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30 / 7 / 2020

Ein Bild ohne Maler

oder: Wenn der Kunsthistoriker zum Detektiv wird

In der Ausstellung „Der weite Blick“ im Stadtmuseum im Fembo-Haus ist derzeit ein rätselhaftes Bild zu sehen. Es zeigt eine Zusammenstellung von zwölf Veduten (also wirklichkeitsgetreue Darstellungen einer Landschaft oder eines Stadtbilds), die sowohl Ansichten von Nürnberg als auch von anderen Orten zeigen. Die in Gouache auf Papier fein ausgeführte Arbeit ist nicht signiert. Mit erstaunlich grob gezogenen Linien ist sie in drei Zeilen und vier Spalten unterteilt, wodurch sich 12 Felder ergeben. Was hat es mit diesem Bild auf sich?

Die Veduten im Detail

Dargestellt sind von oben links nach unten rechts:

1) das Frauentor von Südwesten
2) Haus mit Treppenturm, vor dem Frauentor und außerhalb der Schanzen
3) Frauentorgraben (Bereich zwischen Tafelhofstraße und Celtistunnel)
4) Laufer- und Wöhrdertor von Nordosten
5) das Neutor von der Burgbastion aus gesehen
6) die Treibjagd des Markgrafen von Ansbach bei Eibach, 1757
7) eine höfische Jagd, im Hintergrund ein Herrensitz
8) das Spittlertor von Südosten
9) Altdorf von Südwesten
10–12) nicht identifiziert

Die Felder der unteren Zeile zeigen – abgesehen von der Nürnberger Universitätsstadt Altdorf – nicht identifizierbare und daher wohl entlegenere Orte. Insbesondere Nr. 10 zeigt einen großen Vierflügelbau neben einer mehrbogigen Brücke, die einen breiten Fluss überspannt, bei dem es sich wohl kaum um die Pegnitz handeln kann.


Klicken Sie in die Felder um jeweils eine größere Ansicht zu sehen.

Rätsel über Rätsel

Aus der reichen Figurenstaffage des Blatts tritt am deutlichsten eine reizvolle Familienszene in Feld Nr. 5 in den Vordergrund. In die elegante Mode des Rokkoko gekleidet, blicken wohl Mutter, Vater und deren Töchterchen von der Burgbastion am Neutorturm vorbei in Richtung St. Johannis. Die auffallende Familienszene verführt zum Spekulieren: Wurden die von sichtlich groben Linien getrennten Miniaturen vielleicht dazu geschaffen, um – ausgeschnitten als Gemälde – für ein Puppenhaus (des dargestellten Mädchens?) verwendet zu werden?

Wozu aber dann die symmetrische Anordnung der Motive, die meist durchgehende Horizontlinien aufweisen? Auch Traufhöhen und Straßenverläufe werden von den Begrenzungslinien der einzelnen Motive nicht getrennt, sondern laufen harmonisch im nächsten Motiv weiter. Sie scheinen für eine Platzierung nebeneinander gemalt worden zu sein. Lediglich Feld Nr. 12 wird über die nach unten begrenzende Linie hinweg fortgeführt. Bei näherer Betrachtung zeigt es eine Militärparade. Mit Pünktchen und feinen Strichen sind auf dem ganzen Blatt Szenen skizziert, die den Betrachter mehr sehen lassen, als tatsächlich dargestellt ist. Die Arbeit zeugt damit von der Könnerschaft eines geübten Miniaturisten.

Um zu veranschaulichen wie klein die zwölf Veduten sind, hier ein Foto des Bildes in der Ausstellung. Foto: Ludwig Sichelstiel

Johann Jakob Kleemann: Ein möglicher Urheber?

Bei der Suche nach dem Urheber des seltsamen Bilds hilft uns ein Hinweis der Kunsthistorikerin Ursula Timanns auf eine Gouache von Johann Jakob Kleemann (1739–1790) weiter. Kleemanns Arbeit stellt recht genau, unserem Feld Nr. 6 entsprechend, eine Jagd des Ansbacher Markgrafen dar. Für diesen haben Johann Jakob Kleemann und seine Brüder Christian Friedrich Carl und Johann Christoph 1771 arbeitsteilig auch die Wandgemälde des „Zwölfmonatszimmers“ in der Ansbacher Residenz geschaffen.

Von Johann Jakob Kleemann sind nur wenige Werke bekannt. In den letzten Jahren gelangten jedoch drei seiner Arbeiten in den Handel, allesamt wenig größer als Postkartenformat. Zwei davon sind mit Blick auf unser zwölfteiliges Bild von besonderem Interesse. Das erste zeigt eine Familie zu Tisch, vor einer mit Landschaftsgemälden geschmückten Wand; das zweite zeigt ein Atelier, in dem die Wand im Hintergrund ebenfalls mit miniaturhaft gemalten Gemälden versehen ist. Zufall – oder ein Indiz dafür, dass das Bild aus unserer Ausstellung tatsächlich von Kleemann stammt und die zwölf Landschaften womöglich als Vorlage für vergleichbare Gemälde-im-Gemälde gedient haben könnten?

Weitere Anhaltspunkte – aber keine Lösung

Beide Arbeiten belegen jedenfalls, dass Kleemann das Fach der Miniaturmalerei meisterhaft beherrscht haben muss. In seiner Vita finden sich außerdem noch ein paar weitere Anhaltspunkte, die eine Urheberschaft des rätselhaften Bilds nahelegen. Als Sohn des Universitäts-Malers Nicolaus Moritz wurde Johann Jakob Kleemann 1739 in Altdorf geboren; und auf Feld Nr. 9 wird Altdorf unter einem leuchtenden Regenbogen dargestellt. Ein Hinweis auf die geliebte Heimatstadt? Nach erster Ausbildung bei seinem Vater gelangte Kleemann dann auf seiner Wanderschaft nach Sachsen, an den Rhein, nach Schwaben und an verschiedene Orte in Franken. Sollte das Blatt also gar aus dem persönlichen Besitz des Künstlers stammen und neben Nürnberg und Altdorf noch weitere Stationen seines Lebens darstellen?

All diese Rätsel werden letztendlich wohl nicht mehr gänzlich zu lösen sein. Aber vielleicht können zumindest noch die fehlenden Ansichten der Felder 10 bis 12 den passenden Ortschaften zugeordnet werden. Und hier kommen Sie ins Spiel, liebe Leserinnen und Leser! Falls Sie nämlich zur Klärung beitragen können, weil Sie vermuten oder gar wissen, was die Miniaturen 10 bis 12 zeigen, so würden wir uns freuen, wenn Sie uns einfach im Kommentarfeld einen Hinweis hinterlassen würden!

Informationen zur Ausstellung „Der weite Blick“


Der Blogartikel basiert auf einem Beitrag von Ludwig Sichelstiel im Katalog zu der von ihm kuratierten Ausstellung „Der weite Blick. Nürnberger Panoramen aus sieben Jahrhunderten“.
Wir danken Berthold Freiherr Haller von Hallerstein, Karl Kohn und Dr. Ursula Timann für die Unterstützung bei der Lokalisierung der Darstellungen.

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