, von der Mutter erlernte sie die Arbeit mit Textilien, so auch das Nähen.

Anfang der 1950er Jahre, nach dem Tod Ihres ersten Ehemannes, wurde ihr das schneiderische Talent zur Grundlage ihrer Existenz. Die junge Witwe eröffnete in Nürnberg ein Atelier für Kindermode, mit dem sie für sich und ihre Tochter den Lebensunterhalt verdiente. 1961 verheiratete sie sich mit dem Forchheimer Oberbürgermeister Karlheinz von Traitteur. Über ihn fand sie ihren Weg in die Politik und war schließlich von 1982 bis 1990 Mitglied des Bayerischen Landtags.

Die offizielle Übergabe der Fingerhutsammlung fand im Stadtmuseum im Fembo-Haus statt (v.l.n.r.: Prof. Julia Lehner, Irmgard Edle von Traitteur, Ludwig Sichelstiel). Bildnachweis: Klaus Trutzel

Erste Fundstücke in Mexiko

Während einer Mexiko-Reise im Jahr 1975 erwarb Irmgard von Traitteur zwei silberne Fingerhüte, die den Grundstock für die Sammlung bildeten! Mit der ihr eigenen  Begeisterungsfähigkeit und Wissbegier, den Dingen auf den Grund zu gehen – all das strahlt auch noch der heute 91jährigen aus den Augen – arbeitete sich die Sammlerin in das Thema Fingerhüte ein. Irmgard von Traitteur interessiert sich zwar hauptsächlich für den Gebrauchsfingerhut, trotzdem ließ sie auch die zahlreichen Fingerhutvarianten, die eher schmückende Zwecke erfüllen, nicht außen vor – alle Aspekte des Fingerhuts liegen im Fokus der Sammlerin!

Nailguards – chinesische Fingernagelschützer der Sammlung von Traitteur, im Hintergrund ein S/w-Porträt der chinesischen „Kaiserinwitwe“ Cixi (1835-1908) mit ebensolchen Nailguards.

Außer den bereits erwähnten Nürnberger Fingerhüten umfasst die Sammlung Exemplare aus verschiedensten Epochen und Weltteilen. Das älteste Stück ist ein römischer Nadelstoßer aus dem 2. Jahrhundert nach Christus, weitere ähnlich frühe Stücke sind römischen, byzantinischen, maurischen und sassanidischen Ursprungs.

Der kleinste Fingerhut wurde aus Elfenbein für eine Puppe produziert und ist kaum 5mm hoch. Das größte Exemplar, eigentlich ein kleiner Becher, zum Genuss von „Hochprozentigem“ gedacht, trägt die verharmlosende Aufschrift „Just a Thimble full“, also „nur einen Fingerhut voll“ und misst über 5 Zentimeter in der Höhe!

Der größte Fingerhut der Sammlung mit der Beschriftung „Just a thimble full“ (nur einen Fingerhut voll) ist scherzhaft als Becher für Hochprozentiges gedacht, daneben ein Puppenfingerhut aus Elfenbein. Foto: Martin Ammon

Zu der Sammlung gehören Fingerhüte aus allen nur denkbaren Materialen, von „A“ wie Alabaster über „G“ wie Gold und „K“ wie Kristall, bis hin zu „Z“ wie Zinn, auch Fingerhüte, die speziellen Zwecken dienten, unter anderem Patentfingerhüte, Reklame- und Propagandafingerhüte. Außerdem gibt es „Erinnerungsfingerhüte“, die als Souvenir zu besonderen Anlässen hergestellt wurden, so auch der, der 1937 anlässlich der Krönung des englischen Königs Georg VI. verkauft wurde, oder der, der an den Fall der Berliner Mauer im Oktober 1989 erinnert. Die Sammlung Traitteur umfasst außerdem verschiedenes historisches Nähzubehör, Nadeln, Nadelkissen und -behältnisse, Besonderheiten und Kuriositäten. Aber auch, und das ist besonders wichtig, eine stattliche Anzahl an Bänden bedeutender Fachliteratur!

Entsprechend liebevoll und gewissenhaft hat Irmgard von Traitteur Ihre Exponate in fünfzehn Sammlungskatalogen festgehalten. Jedes einzelne Objekt hat sie darin sehr gekonnt mit einer meist farbigen Zeichnung porträtiert und diese mit wichtigen Angaben zu Herkunft und Erwerbsumständen versehen.

6 Seiten aus einem der 15 Sammlungskataloge, die „Porträts“ der Objekte lassen das Sammlerglück erahnen, das beim Abbilden der Neuerwerbung empfunden wurde.

Übergabe an die Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg

In über 30 Jahren ist die Sammlung inzwischen auf rund 2070 Exemplare angewachsen. Dabei merkt man ihr an, dass ihre Schöpferin sehr viel Liebe und Begeisterung in ihre Kollektion gesteckt, aber auch viel Freude daraus zurückgewonnen hat! So ist es verständlich, dass es Irmgard von Traitteur eine Herzensangelegenheit war, ihre Sammlung als Ganzes zu erhalten. Nachdem bereits vor einigen Jahren erste Vorgespräche mit der Stadt Nürnberg stattgefunden haben, war es am 26. September 2017 soweit, Irmgard von Traitteur übergab offiziell Ihre Sammlung an ihre Vaterstadt. Die Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg haben den „Schatz“ dankbar und mit großer Freude entgegengenommen.

Anhand der Sammlung Traitteur lässt sich ein bedeutendes Stück städtischer Kulturgeschichte darstellen und dank ihrer internationalen Prägung bietet die Sammlung beste Voraussetzungen, dass zukünftig auch frischgebackene Nürnberger etwas aus ihrer alten Heimat im Stadtmuseum entdecken können!

Die Sammlung wird ab Mitte 2020 im Stadtmuseum im Fembo-Haus in einer eigenen Ausstellungseinheit dauerhaft präsentiert werden und Hintergrundinformationen zum Thema „Fingerhüte“ sowie zu einzelnen Exponaten sollen zukünftig über eine moderne Multimediastation abgerufen werden können.


Bildnachweis (so nicht anders angegeben): Museen der Stadt Nürnberg, Kunstsammlungen

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