Beim Ortstermin im Germanischen Nationalmuseum Mitte Oktober schlummerten Fayencen, Zeremonienhämmer, eine Silber-Bowle oder ein Solitaire Café-Gedeck aus Frankreich noch in den Depots des Germanischen Nationalmuseums. Doch Kuratorin Silvia Glaser, die die Ausstellung namens „Gewerbemuseum“ seit über 20 Jahren betreut, hatte ihre Wahl aus insgesamt 13.000 Stücken bereits getroffen. Die erklärenden Texte waren vorbereitet, der Katalog geschrieben.
Ein Gewerbemuseum als unternehmerischer Gründungsakt
Das Vorhaben war komplex. Warum haben Unternehmer und Bürger der Stadt Nürnberg solche großen Summen investiert, vor 150 Jahren, um ein Gewerbemuseum nach dem Vorbild des Londoner Victoria & Albert-Museums (früher South Kensington Museum) einzurichten? Warum ist aus diesen Anfängen im Jahr 1869 ein Unternehmen entstanden, das heute LGA heißt. Und wie erklär‘ ich’s den Museumsbesuchern?
Viele der Exponate wurden auf den Weltausstellungen jener Jahre in London, Paris oder Wien erworben. Die Initiative (und viel Geld) kam von den Nürnberger Industriellen Lothar von Faber und Theodor von Cramer-Klett. Die Unternehmer – man ahnt es schon – waren nicht an der Gründung eines Kunstmuseums interessiert. Sie wollten Vorbilder erwerben für die Ausbildung von Industriearbeitern, Meistern, Technikern. Der Impuls, der von der Erfindung der Dampfmaschinenkraft ausging, hatte die Produktionsbedingungen radikal verändert. Aus Handwerksbetrieben entstanden Kleinunternehmen; große Industrieunternehmen wie Siemens oder MAN nahmen in jenen Jahrzehnten ihren Anfang. Es fehlte an ausgebildeten Facharbeitern. Aus gelernten Schustern, Seifenmachern oder Bauernkindern mussten Industriearbeiter werden. Und die Qualität der deutschen – oder fränkischen – Produkte musste besser, ihr Design moderner werden.
Exponate erzählen spannende Geschichten
Aus heutiger Sicht sind die Geschichten, die die einzelnen Ausstellungsstücke erzählen, trotz der komplexen Hintergrundgeschichte allein faszinierend genug. Und Silvia Glaser kennt sie alle. Sie nimmt eine große strahlend blaue Vase mit weißen Schutzhandschuhen vorsichtig aus dem Regal: Nicht Porzellan (das lange Zeit nur die Chinesen herstellen konnten), sondern Fayence lautet die Produktbezeichnung. Fayencen sind Keramiken, Töpferware, die wie Porzellan aussehen (sollen). Der gelbliche oder rötliche Ton wird mit einer meist weißen (selten farbigen) deckenden Glasur überzogen. Dabei ist ein wesentlicher Bestandteil der Glasur Zinnfritte, fachlich Zinnoxid SNO2. Es war ein einträgliches, aber gefährliches Geschäft: Bei der Herstellung kamen Quecksilber und Blei zum Einsatz und die beteiligten Arbeiter erfreuten sich keiner hohen Lebenserwartung.
Ein schwerer Hammer aus Eisen mit einem Griff aus Nussbaumholz trägt die Aufschrift „Dem neuen Bau bring Segen ein am Gründungstag der erste Schlag“. Er kam am 10. Juli 1892 zum Einsatz, als die Grundsteinlegung des neuen, großen und noch heute am gleichnamigen Platz zu bewundernden Gewerbemuseums erfolgte. Dreht man ihn ein wenig, sieht man eine zweite Inschrift: Am 14. Dezember 1965 wurde er ein zweites Mal für ein Richtfest verwendet. So sind die Schaustücke, die bis ca. 1900 erworben und verwendet wurden, sprechende Zeugen spannender historischer Augenblicke.
Deshalb fehlt in der Ausstellung auch nicht eine Liste mit 36 Objekten, die sich ein Lyoner Museum im Mai 1914 für eine Ausstellung auslieh. Dann brach der Erste Weltkrieg aus, und anschließend haben die Lyoner Museumsmacher mit allerlei plumpen Ausreden die Rückgabe der Leihobjekte verweigert. 1975 entdeckte ein Kunstexperte auf einer Münchner Antiquitätenmesse die Silberbowle und die LGA kaufte ihr eigenes Kunstobjekt zurück. Woher der Händler, das renommierte Kunsthandelshaus Dr. Heuser & Co, das Objekt hatte, war nicht in Erfahrung zu bringen.
Die LGA als erfolgreiches Nürnberger Unternehmen
Die Ausstellung im Germanischen begnügt sich jedoch nicht mit wenigen Einzelstücken. Anhand von großen Fotoreproduktionen der Gründer, alten Ausstellungsplakaten und Filmen wird die Geschichte der LGA noch einmal transparent. Bis in die 1980 er Jahre war sie ein bedeutender Prüfdienstleister, führend bei Spielzeug und Möbeln, aber auch Fahrräder oder Baustabilität wurden auf Herz und Nieren getestet. Das Label „LGA getestet“ war ein bedeutendes und gerne gesehenes Qualitätssiegel und damit Marketing-Instrument. Insbesondere das aufstrebende Versandwarenhaus Quelle, dessen Kunden die Ware ja nur aus dem Katalog kannten, nutzte diese Möglichkeit, Vertrauen zu erzeugen. Auch an der Gründung der Stiftung Warentest im September 1964 – einer Lieblingsidee des Wirtschaftsministers und späteren Bundeskanzlers Ludwig Erhard (1897-1977) – war die LGA beteiligt.
In den 1990 er Jahren geriet die LGA in eine existentielle Krise. Der teure Neubau in der Tillystraße sowie ein Abschwung in der Baubranche erzeugten eine finanzielle Schieflage des Unternehmens, das als Körperschaft des öffentlichen Rechts KdÖR (seit 1916, vom König Ludwig III. persönlich angeordnet) hoheitsrechtliche Aufgaben wahrnahm. Mit Hilfe von engagierten Beratern, darunter der Nürnberger Unternehmer Dr. Thomas Diehl, gelang eine erfolgreiche Umstrukturierung. Große Teile, ganze Abteilungen des Unternehmens, wurden ausgegliedert und schlussendlich an den TÜV Rheinland verkauft. Die heutige LGA behielt ihr Stammgeschäft, die Bau-und Prüfstatik und Beratung mit über 20 Zweig- und Außenstellen in ganz Bayern.
Informationen zur Jubiläumsausstellung „150 Jahre Bayerisches Gewerbemuseum“
Peter Budig. Freier Journalist. Spezialist für Storytelling, Firmenbiografien und mehr. 2018/19 verfasste er die umfangreiche Firmengeschichte der LGA von 1869 bis heute. Man kann sie als PDF-Datei herunterladen
Weitere Themen und Texte unter www.peterbudig.de