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28 / 2 / 2022

Wer spielt, bleibt jung

Erinnerungen an Helmut Schwarz

Am 20.02.2022 verstarb Dr. Helmut Schwarz, der ehemalige Leiter des Spielzeugmuseums und Spielearchivs Nürnberg mit 69 Jahren plötzlich und unerwartet. Aus diesem Anlass widmen ihm die Museen der Stadt Nürnberg diesen Blogartikel – ganz im Sinne des Verstorbenen – in Form von persönlichen Erinnerungen aus seinem Leben und Wirken für die Nürnberger Kulturlandschaft.

Helmut Schwarz – der Pionier des Spielerarchivs im Haus des Spiels

Christin Lumme

Kisten über Kisten stapeln sich 2010 in der Nürnberger Sigmundstraße. Helmut Schwarz und die beiden Mitarbeitenden Torsten Lehmann und Stefanie Kuschill begutachten die Kartons, in denen 30.000 Gesellschaftsspiele schlummern: Das Deutsche Spielearchiv Marburg hat seinen Weg in die Spiele- und Spielzeugstadt Nürnberg gefunden. Ich selbst kenne diese Episode nur aus den lebendigen Erzählungen meiner Kolleg_innen. Auf der einen Seite glücklich und stolz, dass es gelungen ist, diesen Schatz an Spielgeschichte nun bei den Museen der Stadt zu pflegen, auf der anderen aber auch wissend, dass die größten Herausforderungen noch kommen: Wo soll die Sammlung langfristig untergebracht werden? Wie lange wird die Aufarbeitung und Erschließung des riesigen Spielebestands wohl dauern? Und wie kommuniziert man eigentlich am besten die Geburtsstunde einer neuen Kulturinstitution in Nürnberg? Aus den Kisten heraus entstand die erste Ausstellung „Mitspieler gesucht!“ im Stadtmuseum im Fembo-Haus.

Der Initiative von Helmut Schwarz, engagierter Museumsleiter mit Leib und Seele, ist es zu verdanken, dass sich Nürnbergs spielerisches Herz heute am Egidienplatz befindet. 2010 zog die Nürnberger Stadtbibliothek aus dem Pellerhaus aus. Eine gute Chance, das „Deutsche Spielearchiv Nürnberg“ in der Altstadt anzusiedeln und aufzubauen. Kaum zwei Jahre später folgte der Einzug der Sammlung samt Bibliothek, Büros und ersten Mitarbeitenden. Von dort an hieß es: ankommen, auspacken, spielen. Die Vision von Helmut Schwarz ging weit über die bloße Sammlung von Brettspielen hinaus. Er sah die Chance, rund um die Spielesammlung langfristig ein lebendiges Zentrum der Spielekultur zu etablieren, das sich wissenschaftlich, archivarisch-museal, aber auch ganz praktisch der Förderung des Gesellschaftsspiels verschreibt. Baulich ist das Nürnberger Pellerhaus dafür ein genialer Ort. Die ehemaligen Depotgeschosse eignen sich hervorragend zur Aufbewahrung der Spielesammlung, die Lesesäle für Veranstaltungen aller Art, das repräsentative Foyer mit Einblick in den rekonstruierten Pellerhof als Treffpunkt und Präsentationsraum. Einziges Manko: Die Infrastruktur des Hauses ist in die Jahre gekommen, eine Generalsanierung ist dringend und zwingend notwendig. Von Beginn an setzte er sich für eine Sanierung und Belebung des Gebäudes als spielbezogenes Kulturzentrum ein, mit dem bewahrenden Herz des Deutschen Spielearchivs als Nukleus.

Blaue Nacht im Foyer des Pellerhauses. Foto: Marie Theres Graf

Wer Helmut Schwarz kannte, den wird es nicht verwundern, dass er sich auch nach seinem Ausscheiden als aktiver Leiter von Spielzeugmuseum und Spielearchiv weiterhin seinem Herzensthema verschrieb. Ich lernte ihn gleich in den ersten Tagen meines Arbeitsbeginns im Deutschen Spielearchiv kennen. Damals, im Jahr 2015, frisch im Ruhestand angekommen, arbeitete er im Nürnberger Pellerhaus gemeinsam mit Marion Faber den Nachlass der Spielzeugmuseumsgründerin Lydia Bayer auf. Das Ergebnis, die umfassende Publikation „Spielräume“, überreichte er mir stolz im Jahr 2019. Parallel war er für das Team im Deutschen Spielearchiv bis zu seinem Tode versierter Ansprechpartner und Berater in allen Belangen, seien es Spezialfragen zu besonderen Spielebeständen, wohlwollende Vernetzungen in die Spieleszene oder intensive Beratung bei der Gründung einer neuen Kulturinstitution, dem Haus des Spiels. Bei allen Themen und Zusammentreffen stand stets die Freude am kulturellen Thema Spiel und dem Spielen selbst im Mittelpunkt – und diese Freude war hochgradig ansteckend! Wer spielt, bleibt jung, heißt es. Für Helmut Schwarz traf dieses Sprichwort in vollstem Maße zu.


 

Helmut Schwarz – der Matchmaker, Mitstreiter und Freund

Gabriele Moritz

Ein Erfolgsrezept der Museumsarbeit von Helmut Schwarz war die kontinuierliche und intensive Pflege seiner Kontakte zu Sammler_innen und Unterstützer_innen von Spielzeugmuseum und Spielearchiv, weit über die Alltagsroutine hinaus: am Abend, am Wochenende und in den Ferien. Immer mit großer Leidenschaft, Fingerspitzengefühl und kulturhistorischem Sachverstand.

Davon konnte ich mir ein ganz persönliches Bild machen, als ich 2015 die Position als Abteiteilungsleiterin der Kulturhistorischen Museen antrat: Mit Helmut verbinden mich gemeinsame Studienjahre. Aus den Doktorandenseminaren der fränkischen Landesgeschichte bei unserem verehrten Lehrer Prof. Dr. Rudolf Endres sind enge freundschaftlich-kollegiale und lebenslange Beziehungen entstanden.

Schon als Leiter des Spielzeugmuseums und des Deutschen Spielearchivs Nürnberg hat sich Helmut um die Erforschung und die museale Würdigung der Leistungen jüdischer Unternehmer in der Nürnberger Spielwarenindustrie des 19. und 20. Jahrhundert äußerst verdient gemacht. Die Publikation „Die Spielemacher: J.W. Spear & Söhne. Geschichte einer Spielefabrik“ von 1997 gilt noch heute als eines der Standardwerke zur Nürnberger Spielzeug- und Industriegeschichte. Aus kleinen Anfängen entwickelte sich der 1879 in Fürth gegründete und 1898 nach Nürnberg verlegte Betrieb zu einem der weltweit bedeutendsten Unternehmen der Spielebranche. 1938 wurde die Firma J.W. Spear und Söhne in Nürnberg „arisiert“ und ihres Vermögens beraubt, viele Familienmitglieder wurden ins englische Exil getrieben, Hermann Spear – ein Urenkel des Firmengründers, wurde in Auschwitz ermordet.

Helmut Schwarz 1996 bei der Eröffnung des Spear Games Archives in Roughground House, dem ländlichen Anwesen von Francis und Hazel Spear in Hertfordshire, England.

Eines Tages im Jahr 2017 informierte mich Helmut Schwarz schließlich über die einmalige Chance zur Erweiterung der Bestände des Spielearchivs durch die mögliche Übernahme des sogenannten Spear‘s Game Archives, dem Firmennachlass, den die Nachkommen der Spears bisher in England pflegten. Es ist vor allem dem persönlichen Einsatz und freundschaftlichen Beziehungen von Helmut zu verdanken, dass die tiefe Verbundenheit der Familie Spear zu ihrer Heimatstadt Nürnberg trotz allem erlittenen Unrecht während der Nazizeit weiterlebte und sogar intensiviert werden konnte und dass dieser Spiele-Schatz seinen Weg zurück nach Nürnberg fand. Als Historiker und Museumsfachmann unterstützte Helmut Schwarz den letzten und äußerst geschichts- sowie familienbewussten letzten Firmenchef Francis Spear beim Aufbau seines ins Leben gerufenen Spear‘s Games Archive, das weit über 1500 Spiele sowie Firmen- und Familiendokumente aus der Zeit der Jahrhundertwende bis in die jüngste Vergangenheit beherbergte.

Helmut Schwarz mit Nachfahren der Familie Spear bei der Eröffnung des Spear Games Archives im Jahr 2018. Foto: Deutsches Spielearchiv Nürnberg

Als Francis Spear sein Archiv aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr betreuen konnte, beschlossen die Mitglieder der Spear-Stiftung, das gesamte Archiv in die alte Heimat nach Nürnberg zu überführen. Zur Sichtung der Bestände vor Ort sind Helmut und ich dann kurzentschlossen zu Hazel und Francis Spear nach Hartfordshire geflogen, genossen deren herzliche Gastfreundschaft und haben zwei Tage lang intensiv an den Vorbereitungen des Umzugs von England nach Franken gearbeitet. Helmut unterstützte mich dann in der Folge unseres England-Trips beim Entwurf der Schenkungsverträge an die Stadt Nürnberg und flog dann sogar nochmals mit unserem Restaurator Urs Latus nach England, um den sachgerechten Abtransport der Sammlung zu kontrollieren. Die Einweihung des Spear‘s Games Archive im Pellerhaus haben wir dann zusammen mit der Familie Spear, die eigens nach Nürnberg angereist war, groß gefeiert. Helmut und ich waren sehr stolz auf unseren gemeinsamen Coup. Mittlerweile hat sich das Spear‘s Games Archive zu einer wahren Fundgrube entwickelt für alle, die am Beispiel dieser Firma der deutschen und englischen Kulturgeschichte der Spiele im Industriezeitalter nachspüren wollen. Auch daran hat Helmut Schwarz ehrenamtlich mitgewirkt.

Video eines Gesprächs mit Dr. Helmut Schwarz aus dem Jahr 2021.

Überhaupt ist Helmut Schwarz im Ruhestand noch zum vertrauten Kollegen sowie zum geschätzten und erfahrenen Ratgeber für mich geworden. Gemeinsame Brainstorming-Runden bei Kaffee und Kuchen mit ihm waren immer ein Gewinn für uns alle, so auch jene am Freitagnachmittag Mitte Februar 2022. Als ich Helmut dann noch zum Abschied an die Eingangstüre des Pellerhauses begleitet habe, hat er mich nochmals auf die großen Chancen eines Haus des Spiels für Nürnberg hingewiesen und uns ermuntert, uns mit aller Kraft für dieses Kulturzentrum einzusetzen. Dass dies sein letzter wohlmeinender Rat an das Team des Spielearchivs sein sollte, konnte ich vor zwei Wochen allerdings nicht erahnen.


Wir werden das große persönliche Engagement und den Pioniergeist von Helmut Schwarz immer im Gedächtnis behalten und in seinem Sinne die Weiterentwicklung in einem hoffentlich sehr bald sanierten Pellerhaus gestalten.

Danke, Helmut!

 

Ein Kommentar zu “Wer spielt, bleibt jung

  • Ingrid Bierer
    1 / 3 / 2022 | 14:26

    Das sind zwei sehr schöne Würdigungen für Helmut Schwarz! Vielen Dank!

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