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1 / 9 / 2017

Tatort Museum: Die Generalrevision

Es ist die Lust an der Entdeckung, die Ludwig Sichelstiel antreibt. Als Revisor nimmt der Museologe tausende Graphiken, Aquarelle und Fotos der Graphischen Sammlung in Augenschein, inventarisiert sie für die Datenbank und bewertet die Kunstwerke auch. Ein Schatz, den er hütet und in dem er schon manch unentdeckte Perle gefunden hat.

Suchen wir, ein willkürlich ausgewähltes Beispiel, nach dem Nürnberger Stadtteil Thon. Ludwig Sichelstiel zieht eine der großen Schachteln, die im Fachjargon der Kuratoren „Kapsel“ heißen, aus dem Regal und öffnet sie. „Norica 120: Th…“ Die erste Mappe gilt dem Theater. Zeichnungen des Gebäudes liegen darin, aber auch ein Druck, der scherenschnitthaft eine Aufführung festhält. „Diego und Leonore, 5. Aufzug“ heißt es da, 1782 aufgeführt auf der „Freundschaftlichen Privatbühne“.

Es folgt die Theresienstraße, festgehalten zum Beispiel von Johann Adam Delsenbach, und einige Fotos, die ein frühes Ämtergebäude zeigen und auch die später vorgeblendete prächtige Fassade. Eine kleine Handzeichnung legt Ludwig Sichelstiel gleich beiseite, sie ist von Friedrich Trost dem Jüngeren signiert und wäre unter dem Künstlernamen besser aufgehoben. Natürlich bleibt sie, dank Datenbank, weiter unter dem Stichwort Theresienstraße recherchierbar.

Ein bisschen wie Sisyphos

Dann endlich Thon. Neben einer Ortsansicht auch die Darstellung eines schmucklosen Backofens, festgehalten 1828. „An anderer Stelle findet sich sicher auch noch mehr“, erklärt Ludwig Sichelstiel, „in der Fotosammlung etwa, unter einem anderen Format oder auch in der Künstlergraphik.“

Sichelstiels Aufgabe ist, das darf man wohl sagen, auch eine Sisyphos-Arbeit. Hunderte von Kapseln und viele Schränke schaut er im Rahmen der Generalrevision der Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg durch, ordnet und katalogisiert sie neu. „Eine Besonderheit ist die Vielfalt der Themen“, sagt Ludwig Sichelstiel, der als Auktionator gearbeitet hatte, bevor er 2006 an die Museen der Stadt kam. Seit 2013 ist er für die Graphische Sammlung zuständig.

Die ist riesig und umfasst Kunstwerke aus sechs Jahrhunderten, darunter Dürer-Drucke, Stadtansichten und Porträts, aber auch so Kurioses wie verschiedene Vögel, die als Collagen mit den spezifischen Federn der Art gearbeitet sind. Wie soll man da Ordnung hereinbringen? Die Vielfalt der Graphik gehorcht einem gewachsenen System: Künstler nach Namen, Porträts, Druckgraphik, dazu Norica – also alles, was mit Nürnberg zu tun hat – und verschiedene Spezialsammlungen etwa zu Dürer und allem, was sich auf Dürer bezieht.  Außerdem wird nach Format – groß oder klein – abgelegt, denn es spart schlicht und einfach Platz.

Eine Welt in Schwarz-Weiß?

Wer nun denkt, Ludwig Sichelstiel lebe in Schwarz und Weiß und Bleistiftgrau, täuscht sich. „Es ist vieles bunt“, sagt er. Denn unter Graphik fallen, weil sie auf Papier gearbeitet sind, auch Aquarelle, Gouachen und Fotografien. Brigitta Heyduck zum Beispiel. Sichelstiel zieht eine Schublade auf: Ein windschiefes Bauernhaus und flirrende Landschaften sind sorgsam in Passepartouts gerahmt. Oder Michael Matthias Prechtl, der Nürnberger, der für seine hintersinnigen Porträts und politischen Karikaturen bekannt ist, und in der Graphischen Sammlung auch mit abstrakten Gouachen vertreten ist.

Brigitta Heyduck: „Pettensiedel“, Farblithographie, 1985.

Die meisten Kunstwerke der Sammlung freilich haben Meister der Künstlerfamilien „Anonym“ und „Unbekannt“ gefertigt, sagt Sichelstiel augenzwinkernd. Immer mal wieder gelingt es ihm, ein unsigniertes Werk einem Künstler zuzuordnen. „Der Blick schärft und verändert sich im Lauf der Zeit“, sagt er. Das Forschen hat ihn schon immer gereizt. Noch als Auktionator in Bonn konnte er einen Abt identifizieren, der auf einem barocken Porträt dargestellt war. Er fand auch das zugehörige Kloster in Belgien. Bei der Auktion wurde das Gemälde tatsächlich von der belgischen Abtei ersteigert, die damit eine Lücke in der Reihe ihrer Äbte schließen konnte.

Der Wert der Kunst

Vieles freilich ist Routine, den größten Teil des Arbeitstages sitzt auch Ludwig Sichelstiel vorm Computer. Neben sich die dicken Inventar-Bände, in denen die Kunstwerke verzeichnet sind, die über Jahrzehnte und Jahrhunderte von der Stadt Nürnberg erworben oder ihr geschenkt wurden, und Karteikarten. Die Einträge überträgt Sichelstiel in die aktuelle Datenbank, ergänzt sie wo nötig und fügt ein Foto des Werkes hinzu. Er bestimmt auch den jeweiligen Wert, zumindest näherungsweise: Dazu vergleicht er Preise, die drei bis vier Objekte des betreffenden Künstlers auf Auktionen erzielt haben, und mittelt diese aus. Ein Max Bach zum Beispiel kommt auf etwas über 300 Euro.

Max Bach: Ansicht von Almoshof, Aquarell auf Papier, um 1895.

Mit der Generalrevision ihrer Kunstsammlungen will die Stadt Nürnberg einen Überblick über den Bestand (und damit auch ihren Besitz) gewinnen, die Sammlung erschließen und nutzbar machen. Bei Ludwig Sichelstiel, der auch die kunsthandwerklichen Objekte betreut, landen zum Beispiel Anfragen nach bestimmten Abbildungen, Wünsche von Museen bezüglich Leihgaben oder auch Schenkungsangebote.

Das Allerheiligste

Die Kunst ist geduldig. So viele Drucke, Zeichnungen und Aquarelle sind hier versammelt, dass – natürlich – immer nur ein Bruchteil davon ausgestellt werden kann. Die übrigen Werke sind, weil Licht dem Papier zusetzt, bei heruntergelassenen Rollos und hinter verschlossenen Türen gut verwahrt. „Wir versuchen, alles möglichst gleich zu behandeln“, sagt Ludwig Sichelstiel. Wer weiß schon, was kommende Generationen für attraktiv oder historisch besonders interessant halten? Bei aller Egalität ragt doch einer heraus: Dürer, dem ein eigenes Kabinett – „das Allerheiligste“, sagt Ludwig Sichelstiel schmunzelnd – gewidmet ist.

Ludwig Sichelstiel, Diplom-Museologe bei den Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg.

Informationen zur Graphischen Sammlung


Alle Bilder stammen aus den Beständen der Graphischen Sammlung, die jetzt in die Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg integriert ist.

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