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17 / 8 / 2023

Sammelleidenschaft gebiert Kunst – oder umgekehrt?

Atelierbesuch beim Nürnberger Bildhauer Hubertus Hess

Man muss halt genau hinschauen. Auch wenn man meint, Albrecht Dürers „Melencolia I“ aus dem Jahr 1514 mit dem sinnierenden Engel in der rechten Bildhälfte zu kennen. Aufeinander geklappt liegt ein Flügelpaar auf einer Stahlplatte vor dem Museum Tucherschloss. Und der geometrische Körper mit mehreren Ecken und Kanten daneben? Ja, auch der zitiert den Meister, der die geometrische Figur links in seinen Kupferstich eingefügt hat. Das prägt sich wohl nicht allen Betrachtern so richtig ein.

Dem Bildhauer Hubertus Hess, 1953 in Coburg geboren und seit über vier Jahrzehnten in Nürnberg lebend und arbeitend, schon. Sein Werk „Polyeder der Melencolia I“ aus dem Jahr 1999/2000 interpretiert das Dürer‘sche Original dreidimensional in Stahl und Eisenguss. Angekauft von der Stadt Nürnberg mit Mitteln der Zukunftsstiftung der Sparkasse Nürnberg, verkündet die Plastik auf dem Vorplatz des Museums in der Hirschelgasse: Hier gibt es Kunst und Kultur.

Doppelbock BK/22/16, 2016, Präparate. Gelsen, Holzleiter, Aluguss. Foto: Hubertus Hess

In dem Atelierhaus im Euckenweg in Langwasser, das er sich mit acht weiteren Kunstschaffenden teilt, verortet Hubertus Hess die Wurzel seiner besonderen Beziehung zu Engeln in seiner Kindheit. Im Alter von neun Jahren geriet er unter einen Lastwagen und überlebte wie durch ein Wunder. „Wir alle haben einen Schutzengel, eine Art Energie“, ist Hess überzeugt. Seit den 1990er Jahren fasziniert ihn das Mystische. In seiner Bildhauerei taucht das Motiv Engel immer wieder auf, völlig unkitschig verkürzt zu Flügeln.

Auch der Mensch erscheint bei ihm symbolhaft reduziert etwa auf ein Paar Füße. Seit seinem Studium an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg als Meisterschüler von Christian Höpfner (1939-2014), das sich 1979 bis 1986 einer Ausbildung als Holzbildhauer an der Staatlichen Berufsfachschule in Bischofsheim/Rhön anschloss, beschäftigt sich Hess mit Fragmenten. „Ein Torso ist oft interessanter als eine ganze Figur“, sagt er. „Man denkt sich die Skulptur fertig.“

Denkraum, 2019, Mixed Media. Foto: Hubertus Hess

Das Symbolische, Magische, Nebulöse nutzt ihm als Erzähler von Geschichten, die bei den Betrachtern seiner aus Eisen, Stahl, Granit und Glas gefertigten Skulpturen Assoziationen, Erinnerungen und Emotionen auslösen sollen. Jetzt, mit 70 Jahren, stellt er fest. „Im Alter wird einem immer deutlicher, wie man aus seiner Kindheit, seiner Herkunft schöpft.“

Dass Hubertus Hess in einem familiären Umfeld von „Jägern und Sammlern“ aufgewachsen ist, sieht man seinem wunderkammerähnlichen Atelier sofort an. An der Wand hängt eine Assemblage aus einem schmiedeeisernen Fenstergitter und zwei ausgestopften Eichelhähern – eine seiner jüngsten Arbeiten. Skelettierte Tierschädel, die er von Exkursionen in die nordafrikanische Sahara mitbrachte, stehen neben früheren plastischen Arbeiten, antiken Keramiken, Metallgegenständen und weiteren Reisemitbringseln aus verschiedenen Ländern. „Ich sammle Dinge, die auf mich zukommen, die mir über den Weg laufen.“

Wunderkammer, 2019, Installation. Foto: Hubertus Hess

Dabei sucht er nicht, er findet. Strandgut aus Spanien, eine vertrocknete Schlange, ein Fischernetz, getrocknete Fruchtkapseln – alles Fundstücke, die er zusammenfügt und damit neue Objekte schafft. „Sie erzählen meine Geschichte“, sagt er, „und jeder Betrachter kann seine eigene Geschichte dazu erzählen.“

Gelegenheiten dazu gibt es genug, denn der vielfach ausgezeichnete Bildhauer ist nahezu durchgängig in Ausstellungen präsent, international, aber auch regional. War es noch zu Anfang des Jahres unter dem Titel „Was macht der Vogel mit der Linie?“ ein Dialog mit dem Maler Peter Kampehl in der Kunsthalle Schweinfurt, so widmet sich noch bis Ende Februar 2024 das Wildbad in Rothenburg o.d.T. der „Zauberwelt“ von Hubertus Hess und in Ansbach sind demnächst Collagen des Künstlers zu sehen, die Motive aus seinen Reisen nach Japan aufgreifen. Ab September wird er bei einer Gemeinschaftsausstellung in Neumarkt das Thema „Tier“ mitgestalten. „Gerne arbeite ich in Ausstellungen zusammen mit Kolleginnen und Kollegen, bevorzugt aus dem Bereich Malerei, zu der ich dann plastische Akzente setze.“ Aktuell beschäftigt er sich zudem mit einem Auftrag aus Regensburg, wo auf einem Friedhof ein Platz für „Sternenkinder“ entstehen soll, und mit einer Gartenskulptur für einen Privatmann.

Assemblage, Eichelhäher, Eisen. Foto: Hubertus_Hess

Hatte es ihn als junges Talent nie von Nürnberg weggezogen? „Ach, wissen Sie, ich war in den 1980ern und 1990ern viel unterwegs. Hier in Nürnberg habe ich mein Standbein gefunden – und einen festen Sammlerkreis.“ Hess verkauft an private Kunden und an öffentliche Kunstsammlungen. Auch seinen Platz im Atelierhaus, mit dem er sehr glücklich ist, verdanke er seiner guten Vernetzung.

Stipendien und lange Reisen gaben ihm die Freiheit, die ihm immer wichtig war. „Vielleicht habe ich manchmal neidisch auf Kollegen geschaut, die eine Professur hatten – aber ich habe die Zeit genossen, habe gelebt!“ Und wenn es wirtschaftlich mal eng wurde, war er sich für nichts zu schade. „Ich habe Stahlmöbel für Bekannte gebaut, das Werkzeug hatte ich ja, oder mal ein kleines Geschenk, das jemand brauchte. In der Kunst muss man flexibel sein!“

Hubertus Hess in seinem Atelier. Foto: Alexandra Foghammar

Seinen Polyeder samt melancholischen Flügelpaar vor dem Museum Tucherschloss, besucht er ihn immer mal wieder? „Aber ja“, ruft Hubertus Hess. „Da fahre ich mit dem Rad vorbei und kontrolliere die Skulptur, die sich ganz wunderbar hält. Das Wiedersehen löst in mir starke Gefühle aus!“


Bei den diesjährigen „Stadt(ver)führungen“ unter dem Motto „Schlüsselerlebnisse“ öffnet die Ateliergemeinschaft im Euckenweg 33 ihre Türen am Samstag, 16. September 2023, von 14 bis 15 Uhr und am Sonntag, 17. September, von 11 bis 12 Uhr.
Treffpunkt: Eingang vom Parkplatz, Euckenweg 33

Stadt(ver)führungen 2023

 

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