Mit der Übergabe an das Königreich Bayern am 15. September 1806 verlor Nürnberg endgültig sein Privileg als freie, nur direkt („unmittelbar“) den deutschen Kaisern unterstehende Reichsstadt. Es war das Ende einer Zeit der Verschuldung und der Unsicherheit – aber ein Ende mit Schrecken.
Die Uhren zeigten Punkt zehn Uhr vormittags, als am 15. September 1806 der Bevollmächtigte Kaiser Napoleons die Stadt Nürnberg feierlich an Bayern übergab. Vor eifrig paradierendem französischem und Nürnberger Militär sowie unter Glockengeläut und Kanonendonner nahm der bayerische Generalkommissär für die fränkischen Neuerwerbungen, Carl Friedrich Graf Thürheim, die Huldigungen der Repräsentanten der Stadt entgegen. Es war das endgültige Ende der Zeit als freie Reichsstadt, die Nürnberg über 550 Jahre gewesen war.
Der Übergabe an das Haus Wittelsbach vorangegangen war eine Phase der Unsicherheit und Handlungsunfähigkeit der Stadt, inklusive mehrmaliger französischer Besetzung und des Versuchs des Rates, sich dem König von Preußen zu unterwerfen (der aufgrund der hohen Schulden der Stadt dankend ablehnte). Auch Napoleons ehrgeiziger Marschall Jean-Baptiste Bernadotte betrieb zeitweilig Pläne, die ehemals preußischen Fürstentümer Ansbach und Bayreuth zusammen mit der Stadt Nürnberg zu einem großen Fürstentum Franken unter seiner Herrschaft zu vereinen. Schließlich schuf Napoleon vollendete Tatsachen, indem er im Sommer 1806 für die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation sorgte und Nürnberg seinem neuen, frisch zum Königreich erhobenen Bündnispartner Bayern schenkte.
Die Folgen für Nürnberg waren umfassend: Die seit 1525 lutherische Stadt wurde Teil eines katholischen Königreiches. Immerhin jedoch hatte Max Joseph von Bayern bereits im Juli allen neu hinzugewonnenen protestantischen Untertanen (darunter auch Augsburg) Religionsfreiheit zugesagt. Vielfältige Errungenschaften der vergangenen Jahrhunderte wurden mit einem Federstrich beseitigt, das alte Münzamt gesperrt, diverse in der Stadt genutzte Geldsorten im Wert herabgesetzt. Zahlreiche Offiziere und Mannschaften des alten reichsstädtischen Militärs und der Polizei sowie weitere Beamte wurden entlassen, 1809 die Nürnberger Universität in Altdorf aufgelöst. Der Rat der Stadt tagte zwar weiter, aber die Macht ging nun von München aus (oder stellvertretend vom neu eingesetzten Nürnberger Polizeidirektor Christian Wurm).
Bereits im November folgten im Nürnberger Umland erste Aushebungen junger Männer für das bayerische Heer, knapp ein Jahr später auch in der Stadt selbst. Schon 1809 sollte mit Johann Christoph Sigmund von Stromer der erste Patrizierspross aus Nürnberg sein Leben für Bayern lassen (1812 folgten fünf weitere Patriziersöhne in Russland seinem Schicksal).
Ganz besonderen Groll zogen sich Staatsminister Montgelas und seine Vertreter Thürheim und Wurm aber durch die Plünderung zahlreicher Kunstschätze aus den Nürnberger Kirchen und öffentlichen Gebäuden zu, die teils nach München gebracht, teils verkauft, zerschlagen oder eingeschmolzen wurden. Getilgt werden sollten damit die Schulden der Stadt, die man auf enorme zwölf Millionen Gulden taxierte.
Doch Nürnberg erfuhr auch Aufwertung: Bereits 1807 wurden die Königliche Hofbank (von Fürth) und das militärische Generalkommando für Franken (von Bamberg) hierher verlegt. Ein Jahr später kam es zur territorialen Neuordnung Bayerns am Beispiel Frankreichs: Das Königreich wurde in fünfzehn nach Flüssen benannte Kreise aufgeteilt. Nürnberg wurde Sitz des Pegnitzkreises, erhielt eine eigene Finanzdirektion, ein Stadtgericht und ein Rentamt.
Am 16. Oktober 1808 besuchte dann König Max Joseph I. erstmals Nürnberg und erhielt am Neutor die Schlüssel der Stadt überreicht. Lange blieb er jedoch nicht: Nach dem Pferdewechsel reiste er ohne weiteren Aufenthalt weiter nach München. Wenige Tage später fand die letzte Sitzung des Kleineren Nürnberger Rats statt, der daraufhin aufgelöst wurde. Drei Jahre später folgte der (eher repräsentativen Zwecken dienende) Größere Rat als letztes Vertretungsorgan des Patriziats der Stadt.
Da wundert es wohl nicht, dass im Juni 1809 in Nürnberg einmarschierende österreichische Truppen neue Hoffnungen auf eine Rückkehr in das ehemals deutsche, nun österreichische Kaiserreich weckten. Graf Thürheim wurde als Zeichen des Ressentiments gegen München von einer aufgebrachten Menge fast gelyncht. Bald jedoch zogen wieder bayerische Truppen in Nürnberg ein – alles blieb beim (neuen) Alten. 1810 folgte dann quasi die Strafe: Der Pegnitzkreis wurde aufgelöst, Nürnberg dem Rezatkreis (seit 1838 Mittelfranken) mit Regierungssitz in Ansbach zugeteilt – und damit zur Provinzstadt degradiert.
Dieser Artikel des Historikers, Journalisten und Stadtrundgangsleiters Tim Sünderhauf ist ein Auszug aus dem Buch „Nürnberg. 55 Meilensteine der Geschichte“, erschienen 2023 im Sutton Verlag Erfurt, ISBN 9783963034367. Wir danken dem Autor (sowie dem Co-Autor Thilo Bayer) und dem Verlag für die Genehmigung zur Veröffentlichung.
Klaus Gimmler
6 / 12 / 2023 | 18:27
Sehr interessante Darstellung eines wichtigen Ereignisses in der Stadtgeschichte.
Gibt es noch vergleichbare Darstellungen z.B.
Nürnberg im 30-jährigen Krieg usw.?
Museenblog
9 / 12 / 2023 | 12:53
Gute Frage, die wir gerne an unsere Autoren weitergeben!
Viele Grüße
Das Team des Museenblogs