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16 / 3 / 2022

Europa ohne Grenzen

Ukrainische Werke bei den Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg

Mit rund 1,5 Millionen Einwohnern ist Charkiw nach Kiew die zweitgrößte Stadt der Ukraine. Sie gilt als der wichtigste Wissenschaftsstandort des Landes und kann auf eine bald 500-jährige Geschichte zurückblicken. Seit 1990 ist Charkiw außerdem durch eine Städtepartnerschaft freundschaftlich mit Nürnberg verbunden. In den letzten dreißig Jahren gab es dadurch insbesondere auch auf kultureller Ebene einen regen Austausch zwischen den beiden Städten, so dass der Krieg in der Ukraine vielen Nürnbergerinnen und Nürnbergern besonders nahe geht – auch bei den städtischen Museen.

Während dieser schrecklichen Zeit gelten unsere Gedanken den unzähligen Menschen, die unter den furchtbaren Ereignissen der letzten Wochen zu leiden haben und deren Leben dadurch von einem Moment auf den anderen völlig auf den Kopf gestellt wurden. Dies schließt mit ein, dass wir als Museumsleute auch an unsere dortigen Kolleginnen und Kollegen in den Museen und Kultureinrichtungen denken, die gerade händeringend versuchen, ihre teils jahrhundertealten Kunstschätze in Sicherheit zu bringen (im Fall des Kunstmuseums in Charkiw – Art Museum Kharkiv – betrifft dies zu großen Anteilen auch kulturelles Erbe russischer Provenienz).

Die freundschaftlichen Beziehungen der Museen der Stadt Nürnberg zur Ukraine, speziell zu Charkiw, spiegeln sich auch in einer Reihe von ukrainischen Kunstwerken in den Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg wider. Im Folgenden wollen wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, einige davon näher vorstellen.

Künstlergruppe „Art-Bat“: Europa ohne Grenzen

In der Führerscheinstelle der Stadt Nürnberg hängt das großformatige Gemälde „Europa ohne Grenzen“; es stammt von der Künstlergruppe „Art-Bat“ aus Charkiw, die es der Partnerstadt Nürnberg 1993 zum Geschenk machte.

Besonders in den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit der Ukraine (ab 1991) brach die Wirtschaft der Stadt Charkiw stark ein – wie auch in den meisten anderen Regionen der ehemaligen Sowjetunion. Die Stadt Nürnberg startete damals einen Spendenaufruf zugunsten der neuen Partnerstadt, der großen Zuspruch erlangte.

Zum Dank für die geleistete humanitäre Hilfe schenkte die Künstlergruppe Art-Bat der Stadt Nürnberg dieses Gemälde. Die Idee zu dieser völkerverbindenden Arbeit hatten die Charkiwer Künstler Wladislaw Safronow und Alexander Schimow, weil sie von der Hilfsbereitschaft der Nürnberger so beeindruckt waren. Am 4. März 1993 überreichten sie das Geschenk dem an den damaligen Oberbürgermeister Peter Schönlein. Safronow, Leiter der Künstlergruppe, wurde am 13. Mai 1965 in Charkiw geboren und studierte an der Hochschule für Kunst und Design Charkiw. Heute ist er freischaffender Künstler und Dozent der Künstlergilde Ulm und im Kunststudio Academia Augsburg.

Dreißig Charkiwer Künstlerinnen und Künstler waren an der Entstehung des Gemäldes beteiligt. Es ist in ebenso viele einzelne Felder eingeteilt, die von den verschiedenen Künstlern bemalt wurden. Sie unterscheiden sich sowohl stilistisch als auch thematisch und sind teilweise signiert. Es entsteht dadurch ein patchworkartiger Eindruck. Das Bild, das die Freiheit und das Streben der Menschen nach gegenseitigem Verständnis und Zusammenarbeit symbolisiert, wurde innerhalb eines halben Jahres geschaffen und trägt den Titel „Europa ohne Grenzen“. Der an sich zeitlose Gedanke der Völkerverständigung und Zusammenarbeit ist allerdings heute aktueller denn je.

Die Kunstsammlungen der Stadt nahmen das Werk in ihren Bestand auf, ließen es rahmen und übergaben es als Bürobild dem Einwohneramt. Jetzt hängt es in der Halle der Führerscheinstelle.

Künstlergruppe „Art-Bat“, Charkiw: Europa ohne Grenzen, 1992, Öl auf Leinwand (Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg)

Ein Schülerwettbewerb zu Dürer

2010 fand in Charkiw ein Kinder-Malwettbewerb statt, der von der dortigen städtischen Kunstschule ausgelobt wurde. Ziel war es, die Auseinandersetzung mit dem Werk des großen Nürnberger Künstlers Albrecht Dürer zu fördern. Themenkategorien waren „Albrecht Dürer und das 21. Jahrhundert“ und „Die Stadt Nürnberg“. Es wurde bewusst über die Landesgrenzen hinweg zur Teilnahme aufgerufen. So gingen schließlich 400 Blätter von Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen sechs und sechzehn Jahren aus der Ukraine, Russland, Weißrussland, Bulgarien, Ungarn und Deutschland beim Wettbewerb ein. Im Dezember 2011 wurde in Zusammenarbeit mit dem Amt für Internationale Beziehungen der Stadt Nürnberg und dem Nürnberg-Haus, Charkiw, eine Auswahl preisgekrönter Arbeiten des Wettbewerbs im Albrecht-Dürer-Haus in Nürnberg in einer Studioausstellung gezeigt. Die Kreativität der jungen Künstlerinnen und Künstler bei der Beschäftigung mit ihrem Vorbild war beeindruckend.

Albrecht Dürer ist der europäische Künstler, bei dem die Auseinandersetzung mit seinem Werk die vermutlich längste, konstanteste und intensivste Tradition aufweist. Dieses „Dürer-Nachleben“, das seit 1871 zu den besonderen Sammlungsschwerpunkten der Albrecht-Dürer-Haus-Stiftung e.V. zählt, ist daher auch in der zeitgenössischen Kunst weltweit ein unverändert großes Thema. Diese Sammlungen werden betreut von den Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg.

Anastasija Sawchenko, Charkiw: Ohne Titel (nach Albrecht Dürer: Maria mit der Birnenschnitte, 1512), 2010. [Geschenk der Künstlerin]

Das preisgekrönte Bild der damals achtjährigen Schülerin Anastasija Sawchenko aus Charkiw, das auch das Ausstellungsplakat schmückte, wurde anlässlich der Nürnberger Ausstellung der Albrecht-Dürer-Haus-Stiftung geschenkt. Das Vorbild ist Dürers Gemälde „Maria mit der Birnenschnitte“ aus dem Jahre 1512, heute im Kunsthistorischen Museum in Wien. Eine Kopie des Dürer-Gemäldes von Georg Ort (1888–1958) ist dauerhaft im Dürersaal im Albrecht-Dürer-Haus zu sehen. Im Gegensatz zur minutiös genauen Kopie Orts hat Sawchenko das Motiv frei variiert. Im Medium des Aquarells wird die Farbigkeit heller, vor allem fügt die junge Künstlerin einen Reigen von Engeln in der himmlischen Zone hinzu, was entscheidend zum heiteren Charakter des Bildes beiträgt. Der internationale Wettbewerb zeigte auf beeindruckende Weise, dass die Kunst über Ländergrenzen hinweg unser gemeinsames Erbe darstellt.

Weitere Werke ukrainischer Künstler in der Sammlung der Albrecht-Dürer-Haus-Stiftung (Auswahl)

Konstantin Kalynovych, Lugansk: Dürers Traum, 2005.

Konstantin Kalynovych, Lugansk: Schwarzer Fluss, 2005.

Vasiliy Pilka, Krivoy Rog: Denkmal des Kosaken Charko (der legendäre Gründer des Stadt Charkiw). [Geschenk des Generalkonsuls der Ukraine, Yuriy Yarmilko, München, anlässlich seines Besuches im Dürerhaus 2018.]

Wer den Menschen in Charkiw helfen möchte, kann dies ab sofort durch eine Spende an den Partnerschaftsverein Charkiw-Nürnberg tun. Der Verein engagiert sich seit 1993 für die interkulturelle Verständigung und Vernetzung der beiden Städte und will mit den eingenommenen Spenden humanitäre Projekte in Charkiw unterstützen. Weitere Informationen finden Sie unter:
Charkiw im Krieg


Bildnachweis für alle Fotos (soweit nicht anders angegeben): Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg, Eigentum der Albrecht-Dürer-Haus-Stiftung e.V.

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