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20 / 2 / 2024

Justizmord im Auftrag Napoleons

Die Hinrichtung des Verlegers Palm

Im Sommer 1806 verleitet die Verbreitung der antifranzösischen Schrift „Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung“ Napoleon dazu, ein Exempel zu statuieren: Auf Befehl des Kaisers wird der Nürnberger Verleger und Buchhändler Johann Philipp Palm verhaftet, verschleppt und erschossen.

Am 26. August 1806 trat im französisch besetzten Grenzort Braunau am Inn ein Nürnberger vor ein Erschießungskommando: Johann Philipp Palm, Inhaber der Stein’schen Buchhandlung. Zuvor war im Juni 1806 ein Büchlein verbreitet worden, das Napoleon der rücksichtslosen Gier nach Land und Titeln beschuldigte, die französischen Soldaten „Wölfe in Menschengestalt“ nannte und mehrfach die „tiefe Erniedrigung“ betonte, die jeder patriotische Deutsche empfinden müsse.

Holzstich von Joseph Weiser „Abführung des Johann Philipp Palm“, abgedruckt in Die Gartenlaube. Illustriertes Familienblatt, 1896.

So polemisch diese Abrechnung war, sie fußte doch auf Tatsachen: Die maßgeblich aus Napoleons Machtinteressen resultierenden politischen Umwälzungen jener Zeit in Deutschland waren enorm, bedeuteten für Hunderttausende den plötzlichen Wechsel der Landeshoheit und bürdeten den besetzten Gebieten hohe Belastungen auf. Auch Nürnberg musste im Sommer 1806 rechtswidrige Einquartierungen französischer Regimenter hinnehmen.

Obwohl in dieser Zeit zahlreiche Pamphlete gegen die Besatzung im Umlauf waren, erregte die Kritik des anonymen Verfassers des Büchleins in Paris ganz besonders die Gemüter. Napoleon berief eigens eine Kommission zur Klärung des Sachverhalts. Aufgefallen war die Schrift den Franzosen erstmals in Augsburg, doch rasch wurde die Stein’sche Buchhandlung in Nürnberg als Ausgangsort identifiziert.

Originalexemplar der Schrift „Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung“, N.N., 1806.

Palm hielt sich in München auf, als sein Haus in Nürnberg durchsucht wurde. Nach seiner Rückkehr bat er das reichsstädtische Vormundamt um eine Untersuchung zum Beweis seiner Unschuld. Als dieses sich für nicht zuständig erklärte und er von der Verhaftung eines Augsburger Buchhändlers erfuhr, tauchte er bei seinem Onkel im preußischen Erlangen unter. Nach der heimlichen Rückkehr zu seiner Familie nach Nürnberg wurde er entdeckt und verhaftet.

Über Ansbach und München wurde Palm nach Braunau verschleppt, in einem Schauprozess von einem Militärgericht abgeurteilt und tags darauf hingerichtet. Als Verleger, nicht aber Verfasser der Flugschrift schien Palm bis zur Verkündung des Urteils mit einem Freispruch gerechnet zu haben. Die Identität des wahren Autors gab er nicht preis (sie ließ sich bis heute trotz etlicher Theorien nie zweifelsfrei klären). Was er nicht ahnen konnte: Bereits Anfang August hatte Napoleon befohlen, an allen an der Verbreitung der Schrift Beteiligten ein Exempel mittels Exekution zu statuieren.

Postkarte zum 100. Todestag „Wohn- und Geschäftshaus von Johann Philipp Palm in der Winklerstraße 29“ (heute Konditorei Neef) in Nürnberg, 1906.

Nürnbergs Ohnmacht im Fall Palm lässt sich mit dem besonderen Status der Stadt im Sommer 1806 erklären: Als Reichsstadt, die jahrhundertelang direkt dem Kaiser unterstand, befand sie sich nach Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (am 6. August 1806) in einer Existenzkrise und juristischen Grauzone. Zugleich genossen Presse und Verlegertum trotz Verbotsauflagen des Rates gewisse Freiheiten, während in weiten Teilen Deutschlands strenge Zensur herrschte. Napoleon selbst soll sich in einem Schreiben überspitzt empört haben, dass alle Pamphlete, die in Deutschland Verbreitung fänden, aus Nürnberg kämen.

Der Justizmord an Palm (er blieb der einzige in diesem „Fall“ Hingerichtete) führte zu einem Aufschrei in ganz Deutschland. Insbesondere von Studenten und Literaten wurde Palm zum deutschen Patrioten erkoren, auf Veranstaltungen, in Gedichten und Theaterstücken gefeiert. Sein ungeplantes Märtyrertum diente als Vorbild in den folgenden Befreiungskriegen. In der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sollte sein Opfer im Sinne der deutsch-französischen Erbfeindschaft propagandistisch ausgeschlachtet werden.

Johann Philipp Palm, Ölminiatur seiner Enkelin Klara Palm, Abdruck mit Palms Unterschrift in Martin Riegel, 1938.

Heute befindet sich eine Gedenktafel an der Stelle von Palms einstigem Wohn- und Geschäftshaus. Es stand schräg unterhalb der Sebalduskirche (Winklerstraße 29) und wurde bei einem Luftangriff 1945 zerstört und nicht wiederaufgebaut. Im Stadtteil St. Johannis wurde der Verleger mit dem Palmplatz gewürdigt.

Am Freitag, 8. März 2024, findet um 17.30 Uhr im Museum |22|20|18| Kühnertsgasse eine Lesung mit Tim Sünderhauf statt
www.altstadtfreunde-nuernberg.de


Dieser Artikel des Historikers, Journalisten und Stadtrundgangsleiters Tim Sünderhauf ist ein Auszug aus dem Buch „Nürnberg. 55 Meilensteine der Geschichte“, erschienen 2023 im Sutton Verlag Erfurt, ISBN 9783963034367. Wir danken dem Autor (sowie dem Co-Autor Thilo Bayer) und dem Verlag für die Genehmigung zur Veröffentlichung.
Wir danken der Palm-Stiftung für das Bildmaterial
Palm-Stiftung e.V., Schorndorf


 

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