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3 / 3 / 2016

Sah der Saal 600 damals eigentlich genauso aus wie heute?

Der Schwurgerichtssaal ist der größte von rund 60 Verhandlungssälen im Justizgebäude Nürnberg. Er hat eine Fläche von 240 Quadratmetern, wurde jedoch in Vorbereitung des Militärgerichtshofs ab August 1945 erweitert.

Ausstattung von 1916 ist heute noch da

Links vor dem Zuschauerbereich befindet sich der von grünen Marmorsäulen und einem Haupt der Medusa eingerahmte Haupteingang zum Saal. Er gehört wie die beiden aufwändig geschmückten Türen an der Stirnseite des Raums zu der originalen Ausstattung aus dem Jahr 1916. Der bronzene Figurenschmuck darüber zeigt in der Mitte den biblischen Sündenfall, als Eva Adam eine Frucht vom Baum der Erkenntnis reicht. Der linke Jüngling mit dem Schwert verkörpert das germanische, sein Gegenüber mit dem Rutenbündel das römische Recht – beide zusammen die Wurzeln für das deutsche Recht.

Angeklagte saßen vor dem Aufzug zum Gefängnis

Jenseits der Tür saßen hinter einer hölzernen Absperrung in zwei Reihen die Angeklagten. Weil dort zusätzlich mehrere Wachen Platz finden mussten, schob sich dieser Bereich damals etwas weiter in den Raum hinein als heute.
In der Wand dahinter befindet sich ein Aufzug, mit dem die Gefangenen nach unten gebracht und anschließend durch einen langen, hölzernen Gang zum nebenan liegenden Gefängnis geführt wurden.

Verteidiger und Zeugen

Vor der Anklagebank hatten an zwei langen Tischreihen die Verteidiger ihren Platz.
In der linken Ecke des Saals arbeiteten hinter Glaswänden die Dolmetscher, die das Geschehen in die vier Sprachen des Prozesses übersetzten. Genau gegenüber der jetzigen Zuschauerbänke, dort, wo heute die erhöhte Richterbank steht, befand sich in der Nähe der rechten Tür der Zeugenstand. An der Stirnwand hinter dem Zeugenstand wurden Karten oder Fotografien als Beweisstücke befestigt. Am oberen Rand der Holzvertäfelung war eine Leinwand befestigt, auf der Filmaufnahmen als Beweismittel vorgeführt wurden.

Blick vom Balkon in den Schwurgerichtsaal, 1945. Bildnachweis: Stadtarchiv Nürnberg

Blick vom Balkon in den Schwurgerichtsaal, 1945. Bildnachweis: Stadtarchiv Nürnberg

Ankläger und Richter

Die Anklageteams der Alliierten saßen an vier großen Tischen dort, wo sich heute die erste Reihe der Zuschauerbänke befindet.

Auf der rechten Seite des Saals, mit den großen Fenstern im Rücken, saßen erhöht die Richter der vier Alliierten. In der Ecke rechts hinter dem Richtertisch standen Kameramänner, die den Prozess filmisch dokumentierten. Auch mehrere neu geschaffene Wanddurchbrüche über und in der Holzvertäfelung dienten als Fenster für die Berichterstatter und Kameraleute. Vor den Richterbänken arbeiteten an zwei langen Tischen die Gerichtssekretäre und Stenografen. Etwa in der Mitte des Saals stand das Rednerpult, von dem aus Ankläger und Verteidiger vortrugen oder Zeugen und Angeklagte befragten.

Zuschauertribünen wurden extra eingebaut

Die größte bauliche Veränderung des Saals betraf die Zuschauertribünen. Die ursprüngliche Rückwand des Saals wurde für den Prozess herausgebrochen, um Platz für Pressevertreter zu gewinnen. Darüber entstand eine Empore für Zuschauer. Heute befinden sich dort vier kleine Fenster, durch die man von der Ausstellungsebene aus einen Blick in den Saal werfen kann. Sämtliche Ein- und Umbauten wurden nach Rückgabe des Saals an die Bayerische Justizverwaltung 1961 rückgängig gemacht.

Informationen zu der Veranstaltungsreihe „Alliierte Anklagperspektiven im Nürnberger Prozess“

Ein Kommentar zu “Sah der Saal 600 damals eigentlich genauso aus wie heute?

  • Marlene Hofmann
    3 / 3 / 2016 | 13:03

    Ein schöner Blogbeitrag! Man sagt ja immer, dass Angeklagte im Mittelalter schon mit einem Bein im Grab standen. Interessant, dass sie 1916 in Nürnberg schon mit einem Bein im Aufzug zum Gefängnis standen…
    Viele Grüße,
    Marlene Hofmann

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