Im Jahr 2017 erhielt die Stadt Nürnberg eine umfangreiche Schenkung von Aquarellen aus dem Nachlass des Nürnberger Künstlers Georg Schmidt. Anlässlich seines 100. Todestags wird ein Teil der Gemälde erstmals in der Ausstellung „Remixing Schmidt“ präsentiert. Sowohl für die Inventarisierung als auch für die Einbindung der Bilder in das Ausstellungskonzept war es unverzichtbar, die genauen Orte auf den Bildern zu identifizieren.
Das Problem: Georg Schmidt hat seine Werke nur sehr spärlich mit Ortsangaben versehen. Die größte Herausforderung bestand bei der Identifizierung der Arbeiten darin, die Orte zu finden, die seit den Kriegszerstörungen 1945 aus dem Stadtbild und damit auch aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden sind. Bei der Suche waren folgende Strategien hilfreich:
1. Das Erstellen von Bildclustern
Georg Schmidt malte denselben Ort in der Regel öfter, das heißt, zu unterschiedlichen Jahres- und Tageszeiten und aus verschiedenen Perspektiven. So war der erste Schritt das systematische Sortieren der Aquarelle nach einprägsamen Bildmotiven, die sich wiederholen. Innerhalb dieser „Haufen“ konnte nun weiter recherchiert werden. Gelegentlich halfen dabei handschriftliche Notizen auf den Blattrückseiten, sodass mit einem Schlag eine Vielzahl von Motiven zugeordnet werden konnte. Ein Beispiel sind die Ansichten um das Haus Äußere Laufer Gasse 5 mit der vorgelagerten Veranda und dem anschließenden Rückgebäude des Hauses Äußere Laufer Gasse 9 und 11.
- Das Bildcluster zum Haus Äußere Laufer Gasse 5. Das Aquarell ganz links im Bild liefert auf seiner Rückseite den entscheidenden Hinweis für die Zuordnung. Foto: Johannes Maußner
- Das Missionshaus lag abseits der Straße. Im Stadtplan gut zu erkennen ist die Terrasse, die Georg gemalt hat (rot markiert).

Die handschriftliche Notiz von Georg Schmidt führt zur Lösung: „[1]7 Haus für in.[nere] Mission äuß.[ere] Laufergaß“
2. Das Arbeiten mit Landmarken und Grundrissen
Ein Glücksfall bei den Recherchen waren Turmspitzen oder ähnlich markante Architekturen, die auf den Bildern oftmals nur im Hintergrund zu sehen sind. Sie konnten wertvolle Hinweise auf die Lage der Motive im Stadtbild geben. Ein Beispiel hierfür ist ein Straßenzug mit Doppelturmspitzen im Hintergrund. Bei genauerer Betrachtung erkennt man darin die unterschiedlich eingedeckten Türme von St. Lorenz mit dem durchbrochenen Nordturmdach.
Übertragen auf den Stadtgrundriss, lässt sich nun aus der Lage der Türme zueinander schließen, dass Georg Schmidt die Gasse aus einem Blickpunkt nordwestlich der Kirche gemalt haben muss. Die vorspringende Fassade rechts im Bild grenzt den möglichen Standpunkt auf die Karl- oder Winklerstraße ein.
- Das Gasthaus König Otto in der Winklerstraße.
- Die Lage der Kirchtürme zueinander lässt die Karl- oder Winklerstraße als Betrachterstandpunkt in Frage kommen.
Letztendlich konnte das Aquarell dem Blickwinkel aus der Winklerstraße zugeordnet werden. Rechts im Bild ist das Gasthaus König Otto zu sehen, links im Hintergrund und leichtbläulich die Rückseite des Fleischhauses.
- Kleine Details wie die Stützmauer vor dem Gasthaus oder der Ladenvorbau links im Bild können im Stadtplan wiedergefunden werden.
- Planausschnitt der Winklerstraße mit den hervorgehobenen Details aus dem Aquarell.
3. Der Vergleich mit Fotografien
Die Städtischen Kunstsammlungen verfügen über umfangreiche Fotobestände der Nürnberger Altstadt vor den Kriegszerstörungen (Denkmalarchiv Dr. Friedrich August Nagel). Diese Aufnahmen sind nicht auf die Hauptsehenswürdigkeiten beschränkt, sondern umfassen unzählige Detailaufnahmen beispielsweise von Innenräumen, Höfen, Brunnen, Dachgiebeln et cetera. Mithilfe dieser Fotos konnte eine Vielzahl an Aquarellen zugeordnet werden, die keinerlei Beschriftung oder andere Hinweise enthielten. Die folgenden Bildbeispiele zeigen den Brunnen im Hof des Hauses Tucherstraße 25. Auf dem Aquarell ist er vor allem an dem schneckenartigen Detail der Brunnensäulen zu erkennen.
- Der Innenhof des Hauses Tucherstraße 25.
- Ein Brunnenfoto aus dem Denkmalarchiv Dr. Nagel zeigt dieselben baulichen Details an der Brunnensäule wie der Brunnen auf dem Aquarell.
- Vergrößerte Ansicht des Aquarells.
- Im Stadtplan ist der schmal zulaufende Hof gut zu erkennen. Der Standort des Brunnens ist rot markiert.
Das zweite Beispiel zeigt den Antrittspfosten einer Treppe im Haus Wunderburggasse 8. Die Vergleichsfotografie ist aus einer anderen Richtung aufgenommen. Der Vergleich mit den geschnitzten Rokoko-Ornamenten und die Lage der Treppe im Raum machen die Zuordnung des Aquarells zu dem Foto aber sicher.
- Treppenpfosten im Haus Wunderburggasse 8.
- Anhand vieler Details, beginnend mit dem Geländer über die seitliche Lichtquelle bis hin zum Deckenbalken, lässt sich die Fotografie dem Aquarell zuordnen.
4. Fotovergleich und Grundrissanalyse in Kombination
Eine Kombination der Strategien zwei und drei konnte bei der Identifizierung einer unbekannten Hofansicht mit Wäscherin angewendet werden. Den ersten Hinweis auf den Standort gab das Foto eines Backsteingiebels (beschriftet mit: „Sonnengasse 6“). Er ähnelt auf den ersten Blick dem Giebel, der auf dem Aquarell im Hintergrund angedeutet ist.
- Innenhof des Goldenen Hauses (Binsengasse 9).
- Giebel des Hauses Sonnengasse 6.
Bei dem Versuch, die noch dünne These einer Übereinstimmung zu bekräftigen, half der Blick in den Grundriss. Demnach muss sich der Betrachterstandpunkt des Aquarells im Hofraum südlich der Sonnengasse 6 befunden haben.
- Im Grundriss ist der Hof zwischen den Hausnummern 9 und 6 zu sehen. Dabei sind der rechteckige Einbau links und eine Ecke der umlaufenden Hofgalerie gut zu erkennen (rot markiert).
- Beides lässt sich auch im Aquarell von Georg Schmidt wiederfinden (rot markiert).
Georg Schmidt malte hier also den Innenhof des Hauses Binsengasse 9 mit Blickrichtung nach Nordwesten und erstellte damit die einzige uns bekannte Abbildung dieses Hofes. Eine Ansicht derselben Adresse, allerdings vom Fluss aus gesehen, liefert sein Bruder Ferdinand Schmidt.
- Die Luftaufnahme zeigt die Hauptsynagoge und das Goldene Haus (rechts) im städtebaulichen Zusammenhang. Hinter dem flächigen Satteldach ist halbverdeckt der Backsteingiebel zu erkennen (Pfeil), der auch vom Innenhof zu sehen ist. Bildnachweis: StadtAN A97-297
- Das Goldene Haus aus einer touristischen Perspektive zeigt die Fotografie von Ferdinand Schmidt. Bildnachweis: StadtAN A47-KS-132-30
Gerade am Beispiel des Goldenen Hauses wird deutlich, wie sehr Georg Schmidt seinen Fokus auf die unbekannten, verborgenen Winkel der Altstadt lenkte und somit ein Gegengewicht zu den damals verbreiteten Stadtansichten schuf.
Fazit:
Die Identifizierung der Aquarelle Georg Schmidts war eine Mischung aus Zeitreise und Detektivarbeit. Erstaunlich ist, dass sich Georg trotz seiner mitunter sehr flotten und atmosphärischen Malweise sehr genau an die Motivvorbilder hielt. So konnte selbst auf Basis kleinster Details, wie Brunnensäulen oder Hausgiebeln, eine verlässliche Zuordnung zu den Bildvorlagen erfolgen.
In der Ausstellung „Remixing Schmidt“ ist nun auf Grundlage der recherchierten Ortsangaben ein Dialog zwischen den Arbeiten Georg Schmidts, den Fotografien seines Bruders Ferdinand Schmidt und Kunstwerken aus der heutigen Zeit zu sehen.
Informationen zur Ausstellung „Remixing Schmidt“
Blogbeitrag „Georg Schmidt. Neue Blicke auf einen Nürnberger Künstler“
Erstmals wurden für die Ausstellung auch sämtliche Exponate in einen interaktiven Stadtplan eingebettet. Über diese Zusammenarbeit mit dem Amt für Geoinformation und Bodenordnung berichtet ein weiterer Blogbeitrag.
Stadtkarte für die Kunst
Update Sept. 2022:
Allem detektivischem Spürsinn zum Trotz konnten einige Ansichten, die Georg Schmidt als Aquarelle festgehalten hat, nicht lokalisiert werden. Eine Auswahl von acht solcher „Rätselbilder“ wartet darauf von der Schwarmintelligenz der Besucher gelöst zu werden.
Kürzlich gelang es einem aufmerksamen Besucher das Rätselbild Nr. 6 als die Magdalenenklause im Münchner Schlosspark Nymphenburg zu identifizieren.
Update Juni 2023
Nun ist es auch gelungen, ein zweites Rätselbild zu identifizieren: Bild Nr. 5 zeigt die „Hohle Gasse“ genannte Schlucht auf dem Schmausenbuck. Sie war ein beliebter Ausflugsort im 19. Jahrhundert und liegt heute im Tiergarten.
Mehr Infos zu den Rätselbildern
Bildnachweis (falls nicht anders angegeben): Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg