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19 / 7 / 2023

Heut ist der frohe Tag, man weyht die Paucken ein,

Die ganze Esquadron rückt drauf ins Lager ein.

Unter diesem Titel steht ein sogenanntes Quodlibet, das bei der Inventarisierung des Bestands der Grafischen Sammlung aufgetaucht ist. Wie’s beliebt – quodlibet – hat der unbekannte Künstler mit dem Vierzeiler kleine Bildchen auf einem Blatt zusammengebracht. Eine kunstvoll fingierte Holzplatte, Tapetenstücke und Stickmuster bilden den Hintergrund. Der in der Überschrift zitierte Reim zeigt allerdings, dass das Blatt einen konkreten Anlass hat. Man weiht Pauken ein, und zwar bei der reichsstädtischen Bürgerkavallerie.

Uniformen der Nürnberger Bürger-Kavallerie: Rittmeister, Pauker, Reiter (kolorierte Umriss-Radierungen, 1782. Verlag Johann August Trautner d. J.)

Im Rahmen des genossenschaftlichen Verbands der Stadtbürger, die ihre Stadt gemeinsam zu verteidigen hatten, waren die Bürger in 24 Kompanien organisiert. Einen Sonderstatus hatten die Mitglieder von Bürgerartillerie und Bürgerkavallerie. Letztere existierten in zwei Kompanien zu jeweils maximal 40 Personen und waren, ein wichtiges Privileg, vom Wachtdienst bzw. der ersatzweisen Geldzahlung der gewöhnlichen Bürger ausgenommen, auch weil sie „in Hinsicht ihrer kostspieligen Montur weder zum Infanterie- noch zum Thordienst geeignet“ waren.

Besagte Montur hatten sie sich auf eigene Kosten zu beschaffen und Pferde zu unterhalten. Mitglieder der Kavallerie waren naturgemäß vor allem Bürger, die beruflich Pferde besaßen oder sich solche leisten konnten. In erster Linie sind zu nennen Metzger, Wirte, Brauer und Kaufleute. Ihre Aufgaben waren eher zeremonieller Art, etwa das Einholen wichtiger Besucher der Reichsstadt. Immerhin hatten die Reiter auch einen eigenen Alarmplatz, den Hauptmarkt, wo sie bei Bränden anzutreten und nach weiterer Weisung die Sicherheit gewährleisten sollten. Auch die Geselligkeit kam nicht zu kurz. Ob man dabei auch mit den abgebildeten Karten gespielt hat, bleibt dahingestellt. Wiederholt sind Ausritte dokumentiert, bei denen man sich als herausgehobene Gruppe der Bürgerschaft präsentieren konnte.

Morgendliche Versammlung der Reiter auf der Insel Schütt vor dem Herrenschießhaus.

Die Stiftung neuer Pauken am 5. Juni 1782 bot nun Anlass zu Festivitäten und unserem Quodlibet. Nicht der Kaiser als Stadtherr, nein, König Friedrich II. von Preußen lässt seinen kriegerischen Glanz über die Bürgerkavallerie erstrahlen. Auch wenn kein einziges Mitglied dieser Truppe über irgendwelche militärischen Erfahrungen verfügte.

Ein kleines Kommando holt die neuen Pauken in der heutigen Karolinenstr. 29, dem Haus eines ihrer Stifter, des Kaufmanns Johann Barth ab.

Drei Bildchen mit charakteristischen Gebäuden zeigen Ausschnitte der Veranstaltung. Rechts unten geht es los mit der morgendlichen Versammlung der Reiter auf der Insel Schütt vor dem Herrenschießhaus. Nach Abholung ihrer Standarten bei den beiden Rittmeistern der Kompanien, Johann Burkhard Volckamer von Kirchensittenbach und Gottlieb Christoph Kreß von Kressenstein, führte der feierliche Zug quer durch die Stadt über Predigerkirche (ehem. Dominikanerkloster), Plattenmarkt (Rathausplatz) und Milchmarkt (Albrecht-Dürer-Platz) zum Tiergärtnertor hinaus auf den Schießplatz bei St. Johannis, seit jeher Ort solcher Veranstaltungen.

Nachdem die beiden Kompanien „mit bewunderungswerten accuraten Schwenken“ – zeitgenössischer Ausweis militärischer Kompetenz – aufmarschiert waren, wurde ein kleines Kommando wieder in die Stadt zurückgesandt zu einem Haus mit einem charakteristischen plastischen Storch auf dem Chörlein und Storchenmedaillon über dem Portal. Karolinenstraße 29 lautet die heutige Adresse, das historische Haus ist allerdings abgegangen. Durch die Toreinfahrt reitet auf dem Bildchen rechts oben ganz in Rot auf seinem Schimmel der Pauker: Er holt im Haus des Kaufmanns Johann Barth die Pauken ab. Zusammen mit dem Gürtler und Musterschreiber (er führte die Listen und Rechnungen der Kompanie) Leonhard Schüssel hatte Barth das begehrte kavalleristische Statussymbol gestiftet. Beide waren als Unteroffiziere Mitglieder der Kreßschen Kompanie.

Die Kavallerie formiert sich vor dem Rathaus, um Bürgern und Stadtregierung die neuen Pauken zu präsentieren.

Zurück auf dem Schießplatz, führte man die Pauken und den schon älteren rotsamtenen bestickten Paukenbehang der versammelten Öffentlichkeit vor. Rittmeister von Kreß nahm die Pauken entgegen, nicht ohne eine kurze Rede, deren Inhalt ein zeitgenössischer Berichterstatter „wegen Tumults des Volks nicht vernommen“ hatte und daher nicht überliefern konnte. Der höherrangige Eskadronskommandeur und Rittmeister von Volckamer war aus Altersgründen und wegen einer Unpässlichkeit ferngeblieben. Bemerkungen in den Protokollen des Kriegsamts und ein Verlass der Herren Älteren (der regierenden Bürgermeister) lassen allerdings auf eine nicht näher spezifizierte „politische“ Krankheit schließen.

Nachdem man nun die Pauken offiziell erhalten hatte, mussten sie natürlich auch Bürgern und Stadtregierung präsentiert werden: Ein weiterer Zug durch die Stadt war angezeigt. Zum Neutor hinein, über die Irrergasse und den Weinmarkt zum Herrenmarkt und vor das Rathaus, wo man – wie das dritte Bildchen links oben zeigt – wieder in gehöriger Form Front machte.

Christian Sturm: Lager der Bürger-Kavallerie zur Feier der Paukenweihe am 5. Juni 1782.

Darauf ging es wieder zurück auf den Schießplatz, wo für die weiteren Festlichkeiten ein Lager aufgeschlagen war und die Stadtwappen „von Waaßen mit besonderem Fleiß ausgestochen, und mit weißem, gelbem, rothen und schwarzen Sand garnirt und coullerirt“ worden waren. Mehrere Marketenderzelte boten Erfrischungen, namentlich hatte man in einem großen Zelt für Offiziere und Ehrengäste über 50 Couverts aufgelegt. Dort ausgebrachte Gesundheiten „honorierten“ Pauken, Trompeten und ein Dutzend kleiner Lärmböller in Imitation hochfürstlicher Festkultur – wenngleich gerade einmal drei der anwesenden Offiziere sich als Patrizier dem doch eher bescheidenen Stadtadel zugehörig fühlen konnten. Spätnachmittags beehrten die Herren Kriegsräte das Lager mit ihrer Anwesenheit.

Abends erfolgte die Rückkehr in die Stadt, diesmal über Hallertürlein, Spittlertor, Klaragasse und Fleischbrücke am Rathaus vorbei und schließlich vor die Häuser der jeweiligen Rittmeister, wo die Reiter nach Hause entlassen wurden.

„Und so wurde unter allen Vergnügen, mit der vortrefflichsten Ordnung, Stellung und Einrichtung, und einer unzähligen Menge Zuschauer, dieser feyerliche Tag hingebracht“.

Ein lorbeerumkränzter Rittmeister; um wen genau es sich dabei handelt, ist ebenso wenig festzumachen, wie der letztendliche Anlass zu dem das Quodlibet 1783 – ein Jahr nach der Paukenweihe! – angefertigt wurde.

Ganz unten auf dem Blatt blickt uns ein lorbeerumkränzter Rittmeister in einem Medaillon entgegen. Herr von Volckamer als Eskadronskommandant oder Herr von Kreß als Leiter der Veranstaltung? Wir wissen es nicht, ebenso wenig, ob es sich bei den beiden Damen – eine davon als Schattenriss – um die Eheliebste eines der beiden Rittmeister oder die kunstreiche Herstellerin des Quodlibets handelt. Ein mit 1783 ja doch etwas verspätet datiertes Erinnerungsblatt? Ein Geschenk zum 70. Geburtstag Volckamers oder vielleicht zur Beförderung Kressens zum Oberamtmann des Waldamts Laurenzi und Oberrichter des Forst- und Zeidelgerichts in diesem Jahr?

Auch die kleine Szene links kann nur unter Vorbehalt entschlüsselt werden. Lehrer und Schüler oder Rittmeister mit Sohn, der zum zu jeder Jahreszeit patriotischen Bürger erzogen wird? Die angedeutete kleine Standarte mag auf einen der Kompaniechefs weisen, in deren Haus die Feldzeichen ja aufbewahrt wurden.

Zwei kleine Ansichten bleiben zum Schluss. Die Ruinenlandschaft dürfte reine Phantasie sein, das Dorf mit Herrensitz oder Schlösslein könnte natürlich wieder zu einem der Kompanieinhaber gehören, sollte es jemals eindeutig zu identifizieren sein.

Unser Quodlibet erweist sich also als gar nicht so beliebig, wenn es auch dem neugierigen Betrachter durchaus noch Spielräume zur Interpretation liefert.


Klaus Roider: Studium der Geschichte, Literaturwissenschaft und Recht (M.A.) an der Fernuniversität Hagen. Interessenschwerpunkt fränkisches und Nürnberger Militär im 18. Jahrhundert.

 

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