Museenblog Nürnberg

Neueste Beiträge

Kategorien

1 / 7 / 2021

Kaiserportraits an den Wänden…

...und Nürnbergs politische Elite mitten im Bild

Ein herausragendes Gemälde des Nürnberger Malers Paul Ritter (1829-1907) findet seinen festen Platz im Stadtmuseum im Fembo-Haus. Es konnte im März 2021 durch die großzügige Unterstützung des Fördervereins Kulturhistorisches Museum Nürnberg e.V. für die städtischen Kunstsammlungen angekauft werden. Die historische Kulturmeile vom Rathaus zur Kaiserburg wird so um ein wichtiges Zeugnis Nürnberger Geschichte reicher.

Es gelang Ritter auch mit diesem Bild, ein beeindruckendes Zeitdokument zu schaffen, das die Eigenart Nürnbergs auf ganz besondere Weise herausstellt:
Stadtpolitisches Leben auf dem Gang und Kulturgeschichte an der Decke – der Hauptgang im zweiten Stock des Wolff‘schen Rathausbaues mit seiner prunkvollen Ausstattung wird zur innenarchitektonischen Kulisse einer Geburtstagszeremonie.

Auftraggeber des auf Leinwand gemalten Ölgemäldes mit einer Größe von 54 x 43,5 cm waren die dem Jubilar Karl Crämer besonders nahestehenden Parteifreunde. Bei einem Besuch im Atelier des Malers Paul Ritter am Vestnertorgraben 37 im Laufe des Jahres 1888 bestellten sie als Geschenk zum 70. Geburtstag ihres Freundes ein Bild mit einem sehr individuell ausgewählten Motiv:

Beglückwünschungsszene auf dem Gang im zweiten Stock des Nürnberger Rathauses zum 70. Geburtstag Karl Crämers

Schauplatz der Handlung ist der Korridor im zweiten Stockwerk des Rathauses mit der plastisch gestalteten Stuckdecke, die das in Nürnberg größte, je abgehaltene Gesellenstechen von 1446 zur Anschauung bringt. Die Blickachse erstreckt sich von Süd nach Nord. Bei der Gestaltung der Decke handelte es sich um eine Arbeit der Brüder Heinrich und Hans Kuhn aus Weickersheim aus dem Jahr 1621. Eine Attraktion waren ebenso die dargestellten figurengeschmückten Kamine aus der Erbauungszeit des Wolff‘schen Rathausbaues sowie die Kaiserportraits, von denen links vom Portal des Standesamtes deutlich das lebensgroße Gemälde von Kaiser Josef II. erkennbar ist.

Das Bild zeigt den Moment, wie Karl Crämer aus dem kleinen Rathaussaal, dem jetzigen Prunksaal, in welchem früher die Trauungen stattfanden, als Standesbeamter heraustritt und auf dem Korridor im zweiten Stock des Rathauses von seinen dort versammelten Parteifreunden zu seinem 70. Geburtstag beglückwünscht wird. Als erster Gratulant erscheint im Bild Rechtsanwalt Otto Erhard (zum Zeitpunkt der Bildfertigstellung verstorben), daneben reihen sich der Vorstand des Gemeindekollegiums Julius Stief und Kommerzienrat Wilhelm Heinrichsen ein. Dahinter erscheinen als Zweiergruppe Justizrat Wolf Frankenburger mit Feuerwehrkommandant Friedrich Amberger. Von der anderen Seite treten Magistratsrat Eduard Vollrath und der damalige Chefredakteur des Fränkischen Kuriers Dr. Hermann Eberhard an den Jubilar heran.

Bitte klicken Sie auf die Markierungen im Bild. Dort können Sie Portraits der einzelnen Persönlichkeiten sehen und mehr über sie erfahren.

Unter der Gruppe, die rechts im Bild zu sehen ist, befinden sich Pfarrer Max Kraussold, Reichstagsabgeordneter Hermann Beckh, Landrat Ludwig Gebhardt, Brauereibesitzer Johann Bernreuther (bereits schon 1886 verstorben) und Landgerichtsdirektor Dr. Karl Herz. Im Hintergrund ist ein weiterer Gratulant erkennbar, der, den Hut ziehend, gerade aus dem Sitzungssaal kommt und auf den von Sonnenstrahlen erhellten Gang tritt.

Die Personen ohne Markierung sind Ludwig Gebhardt, Dr. Karl Herz und Johann Michael Bernreuther. Doch es ist uns noch nicht gelungen, die Namen den Abgebildeten zuzuordnen.

Figürliche Szenerie

Die Gemeinsamkeit der auf dem Gemälde dargestellten Persönlichkeiten besteht in deren übereinstimmenden politischen Gesinnung. Die Dargestellten waren Mitglieder der Deutschen Freisinnigen Partei bzw. des Lokalausschusses der Deutsch-freisinnigen Partei der Stadt Nürnberg. Das am 8. Dezember 1888 zum 70. Geburtstag Karl Crämers als Geschenk von den Parteifreunden überreichte Ölgemälde Ritters galt gleichzeitig als Anerkennung für dessen 40jähriges Bemühen um das öffentliche Wohl verbunden mit dem 40jährigen Abgeordnetenjubiläum.¹

Zusammen mit einer Deputation der Partei übernahm Landgerichtsdirektor Karl Herz die Geburtstaglaudatio sowie die Übergabe des Festgeschenks: „Wir beglückwünschen Dich aufrichtig und herzlichst im Namen des Landesausschusses und des Lokalausschusses der Deutschfreisinnigen Partei. Zugleich sind wir die Ueberbringer einer Festgabe zur Erinnerung an diesen schönen Tag. Auf dem Bilde findest Du die Räume, in denen Du viele, viele Jahr fruchtbringend gewirkt hast, findest Dich selbst und einige Deiner alten Freunde. Nimm die Gabe freundlich an und auf, bewahre uns Deine Freundschaft und erhalte der Partei Deine thatkräftige Unterstützung. Bleibe ihr Rather und Führer!“²

 

Zuletzt noch ein Aufruf in eigener Sache:

Helfen Sie mit bei der Ritter-Bild-Portrait-Suche!

Drei Personen der Gruppe rechts auf dem Ölgemälde konnten aufgrund bisher fehlender Vergleichsportraits noch nicht identifiziert werden. Es handelt sich um:

Ludwig Gebhardt
8.2.1832 Marktbreit – 1.1.1911 Nürnberg
Kommerzienrat, Gemeindebevollmächtigter, Holzgroßhändler

Dr. Karl Herz
21.12.1831 in Würzburg – 8.5.1897 Aschaffenburg
Landesgerichtsdirektor, Politiker

Johann Michael Bernreuther
9.1.1833 Nürnberg – 7.12.1886 Nürnberg
Bierbrauereibesitzer und Gemeindebevollmächtigter

Falls Sie uns weiterhelfen können, so würden wir uns freuen, wenn Sie uns einfach im Kommentarfeld einen Hinweis hinterlassen würden! Oder schreiben Sie uns per E-Mail
kunstsammlungen@stadt.nuernberg.de

 

Entdecken Sie auch das Gemälde vor Ort in der eindrucksvollen Museumsatmosphäre des Stadtmuseums im Fembo-Haus und begeben Sie sich dabei auf eine Zeitreise durch verschiedene Jahrhunderte der Stadtgeschichte.


Der zweite Teil des Blogbeitrags gibt Einblick in die verschiedenen Zeitebenen, in die uns das Gemälde durch den besonderen Darstellungsstil Ritters blicken lässt.
Zwischen Stechstangen, Rössern und Gauklern – Nürnberger Patriziersöhne auf der Stuckdecke

Im dritten und letzten Teil erfahren Sie weitere Details zur prunkvollen Ausstattung des Rathausganges.
Heizen in göttlicher und kaiserlicher Gesellschaft


Dr. Silke Colditz-Heusl arbeitet als freischaffende Kunsthistorikerin in Nürnberg und forscht seit vielen Jahren zur Künstlerfamilie Ritter. Sie ist 1. Vorsitzende des Fördervereins Kulturhistorisches Museum Nürnberg e.V.
Unter anderem bietet Sie die zweiteilige Führung „Ritterlich durch die Stadt – Kulturgeschichte mal anders“ an, in der Stadtgeschichte über Themen und Motive aus den Werken Paul Ritters vermittelt wird und am Grab des Künstlers auf dem Johannisfriedhof endet.
Buchbar über
kunstservice-colditz.de

¹ Die Deutsche Freisinnige Partei (auch Deutsch-freisinnige Partei) bestand von 1884-1893 als liberale Partei während des Deutschen Kaiserreichs. 1893 bildete sich die Freisinnige Volkspartei, die aus einer Aufspaltung der Deutschen Freisinnigen Partei hervorging und 1910 in der Fortschrittlichen Volkspartei aufgegangen ist. Sie knüpfte an die Tradition der Deutschen Fortschrittspartei an.

² F.K. Nr. 631, Abendblatt, 8.12.1888, S.2.

Literaturverzeichnis

Schreibe einen Kommentar
Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit einem * markiert.

*

*