Auf der Nordseite des Tucherschlosses in der Hirschelgasse schließt sich seit der Entstehungszeit des pittoresken Sandsteingebäudes aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein Garten an. Von außen nahezu uneinsehbar, diente er ursprünglich der privaten Erbauung, Geselligkeit und Repräsentation seiner patrizischen Besitzer. Und auch heute können die Besucherinnen und Besucher hier zwischen dem Museum Tucherschloss und der Rekonstruktion des Hirsvogelsaals entspannen, in fröhlicher Runde picknicken, dem Boule-Spiel frönen oder in einer ruhigen Nische den Laptop aufklappen. Mit seiner strengen Geometrie, den immergrünen Formgehölzen und dem mit Betonsteinen eingefassten Wasserbecken hat der zum Stadtjubiläumsjahr 2000 nach den Strukturprinzipien der Renaissance gestaltete Schlossgarten an sich schon einen skulpturalen Charakter. Für Museumsleiterin Ulrike Berninger ist die Historie und Moderne vereinende Anlage prädestiniert für die Begegnung mit zeitgenössischen Skulpturen, wie sie erzählt.
Warum widmet sich das Museum Tucherschloss in seinem Außenbereich der modernen Plastik?
Anfang der 2000er Jahre erwarb der damalige Direktor der städtischen Museen Franz Sonnenberger drei Metallskulpturen für den Vorplatz, die an Stelle von nicht gepflegten Blumenbeeten aufgestellt wurden. Die Arbeiten von Hubertus Hess, Heike und Helmuth Hahn sowie Meide Büdel verleihen dem Areal vor dem Museum Tucherschloss eine kulturelle Wertigkeit. Als ich 2008 die Leitung des Hauses übernommen habe, griff ich das Thema Skulpturen auf und konzipierte die erste Ausstellung mit Werken von Andreas Kuhnlein im Schlossgarten. Vier die Menschenalter darstellenden Kopfplastiken sowie den „Narziss“ des international renommierten Holzbildhauers konnten wir ankaufen und dauerhaft im Garten platzieren.
Abgesehen davon, dass ich seit jeher ein Faible für die Gattung Skulptur habe, möchte ich Künstlerinnen und Künstlern die Gelegenheit geben, bei uns auszustellen. Zudem kann ich so den Gästen des Museums immer wieder neue Anreizpunkte zur persönlichen Auseinandersetzung auch mit zeitgenössischer Kunst und zu deren individueller Interpretation bieten. Da das Tucherschloss im Inneren patrizische Wohnkultur zeigt und mit wertvollen Exponaten vollständig eingerichtet ist, gibt es dort kaum Raum für zusätzliche Sonderausstellungen – andererseits ist für Skulptur aber der Open-air-Bereich im Garten und im Schlosshof geradezu ideal.
Wie integriert sich die moderne Plastik in der historischen Anlage?
Zu Renaissancegärten gehörten immer Skulpturen. Ich finde es spannend, wenn es Bezüge gibt zwischen der Kunst und der Gartengestaltung, wenn die Natur ein Äquivalent zur Kunst ist, sich beide ergänzen, sich gegenseitig steigern oder wirkungsvolle Kontraste setzen. Und wenn die Exponate Blickachsen öffnen, die die Besucherinnen und Besucher intuitiv erfassen können. In unserer aktuellen Ausstellung mit Werken der Bildhauerin Michaela Biet nimmt etwa ihre eigens für den Standort geschaffene Arbeit „Geöffnete Form“ formalen Bezug auf die hinter ihr gestaffelten Buchsbaumkugeln, und der „Seestern“ bezieht sich inhaltlich auf den modernen Brunnen. Die Kunstwerke müssen sich im Garten behaupten können, dürfen aber nicht zu dominant sein. Und natürlich müssen die Ausstellungsstücke qualitativ sein, von der Ästhetik und dem künstlerischen Anspruch her passen ebenso wie zum historischen Ort.
Auf welchem Weg finden die Kunstschaffenden und der Garten zueinander?
Manche Künstlerinnen und Künstler melden sich, weil sie den Hirsvogelgarten schön finden und sich ihre Arbeiten hier gut vorstellen können, oder Galerien fragen an. Ich recherchiere in Kunstmagazinen, besuche Ausstellungen und lese die Kritiken. Mir liegt das nicht Rein-Abstrakte, viele Ausstellungsstücke drehen sich um das Thema Mensch. Und ich suche nach unterschiedlichen Materialien. Mit Andreas Kuhnlein aus dem Chiemgau und dem Nürnberger Stefan Schindler haben sich zwei Holzbildhauer präsentiert, Michaela Biet bevorzugt Stein und Eisen, als nächstes könnte ich mir Arbeiten aus bislang noch nicht gezeigten Materialien vorstellen: Keramik, Kunststoff, Alu oder vielleicht ganz anderes. Bisher stammten die Ausstellenden alle aus dem süddeutschen Raum. Die mögliche Herkunft würde ich gern erweitern, durchaus über die Landesgrenzen hinweg. Auch skulpturale Kunst aus Nürnbergs Partnerstädten wäre natürlich denkbar.
Wie kommt der Skulpturengarten bei den Museumsgästen an?
Seit der Corona-Pandemie ist unser Schlossgarten zum Resilienzraum geworden. Daher öffnen wir ihn nun von Frühjahr bis Herbst auch dienstags und mittwochs kostenlos, wenn das Museum Tucherschloss und der Hirsvogelsaal geschlossen sind. Unser Angebot wird sehr gut angenommen: von Anwohnern, Studierenden und Berufstätigen aus der Nachbarschaft, aber auch von Touristen. Die Ausstellungsführungen sind besonders gut besucht, wenn die Kunstschaffenden selbst dabei sind und authentische Einblicke geben.
Können Sie ausgestellte Werke ankaufen oder gibt das der städtische Etat nicht her?
Es wäre schön, wenn das immer gelingen würde. Zumindest jeweils ein Exemplar der Arbeiten, die speziell für diesen Ort hier geschaffen wurden, würde ich gerne von jeder Künstlerin, von jedem Künstler erwerben. So kann sich der Schlossgarten nach und nach in einen kleinen Skulpturenpark verwandeln. Aber es gibt nur einen gemeinsamen Ankaufsetat für die insgesamt neun Museen der Stadt Nürnberg – und um die Mittel bewerben sich natürlich alle Häuser.
Die Ausstellung „Kosmos. Skulpturen von Michaela Biet“ wurde bis einschließlich 8. Mai 2023 verlängert. Inklusive Museum Tucherschloss und Hirsvogelsaal kann sie am Montag von 10 bis 15 Uhr, am Donnerstag von 13 bis 17 Uhr und am Sonntag von 10 bis 17 Uhr besichtigt werden. Der Besuch ist im Museumseintritt von 6 Euro, ermäßigt 1,50 Euro, inbegriffen.
Ab 4. April 2023 laden wir zusätzlich wieder dienstags und mittwochs, jeweils von 10 bis 19 Uhr, zum kostenlosen Besuch in den Schlossgarten ein, Museum und Hirsvogelsaal sind an diesen Tagen allerdings geschlossen.
Ein Beitrag über den Holzbildhauer Stefan Schindler
„In einer lauten Zeit ist die Stille das Spektakuläre“