Stairway To Heaven ist der Titel eines Songs der legendären britischen Rockband Led Zeppelin, der 1970 produziert und über dessen Bedeutung viel spekuliert wurde. Robert Plant, Lead-Sänger der Band, formulierte schließlich „Ich glaube es ist ein Song über die Hoffnung“.¹ Passend für das Anliegen der inklusiven Performance-Gruppe rund um die schottische, in Nürnberg lebende Choreographin und Tänzerin Susanna Curtis, die ihre neueste Produktion angelehnt an den Song benennt: Stairways To Heaven.
2021 entwickelte sie mit ihrem Team das erste inklusive Tanzfestival EveryBody Dance Festival mit Performance-Künstlern aus Neuseeland, Schottland, den Niederlanden, Syrien, Italien und Deutschland. Dabei stand auch die erste Eigenproduktion auf dem Programm: In der Tafelhalle und im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände begeisterten die Aufführungen des Stückes Exploring Borders. Es führte vor Augen, dass alle Menschen Einschränkungen überwinden können und müssen, nicht nur jene, deren Einschränkungen sichtbar sind.
Trailer zum Stück Exploring Borders
Curtis & Co – dance affairs und EveryBody arbeiteten kontinuierlich weiter und gehen nun mit ihrer dritten Produktion an öffentliche Plätze – und erneut ins Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände. Die sieben Performenden mit und ohne Behinderung erforschen die Materialität und Funktionalität von Treppen und integrieren den unmittelbaren Augenblick in eine urbane Choreografie. Ironisch, metaphorisch oder auch nachdenklich werden die Symbolik von Treppen sowie die historischen Bezüge der jeweiligen Orte in die Aktion integriert. Gleichzeitig sind sich die Darstellenden bewusst, dass Treppen für viele Menschen ein Hindernis darstellen. Welche Barrieren gilt es hier zu überwinden? Als Supersportlerinnen oder Superhelden gekleidet, ist das Team von Stairways to Heaven? auf einer Mission – „every step they take“.
Die Tanzperformance ist ein Plädoyer für eine barrierefreie Stadt, für Inklusion im Gegensatz zu Exklusion. Auch in der Kongresshalle auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände prüfen die Tanzenden die spezifischen Eigenheiten des Ortes. Wie komme ich in die Ausstellung Nürnberg – Ort der Reichsparteitage. Inszenierung, Erlebnis und Gewalt oder in den Konzertsaal der Nürnberger Symphoniker? Die Vorstellung beginnt auf der Treppe der Symphoniker und führt mit improvisierten Tanzszenen in die Ausstellungshalle des Dokumentationszentrums. Der Symbolcharakter der Treppe, der für oben und unten, Gipfel und Tal, Himmel und Hölle, Erfolg und Scheitern steht, wird choreographisch aufgegriffen. Die Darsteller imitieren und sezieren die heroischen Posen der Athletinnen in Leni Riefenstahls propagandistischem Film Olympia und inspirieren sich gegenseitig durch die Beschäftigung mit heroischen Statuen, die die Nationalsozialisten überall an repräsentativen Orten aufstellten. Für das nie fertig gebaute Märzfeld war beispielsweise eine kolossale Siegesfigurengruppe des Bildhauers Josef Thorak geplant.
Der Zeitsprung in die Gegenwart bedeutet, der Frage nachzuspüren, ob die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, die Deutschland 2008 ratifizierte, bereits umgesetzt ist, beziehungsweise zu überprüfen, wie wenig zugänglich nach wie vor viele Orte in diesem Land sind.
1936 gab es noch keine Special Olympics, an denen Sportlerinnen und Sportler hätten teilnehmen können. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden Menschen mit Einschränkungen ausgegrenzt, stigmatisiert, sterilisiert, verfolgt und ermordet.² Mit der am 10. Dezember 1948 verkündeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wurde weltweit festgelegt, dass für alle Menschen die gleichen Rechte gelten müssen.³ 1968 gründete Eunice Kennedy-Shriver die Special Olympics in den USA.
Seither können Sportler und Sportlerinnen mit Einschränkungen ihre sportlichen Hochleistungen zeigen und sich untereinander messen. Diese Veränderungen in der internationalen Sportszene sind ermutigend und demonstrieren die Veränderbarkeit von Gesellschaften. Die Tänzerinnen und Tänzer werfen in der Performance Stairways To Heaven? ganz aktuell die Frage auf, inwiefern ihr Lebensumfeld tatsächlich barrierefrei und inklusiv ist oder welch unüberwindbare Hindernisse auch heute die Stadtgesellschaft prägen. Last but not least bleibt die Hoffnung bestehen, dass die Welt von morgen barrierefrei sein könnte.
Stairway To Heaven ist in der Region schon einmal prominent rezipiert worden: So initiierte der Fürther Politologe Dr. Alexander Mayer, dass die nach c-Moll transponierten sowie für das Läutwerk eines Glockenspiels überarbeiteten Takte 8 bis 16 seit dem 1. November 2007 täglich um 12.04 Uhr vom Glockenspiel im Turm des Fürther Rathauses zu hören sind.
Die Aufführungen finden vom 13. bis 22. Juni 2023 an verschiedenen Treppenstandorten in der Nürnberger Innenstadt und eine erweiterte Version im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände statt.
Mittwoch, 14. Juni 2023, 18 Uhr: Treppe am Köpfleinsberg, Kaiserstraße
Donnerstag, 15. Juni 2023, 19 Uhr: Treppe am Schauspielhaus, Sandstraße
Freitag, 16. Juni 2023, 18 Uhr: Treppe am Tafelhof Palais, Bahnhofstraße 4 (mit haptischer Einführung um 17.40 und Audiodeskription)
Dienstag, 20. Juni 2023, 18 Uhr: Treppe am Köpfleinsberg, Kaiserstraße
Donnerstag, 22. Juni 2023, 19 Uhr (extended version): Dokumentationszentrum
Start: Treppe zum Saal Nürnberger Symphoniker Bayernstr 100
Der Eintritt ist frei!
Weitere Informationen zur Aufführung im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände
Trailer zum Stück Stairways To Heaven?
Im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände findet die inklusive Tanzperformance in Kooperation mit dem Sportservice der Stadt Nürnberg im Rahmen des Host Town Program der Special Olympics statt. Das Projekt wird gefördert von der Stadt Nürnberg, der Zukunftsstiftung der Sparkasse Nürnberg und vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR. Es wird ermöglicht durch den Bayerischen Landesverband für zeitgenössischen Tanz (BLZT) aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst. Die Performance findet statt mit freundlicher Unterstützung der Tanzzentrale der Region Nürnberg e. V., des Staatstheaters und des Dokumentationszentrums Nürnberg sowie des SportService der Stadt Nürnberg (Host Town Program).
¹ Als Song über die Hoffnung leitet Plant selbst die Nummer auf dem Konzertfilm The Song Remains The Same ein. Vgl. auch „Stairway To Heaven“: Die Geschichte des Led-Zeppelin-Klassikers (udiscover-music.de)
² Wenige Monate nach der Etablierung der NS-Diktatur erließ die Regierung am 14. Juli 1933 das Gesetz zur Verhütung erbranken Nachwuchses und schuf damit die Grundlage für die Zwangssterilisation von rund 500.000 Menschen. Im Oktober 1939 verschärfte Adolf Hitler die sogenannte Rassenhygiene des NS-Regimes: Sein „Euthanasie“-Erlass wurde zum Todesurteil für Hunderttausende psychisch kranke und behinderte Menschen. Siehe auch: Vor 80 Jahren: Beginn der NS-„Euthanasie“-Programme | Hintergrund aktuell | bpb.de
³ 2006 beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen das „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ (Convention on the Rights of Persons with Disabilities – CRPD), das am 3. Mai 2008 in Kraft trat. Für die EU trat die UN-Behindertenrechtskonvention am 22. Januar 2011 in Kraft. Alle EU-Mitgliedstaaten unterzeichneten und ratifizierten das Übereinkommen.