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20 / 12 / 2023

Die Welt en miniature

Die Nürnberger Zinnfigurenfabrik Ernst Heinrichsen

Im Sommer dieses Jahres konnte ein seltenes Ensemble für die Sammlung Industriekultur erworben werden – ein nahezu vollständiger Nürnberger Christkindlesmarkt aus der Produktion der einstmals führenden Nürnberger Zinnfigurenfabrikation Ernst Heinrichsen.

Exzellent erhalten, das heißt farbfrisch und ohne nennenswerte Beschädigungen, erstrahlt der schönste aller Nürnberger Märkte samt Miniatur-Publikum heute noch so wie zu seiner Entstehungszeit um 1930. Mehr als 30 Marktstände, dazu Frauenkirche, Weihnachtskrippe und Schöner Brunnen sowie eine Vielzahl von Besucherfigürchen umfasst das ideenreiche und mit viel Liebe zum Detail gestaltete Konvolut. Wie beliebt der kleine Markt bei Zinnfiguren-Liebhabern, Sammlern und damaligen Nürnberg-Besuchern war, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen, immerhin aber war er so populär, dass die Nürnberger Stadtspitze ihn seinerzeit als Weihnachtsgabe für prominente Gäste auswählte.

Darüber hinaus zählt der Christkindlesmarkt en miniature zu den letzten Neuheiten, die Heinrichsen auf den Markt brachte, da mit dem Tod Ernst Wilhelm Heinrichsens (1867-1938), Enkel des Firmengründers und in dritter Generation Inhaber, die schöpferische Phase der Firma* endete. Etwa 16.000 Gussformen hatte Heinrichsen zu jener Zeit im Bestand, ein beachtlicher Fundus, angewachsen in rund hundert Jahren seit Geschäftseröffnung 1839.

Umschlag-Detail eines Warenverzeichnisses, um 1902.

Als vornehmlich „erzieherisch wertvolles“ Kinderspielzeug hatten Zinnfiguren, allem voran Zinnsoldaten samt Schlachtenszenerien aller Epochen, schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgedient. Denn Nationalstolz, Wehrhaftigkeit und Kriegseuphorie, früh eingeübt im Kinderzimmer, waren nach dem katastrophalen Ausgang des Ersten Weltkriegs nicht mehr gefragt.

Skizzenbuchseite mit ersten Bleistiftentwürfen für Reiterfiguren, o. J.

Kleine Zeichnungen in Tusche zu Soldatenfiguren verschiedener Epochen, o. J.

Auch die Wiederaufnahme und Aktualisierung „ziviler“ Themenwelten wie exotische Pflanzen und Tiere, fremde Kulturen, Persönlichkeiten und Ereignisse der Weltgeschichte bis hin zu Märchen und Idyllen, traditionellen Festen und Freizeitvergnügen, konnten den Niedergang der Zinnfigur als Kinderspielzeug nicht aufhalten.

Kleine Entwürfe in Tusche mit Märchenfiguren, o. J.

Obendrein gab es mittlerweile preiswertere Konkurrenten im Kinderzimmer, die sogenannten Massefiguren. Dank des über Jahrzehnte gewachsenen, reichhaltigen Sortiments und seiner frühzeitig speziell für den Sammlermarkt aufgelegten Serien überwand das Unternehmen Marktflauten und sinkende Umsätze, reichte jedoch nicht mehr an die Blütezeiten der 1850er und 1870er Jahre heran.

Briefkopf der Firma Ernst Heinrichen, um 1906.

Dass der vielfach prämierte, einstige Weltmarktführer nicht gänzlich verschwand wie seine Mitbewerber, ist einer Nachfahrin des Firmengründers zu verdanken, die in sechster Generation seit Firmengründung bis heute Einzelfiguren und Serien nach Originalvorlagen produzieren lässt. ** Ein Glücksfall für alle Liebhaberinnen und Liebhaber der feinen Miniaturen, die so auch dem 185. Heinrichsen-Firmenjubiläum im kommenden Jahr entgegensehen können.

Für das Museum Industriekultur bedeutet der Heinrichsen-Christkindlesmarkt in mehrerlei Hinsicht eine Ergänzung und Bereicherung. Zum einen für die Sammlung Alltagskultur durch seinen Bezug zur Noris und ihren traditionellen Festivitäten, zum anderen für die Bewahrung historischer Zeugnisse zu Nürnberger Firmen. Die Heinrichsen-Figuren vervollständigen in gewisser Weise ein schon in den frühen 1980er Jahren übernommenes Konvolut bestehend aus Firmendokumenten, darunter Entwurfszeichnungen für Zinnfiguren, aber auch Arbeitsmaterialien wie Schmelztiegel, Siebkellen, Hebeformen und Bleibarren. Sogar die gusseiserne Wendeltreppe aus dem späten 19. Jahrhundert, die zwei Geschosse in der einstigen Produktionsstätte in Johannis verband, konnte übernommen und bewahrt werden.

Wer mehr über das Spielen mit Zinnfiguren erfahren und einige besondere und rare Beispiele in Natura sehen will, dem sei ein Besuch unseres „Schwesterhauses“, dem Spielzeugmuseum, ans Herz gelegt. Vor Ort und im Virtuellen Depot, zu finden auf der Museumswebsite, gibt es eine Vielzahl davon zu entdecken! ***

Weitere Informationen:

Alfred R. Sulzer: 150 Jahre feinste Zinn-Compositionsfiguren Ernst Heinrichsen Nürnberg. Eine Monographie zur Geschichte der Zinnfigur als Kinderspielzeug, Zürich 1989

*     „Paradestücke. Zinnfiguren aus Nürnberg und Fürth“. Schriften des Spielzeugmuseums Nürnberg, Band IV (Begleitkatalog zur Ausstellung „Kleine Welten“), Hsg. Museen der Stadt Nürnberg, 2000.

**   Website der Firma Heinrichsen

*** Das virtuelle Depot des Nürnberger Spielzeugmuseums

Das Museum Industriekultur ist wegen umfangreicher Sanierungsarbeiten für voraussichtlich zwei Jahre geschlossen. Informationen und Fotos zum Verlauf des Umbaus finden Sie im
(Um)Bau-Tagebuch


 

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Ein Kommentar zu “Die Welt en miniature

  • Christian
    7 / 1 / 2024 | 13:44

    Guten Tag, ich habe einfach mal im Internet geschnüffelt ob es noch Informationen zum Christkindlesmarkt en miniature von Ernst Heinrichsen gibt. Ich habe – es muss in den 70ern gewesen sein – im Ladengeschäft Hofmann den Christkindlesmarkt unbemalt erstanden (25 Marktstände, die Weihnachtskrippe, der schöne Brunnen, ca. 20 Besucherfiguren in 2 Schachteln „Nürnberger Christkindlesmarkt A“ und „Nürnberger Christkindlesmarkt B“ und die zweiteilige Frauenkirche). Wir hatten damals nicht so üppig Geld, deshalb unbemalt! Ich habe aber eine Farbvorlage bekommen und habe nach und nach die Teile bemalt. – Irgendwann hatte ich keine Zeit mehr dazu und so sind 3 Marktstände und 6 Besucher unbemalt geblieben. Die hatte ich ganz vergessen und beim Aufräumen wieder gefunden! Die werde ich nun auch noch bemalen. Allerdings habe ich den Markt entgegen der Vorlage nicht winterlich sondern mit rot-weiss-gestreiften Dächern bemalt. Ich fand die „weiße Pracht“ langweilig weil es ja ein Markenzeichen des Christkindlesmarktes ist: Das „Städtlein in der Stadt, aus Holz und Tuch gemacht“. Es ist schade dass es diese Zinnfiguren nicht mehr gibt. Es war jedesmaleine Freude wenn wir an dem Ldengeschäft Hofmann vorbei kamen und speziell um die Weihnachtszeit hat es uns auch hinein gezogen. Und wir haben noch einige andere Zinnbilder und den „Nürnberger Markt“ erstanden. Das Schöne daran ist dass sich unsere Enkelkinder an den Bildern, dem kleinen Markt und zur Weihnachtszeit am Christkindlesmarkt en miniature erfreuen. Da erscheint das was wir täglich sehen dann doch wieder in einem anderen Licht!

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