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27 / 3 / 2020

Gar nicht so bescheuert!

Zur Geschichte der Doppelscheuer von Wenzel Jamnitzer

Eines der beeindruckendsten Ausstellungsstücke im Museum Tucherschloss ist zweifellos die berühmte „Doppelscheuer“ des Wiener Goldschmieds und Kupferstechers Wenzel Jamnitzer. Wer das auf den ersten Blick seltsam anmutende Gebilde zum ersten Mal sieht, wird sich unweigerlich fragen, was es damit wohl auf sich hat: Zwei bauchige Schalen auf einem hohen Standfuß, die an den Rändern umgekehrt aufeinander gestülpt sind, so dass die eine Schale als Deckel der anderen dient. Wozu, wundert man sich, hat man sowas benutzt? Und was bedeutet eigentlich dieser komische Name: Doppelscheuer?

Wortherkunft und Geschichte

Etymologisch lässt sich die Sache recht schnell aufklären. Das Wort „Scheuer“, von mittelhochdeutsch „schiure“ (sprich: schüre, mit langem ü), hat mitnichten etwas mit dem Verb „scheuern“ (putzen oder abwatschen) gemein, sondern ist schlicht und ergreifend ein vom 14. bis zum 17. Jahrhundert gebräuchlicher und heutzutage ausgestorbener Ausdruck für einen Trinkbecher. Eine „Doppelscheuer“ ist also folgerichtig ein doppelter Trinkbecher – einer oben, der andere unten. Warum aber stülpt man die beiden übereinander?

Die beiden Becher der Doppelscheuer für den zeremonielle Hochzeitstrunk. Foto: Uwe Niklas

Das wiederum hat mit einem Brauchtum zu tun, der heute ganz und gar nicht ausgestorben ist: der Heirat. Doppelscheuern waren unter den Nürnberger Patriziern eine traditionelle Morgengabe, in der einem Brautpaar der zeremonielle Hochzeitstrunk gereicht wurde – die übereinander gesteckten Becher (einer für die Frau, der andere für den Mann) waren sozusagen ein passendes Sinnbild der ehelichen Verbindung. Ob das allerdings auch der ursprüngliche Gedanke hinter der Doppelscheuer war, oder ob nicht vielmehr ein praktischer Grund zu ihrer Entstehung führte (bei manchen Doppelscheuern unterscheiden sich die beiden Becher teilweise deutlich in ihrer Größe, so dass auch die Kombination Trinkgefäß und Dekanter denkbar ist), lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit sagen.

Zu viele Söhne, zu wenig Doppelscheuern…

Ausgemacht war jedenfalls, dass der Vater seinem erstgeborenen Sohn zu dessen Hochzeit die eigene Doppelscheuer vermachte (Leser, die mit mehreren Kindern gesegnet sind, werden wissen, was nun gleich kommt). In der Familie Tucher war das nicht anders: Als 1549 Paulus Tucher den heiligen Bund der Ehe mit Ursula Scheurl einging, überreichte ihm sein stolzer Vater Linhart seine eigene Doppelscheuer, die er 1512 zu seiner Heirat mit Magdalena Stromer erhalten hatte. So weit, so gut.

Wenzel Jamnitzer: Doppelscheuer, 1564. Foto: Uwe Niklas

Dummerweise hatte Linhart noch sechs andere Söhne. Unter ihnen: Herdegen Tucher, der im Jahre 1564 Katharina Pfinzing zur Frau nahm. Da nun die eigene Doppelscheuer natürlich schon vergeben war, musste um des Familienfriedens willen eine zweite her. Diese gab Linhart kurzerhand bei Wenzel Jamnitzer in Auftrag, der damals als einer der besten Goldschmiede in ganz Deutschland galt. Jamnitzer entwarf daraufhin ein prunkvolles, reich verziertes Gefäß aus feuervergoldetem Silber – jene Doppelscheuer, die heute neben dem nicht minder beeindruckenden, achtteiligen Tucher’schen Tafelservice im Museum Tucherschloss zu bewundern ist.

Der Festsaal mit Verlobungstafel im zweiten Obergeschoss des Tucherschlosses. Foto: Uwe Niklas

Wenn Sie also das nächste Mal zu einer Hochzeit eingeladen sind und noch ein Geschenk brauchen – denken Sie an die Doppelscheuer!

Museum Tucherschloss und Hirsvogelsaal


Der Text basiert auf einem Manuskript für eine Führung von Ulrike Berninger M.A., Leiterin des Museums Tucherschloss und Hirsvogelsaal.

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