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27 / 4 / 2023

So spielt die Türkei

Der Sammler Sunay Akιn präsentiert Spielzeug aus seinem Istanbuler Museum

In seiner Heimat Türkei ist er ein ebenso bekannter Mann, wie sein Freund Orhan Pamuk auch bei uns: Sunay Akιn, Dichter, Journalist, TV-Moderator und Kulturwissenschaftler. Und der 61-Jährige ist noch etwas, was seinen Ursprung in Nürnberg hat: ein nimmermüder Sammler von türkischen Spielsachen.

Sunay Akιn, Gründer des Spielzeugmuseums Istanbul.

Angeregt hatte die neue Leidenschaft ein Aufenthalt in der traditionsreichen Spielzeugstadt an der Pegnitz. „1989 kam er zum ersten Mal in das damals noch von Gründerin Lydia Bayer geführte Spielzeugmuseum“, erzählt die heutige Leiterin Karin Falkenberg. „Morgens ist er als Erster rein und ging abends als Letzter raus.“ Sunay Akιn erinnert sich: „Im Spielzeugmuseum Nürnberg hatte ich die Zeit völlig aus den Augen verloren. Ich war viele Male die Stockwerke auf- und abgegangen. Die Seiten meines Notizbuchs quollen über vor Ideen und Eindrücken dessen, was ich entdeckt hatte.“ Der Besuch des 1971 in Nürnberg eröffneten Hauses beeindruckte Sunay Akιn so stark, dass er beschloss, traditionelles türkisches Spielzeug zu sammeln und zu bewahren, denn: „Diese kleinen Dinge zeigen die Geschichte der Menschheit!“

Türkisches Schaukelpferd aus den 1950er Jahren.

Auf Märkten, Flohmärkten, bei Auktionen und in Gebrauchtwarenläden suchte und fand er die Alltagsobjekte aus Kinderzimmern, denen bislang noch niemand in seinem Heimatland kulturhistorische Bedeutung zugemessen hatte. Hinzu kamen von Familien geschenkte Spielsachen, die von dem inzwischen groß gewordenen Nachwuchs nicht mehr gebraucht wurden. Sunay Akιns zwei eigene Kinder akzeptierten, dass Puppen und Autos, Peitschenkreisel und Schaukelpferd nicht für sie bestimmt waren, sondern der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten.

Ibiş-Handpuppe, Stoff, Papiermaché, handgemacht, um 1900.

Die inzwischen auf über 7 000 Objekte angewachsene Sammlung bot dann auch den Anlass, in Istanbul das erste türkische Spielzeugmuseum zu eröffnen. 2005 von Sunay Akιn auf der asiatischen Seite gegründet, lädt das rund 4 000 Exponate umfassende Haus generationenübergreifend dazu ein, in Erinnerungen zu schwelgen und festzustellen: „Das hatte ich auch!“ Noch zwei weitere Spielzeugmuseen wurden von Sunay Akιn initiiert und kuratiert: 2011 öffnete eines in Antalya, Nürnbergs türkischer Partnerstadt, 2013 folgte ein weiteres in Gaziantep.

Das Spielzeugmuseum Istanbul.

Die Verbindung zu Franken blieb über all die Jahre bestehen und wurde 2020 intensiviert, als Holzspielzeug aus Nürnberg zu einem Workshop über „typisch deutsches“ Spielzeug nach Istanbul reisen sollte. Karin Falkenberg, die als Honorarprofessorin an der Kadir Has-Universität in Istanbul über gute Kontakte in die Türkei verfügt, musste von ihrer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Christiane Reuter nicht erst überredet werden, die Beziehungen der Spielzeugmuseen zu vertiefen. „Bei Sunay Akιn stieß die Idee, hier bei uns eine Ausstellung mit ausgewählten Stücken seiner Sammlung zu kuratieren, sofort auf offene Ohren“, sagt Karin Falkenberg. „Das ist wie ein Mandala – am Ende ist man wieder am Anfang“, habe sich der türkische Kosmopolit begeistert geäußert.

Aus 70 Objekten des Istanbuler Spielzeugmuseums hat Sunay Akιn mit seinem Team Gruppen gebildet, zu denen er vom 28. April 2023 bis 3. März 2024 im Nürnberger Spielzeugmuseum Geschichten erzählen wird. So erfahren die Ausstellungsbesucherinnen und -besucher, was es mit dem trojanischen Pferd in Wirklichkeit auf sich hatte: „Es waren die trojanischen Kinder, die das Holzpferd in die Stadt holen ließen, da sie es für ein riesiges Spielzeugpferd hielten. Wie konnten die Trojaner ihren Kindern diese Bitte abschlagen?“ Zu sehen ist in der Schau ein trojanisches Spielzeugpferd des Keramikkünstlers Bilgehan Uzune. Ein in den 1970ern gedrehter Film hatte zur Folge, dass ein bestimmter roter Lastkraftwagen in zahlreiche türkische Kinderzimmer einfuhr, und ein kleiner Istanbuler Blechspielzeugbus wurde so populär, dass die aufgemalten Gesichter in den Fenstern quasi zum Familienalbum vieler Türkinnen und Türken gehören.

Die traditionellen Schattentheaterfiguren Karagöz und Hacivat.

„Unser Sonderausstellungsraum wird mit Baldachin und Teppichen eine orientalische Anmutung bekommen“, verrät Karin Falkenberg. Von der Schwarzmeerküste über Anatolien bis zur Riviera werden in der Schau „Spielzeug der Türkei“ alle türkischen Regionen vertreten sein. Zu sehen sein werden auch typische Karagöz-Schattentheaterfiguren, die allen Türkinnen und Türken und vielen Türkei-Reisenden vertraut sind. „Wir möchten unseren hoffentlich zahlreichen türkeistämmigen Gästen Wiedererkennungseffekte bieten und in ihnen Heimatgefühle aufleben lassen“, erklärt Karin Falkenberg.

Lastwagen, Holz, handgemacht, 1930er Jahre.

Die Spielsachen stammen aus den letzten hundert Jahren und lassen oft erst auf den zweiten Blick die Unterschiede zu deutschen Produktionen erkennen. „Da steht auf einem Lkw der Schriftzug ‚Istanbul‘, der Kreisel ist ganz anders bemalt als bei uns und die Puppen tragen etwa turkmenische Trachten“, nennt Karin Falkenberg Beispiele. Selbstgemachtes Spielzeug, wie ein zur Puppe umgestalteter Besen oder Holzschnitzereien und Spielfiguren aus pflanzlichen Bestandteilen, wird ergänzt durch einige aktuelle Erzeugnisse von der diesjährigen Spielwarenmesse. Türkische Hersteller überließen Karin Falkenberg etwa Miniatur-Çay-Gläser aus Plastik mit dazu passendem Samowar und die Istanbuler Galata-Brücke aus Holzbauklötzen.

Stoff-Puppe, handgemacht, 1960er Jahre.

An Hands-on-Objekte, mit denen die Besucherinnen und Besucher etwa in einer türkisch möblierten Sitzecke spielen können, ist ebenso gedacht wie an eine türkische Bestückung des Museumsshops, in dem Spielwaren aus Istanbul zu erwerben sein werden.

Das zum Museumsverbund der Stadt Nürnberg gehörende Haus und das Kunst- und Kulturpädagogische Zentrum der Museen in Nürnberg gehen auch mit dem Begleitprogramm auf die türkische Community zu und wollen vor allem über die Schulen türkische Familien und solche mit türkischer Zuwanderungsgeschichte als neue Zielgruppen zu erschließen. „Wir werden Führungen in türkischer Sprache anbieten und alle Texte in der Ausstellung werden deutsch und türkisch sein“, so die Museumsleiterin. Schon an der Außenfassade des Hauses werden türkische Fähnchen auf die deutschlandweit einzigartige Ausstellungskooperation aufmerksam machen – auch als Solidaritäts- und Freundschaftsadresse an die 1923 vor einhundert Jahren gegründete Republik Türkei.

Das verheerende Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet bleibt da nicht außen vor. Wie bei allen Katastrophen sind auch hier die Kinder die am schlimmsten Betroffenen. Kooperationspartner des Spielzeugmuseums werden daher während der einjährigen Laufzeit der Ausstellung eine Spendenaktion durchführen, die den jüngsten Erdbebenopfern zugutekommen wird.

Informationen zur Ausstellung „Spielzeug der Türkei“


Bildnachweis für alle Fotos: Spielzeugmuseum Istanbul, Foto: Furkan Uyan

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