Nürnberg ist nicht nur die Geburtsstadt von Norbert Schramm, dem großen Sportler und Eislaufstar der Achtziger Jahre. Nürnberg hat in puncto Eislauf eine viel ältere Tradition, die in eine Zeit weit vor dem Beginn der Olympischen Spiele zurückreicht. Damals gehörte das Schlittschuhlaufen zur Ausbildung von jungen Offizieren und war bald ein winterliches Vergnügen der bürgerlichen Gesellschaft, die sich Schlittschuhe leisten konnte.
Dementsprechend zeigt die Abbildung viele junge Herren, die sich in aufrechter Haltung auf dem Eis tummeln, ob in fescher Uniform oder in Frack und Zylinder; einige wenige Damen sitzen im vornehmen Eisschlitten und werden von Kavalieren geschoben. Augenscheinlich beherrschen alle Läufer den Schlittschuhschritt, der die Voraussetzung für das Gleiten ist. Dem Nürnberger Künstler Johann Adam Klein (1792-1875) ist es gut gelungen, diese typische Eislaufbewegung in seiner Darstellung einzufangen.
Erstes deutsches Eislaufbuch
Der Kupferstich wurde 1825 in Nürnberg veröffentlicht, und zwar als Frontispiz in einem Taschenbuch mit dem Titel „Der Eislauf oder das Schrittschuhfahren“. Es heißt tatsächlich Schrittschuhfahren, und zwar in Bezug auf Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803), der meinte, die Bewegung käme einem Schreiten nahe, „indem man, den homerischen Göttern gleich, auf diesen geflügelten Sohlen über das zum Boden gewordene Meer hinschritte“. Der Dichter fuhr selbst am liebsten auf großen Eisfeldern in friesischen Schrittschuhen, die wegen ihrer längeren Kufen am ehesten mit Eisschnelllauf-Schlittschuhen zu vergleichen sind.
Über den Verfasser des Buches, Christian Siegmund Zindel (1770-1853), ist nicht viel mehr bekannt, als dass er Sohn eines Pfarrers und beruflich im Kaufmännischen tätig war. Er gab in dem Buch das ganze Eislaufwissen der Zeit zum Besten: Meinungen führender Pädagogen, Empfehlungen zur Wahl der Schlittschuhe und Anleitungen zum Eislaufen. Den praktischen Teil hat er um einen literarischen Anhang mit Gedichten, Briefen, Berichten über Eislauffeste und die neueste Eislaufmode in Paris ergänzt. Damit war Zindel auf der Höhe der Zeit und hatte als erster in Deutschland über das Thema Eislauf publiziert.
Gut für Körper und Geist
Der Eislauf hatte Klopstock nicht nur zu literarischen Höhenflügen inspiriert, er fachsimpelte auch gerne darüber. „Von poetischen und literarischen Dingen hörte man ihn selten sprechen“, bemerkte der jüngere Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832). „Da er aber an mir und meinen Freunden leidenschaftliche Schlittschuhläufer fand, so unterhielt er sich mit uns über diese edle Kunst“. Sogar als Kunst bezeichnete Goethe das Schlittschuhlaufen, das nicht nur in Dichterkreisen ein hohes Ansehen genoss.
In seiner Gymnastik für die Jugend schrieb Joh. Chr. Friedrich GutsMuths 1796: „Ich kenne keine schönere Übung als den Eislauf, diese bezaubernde Bewegung, die uns von dem Gesetze der Gravitation gleichsam entfesselt.“ Die Vorteile sah der Pädagoge allerdings nicht nur in der Ästhetik, sondern auch im Effekt. „Reine Luft, durchdringende stärkende Kräfte, Beschleunigung des Umlaufs der Körpersäfte, Anstrengung der Muskeln, Übung in so mannigfaltigen geschickten Bewegungen, reines Vergnügen u.s.w. müßten nicht nur auf die körperliche Maschine des Menschen, sondern auch auf seinen Geist einen sehr mächtigen Einfluß haben“.
Erlernbar für alle
Goethe galt als eleganter Eisläufer und versetzte mit seiner Leidenschaft den ganzen Weimarer Hof, wo er in Diensten stand, ins Eislauffieber. Sogar der Herzog ermunterte seine Frau mit den Worten: „…thue mir den Gefallen u. fange Schrittschuh fahren wieder an“. Wenn auch überwiegend Männer auf dem Eis waren, gab es keinen Grund, warum nicht auch Frauen diese Bewegung lernen sollten. Was in den Niederlanden Normalität war, sollte sich in Deutschland nach und nach durchsetzen.
Goethe hatte das Eislaufen in Frankfurt gelernt. Er schreibt, dass er es „in kurzer Zeit, durch Übung, Nachdenken und Beharrlichkeit soweit gebracht wie nötig, um eine frohe und belebte Eisbahn mitzugenießen“. Damit ist wohl ein gewisser Trainingsaufwand gemeint, damit aus den ersten unbeholfenen Schritten ein leichtes Gleiten wird.
Auch Zindel schreibt, es müsse unbedingt eine gewisse Fertigkeit erworben werden, um den Eislauf genießen zu können. Er rät dem Anfänger, die ersten Versuche mit einem erfahrenen Freund zu unternehmen. Unter fachkundiger Anleitung und nach einer gewissen Zeit, wird man bemerken „daß nun der Körper in ruhiger gerader Stellung auf beiden Füßen ohne weitere Nachhülfe von selbst fortgleitet“. Diese Aussagen haben sich ihre Gültigkeit bewahrt.
Die Eisbahn als Theater
Apropos, bekanntlich hat sich der oberdeutsche Begriff Schlittschuh, den auch Goethe verwendete, gegenüber dem Schrittschuh durchgesetzt. Das Schlittern auf dem Eis war in der Volkssprache schon sehr fest verankert; Kinder auf dem Land schlitterten schon immer auf gefrorenen Sumpfwiesen, sei es auf platten Sohlen oder mit anderen gleitbaren Hilfsmitteln.
Erst die Dichter hoben den Eislauf auf eine metaphorische Ebene. Klopstock verband ihn mit der nordischen Mythologie. Für andere war er ein Sinnbild für das Leben, das Hinfallen und Wiederaufstehen. Im Gedicht „Eisbahn“ (1796) beschreibt Goethe diese als „neustes Theater“, das sich „aufthut in der Sonne Glanz“ und in dem sich das menschliche Miteinander spiegelt. „Alle streben und eilen und suchen und fliehen einander; Aber alle beschränkt freundlich die glättere Bahn“. Die Eisbahn war längst zum Treffpunkt der Gesellschaft geworden und sollte es noch einige Jahrzehnte bleiben.
Der Dutzendteich als Erholungsgebiet
Es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass das charmante Büchlein „für Jung und Alt“ genau zu der Zeit erschien, als eine Dutzendteich-Park-AG gegründet worden war, mit dem Ziel das seit 1713 bestehende Wirtshaus mit Garten zu einer öffentlichen Erholungsstätte auszubauen. Ob das Buch ein Erfolg war und wie es vom Publikum aufgenommen wurde, lässt sich nur erahnen.
Bekannt ist aber, dass sich der Dutzendteich zu einem außerordentlich beliebten Eislaufplatz entwickelte. Denn, als 1896 anlässlich der Bayerischen Landes-Gewerbe-Industrie und Kunstausstellung in Nürnberg die zweite künstliche Eislaufbahn Deutschlands errichtet wurde, musste diese wegen zu geringer Besucherzahlen 1905 schon wieder schließen. Ganz offensichtlich war die Natureisfläche auf dem Dutzendteich attraktiver als die Kunsteisbahn in der Halle.
Klimawandel, was nun?
In heutiger Zeit hat das Schlittschuhlaufen mit einem Naturerlebnis nur noch wenig gemein. Zugefrorene Seen werden immer seltener, auch der Dutzendteich macht da keine Ausnahme. Längst ist es nicht mehr in jedem Jahr so kalt, dass sich eine tragfähige Eisschicht bilden könnte. Zudem geraten die Eishallen der Gemeinden und die mobilen Eislaufflächen in den Städten angesichts der enorm gestiegenen Energiepreise immer häufiger auf den Prüfstand.
Ein bisschen bange wird einem schon im Hinblick auf die Zukunft des schönen Sports, der auch viel zur Gesundheit des Einzelnen, der allgemeinen Beweglichkeit und einer gewissen Entschleunigung beitragen kann. Gerade als Breitensport hätte der Eislauf wieder mehr Aufmerksamkeit verdient.
Die 1825 erschienene Publikation „Der Eislauf oder das Schrittschuhfahren“ können Sie auch online lesen
Digitale Bibliothek der Bayerischen Staatsbibliothek
Beate Kocher-Benzing ist Autorin, Journalistin und Kunsthistorikerin. Sie lebt in Stuttgart, ist Co-Autorin einer „Eislaufschule“ und beschäftigt sich mit der Geschichte des Eislaufs.
Mehr über den Künstler Johann Adam Klein erfahren Sie in dem Beitrag
Klein ganz groß
Und weitere Informationen zum Dutzendteich finden Sie in diesen Blogbeiträgen
Landschaft mit Seeblick
Südlichster Leuchtturm nördlich des Bodensees