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23 / 3 / 2023

Weltweit einziges Mars-Auto

Die Anfänge des Automobils in Deutschland

Vor dem Jahr 1900 spielte das Automobil weder wirtschaftlich noch gesellschaftlich eine große Rolle in Deutschland. Die wichtigsten Fortbewegungsmittel dieser Zeit waren das für die Mehrheit erschwingliche Fahrrad und die schnelle, bequeme Eisenbahn. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts erkannte man – vor allem Geschäftsleute und Landärzte – die Vorteile des Automobils hinsichtlich der individuellen Verfügbarkeit und des geringeren Zeitaufwandes gegenüber der Pferdekutsche und auch der Eisenbahn.

In diese Zeit fällt auch die Erfindung des Luftreifens durch André und Edouard Michelin. Dadurch waren höhere Geschwindigkeiten bei gleicher Motorleistung und eine leichtere Bauweise möglich. Die Nachfrage nach „Voituretten“ (frz. etwa „Kleinwagen“) und größeren Automobilen stieg stark an und übertraf nach kurzer Zeit die Liefermöglichkeiten der wenigen Hersteller. Dies veranlasste Firmen aus anderen Branchen, an dieser Entwicklung teilhaben zu wollen.

Die Mars-Fahrradwerke in der Sigmundstraße im Jahr 1897.

Eine literarische Darstellung um 1900 beschrieb das Automobil als “… komisch aussehendes Ding, eine Art Karikatur. Niemand wusste, ob er lachen… oder sich entrüsten sollte… In all seiner pittoresken Hässlichkeit ist es eine Wohltat und ein Segen… wir bewundern, wie es mit seinen großen Gummirädern samtig über den Boden rollt und sein Ziel erreicht, ohne zu ermüden.“ Die Ausführungen enden mit dem Wunsch: „… und möge ein begabtes Genie bald kommen, es zurechtschleifen und so herrichten, dass man es vorzeigen kann. Alles ist möglich, sogar ein gut aussehender selbstfahrender Wagen.“

Diese Entwicklung vollzog sich schneller als gedacht. Die Autos wurden zuverlässiger, leistungsfähiger und ihre Formensprache setzte nicht selten ästhetische Maßstäbe. Sportliche Wettfahrten spielten sowohl für die technische Weiterentwicklung als auch zur Imageverbesserung eine zunehmend bedeutsame Rolle.

Das Mars-Auto

Verkaufsfördernd wirkte aber auch die Gunstbezeugung Wilhelms II. für das Automobil, der sich einen Fuhrpark mit Lastkraft- und Personenwagen am Hofe hielt. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte sich die Automobil- und Zulieferindustrie in Deutschland zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor entwickelt.

Auch die Nürnberger Fahrradfabrik Mars stellte zwischen 1903 und 1907 „Voituretten“ in geringen Stückzahlen her. Zur Motorisierung griff man auf ein Aggregat aus Frankreich zurück. Die Firma De Dion-Bouton war mit ihren leichten Einzylindermotoren mit hoher spezifischer Leistung zum wichtigsten Hersteller geworden.

In Nürnberg war es Ludwig Maurer, der die ersten Automobile herstellte. Seine „Schnellfahrzeuge“ bewährten sich auch unter extremen Bedingungen. Bei einer Probefahrt im Jahr 1899 wurde die Überwindung des Burgberges als großer Erfolg gefeiert. Einige Jahre später fuhr Maurer persönlich die große Freitreppe des Nürnberger Apollo-Theaters hinauf – eine spektakuläre PR-Aktion des Nürnberger Autopioniers.

Im Museum Industriekultur wird das historische Werbefoto nachgestellt.

Für Mars wie auch für die zahlreichen anderen Kleinhersteller wäre eine eigene Motorenentwicklung niemals rentabel gewesen. Was die Kraftübertragung auf die Hinterachse anbelangte, kam eine Erfindung des Nürnberger Fahrzeugpioniers Ludwig Maurer zum Einsatz: die stufenlose Übertragung mittels zweier im 90° Grad-Winkel angeordneter und verschiebbarer Reibscheiben. Das Fahrzeug erreichte so mit 5 PS eine Höchstgeschwindigkeit von immerhin 35 km/h.

Von den ohnehin seltenen frühen Automobilen aus Nürnberger Produktion haben nur wenige bis heute überlebt. Das Auto war damals kein Massenverkehrsmittel, sondern überhaupt nur für eine betuchte Klientel erschwinglich. Schließlich war ein solches Fahrzeug zum Preis von mehr als 3000 Mark für einen Arbeiter mit einem monatlichen Einkommen von 60 bis 70 Mark unerschwinglich.

Das Fahrrad dagegen, das bereits für 150 bis 200 Mark zu haben war, entwickelte sich in dieser Zeit zum ersten individuellen Massenverkehrsmittel.

Das in Nürnberg ausgestellte Mars-Auto ist heute das einzige seiner Art – und es ist nach wie vor fahrbereit.

Der längliche Korb an der Seite ist übrigens für einen Sonnenschirm gedacht, da das Mars-Auto ja kein Dach hat.

Aufgrund von Sanierungs- und Umbauarbeiten hat das Museum Industriekultur bis Ende 2025 geschlossen. Dabei wird auch die Dauerausstellung erneuert. In der Zwischenzeit können Sie das Museum mit virtuellen Ausstellungen, digitalen Rundgängen und anderen Online-Angeboten erkunden:
Museum Industriekultur digital

Informationen und Fotos zum Verlauf des Umbaus finden Sie im
(Um)Bau-Tagebuch


Matthias Murko war ab 1981 Mitglied der „Projektgruppe Industriekultur“, ab 1988 wissenschaftlicher Mitarbeiter und von 1996 bis 2018 Leiter des Museums Industriekultur.

 

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2 Kommentare zu “Weltweit einziges Mars-Auto

  • Egon Gerl
    2 / 12 / 2023 | 20:10

    Frage. Wie lange ist das Museum dieses Jahr noch geöffnet

    • Museenblog
      3 / 12 / 2023 | 16:08

      Das Museum Industriekultur ist seit 27. November 2023 für voraussichtlich zwei Jahre geschlossen.

      Viele Grüße

      Das Team des Museenblogs

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