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9 / 8 / 2018

„Wann ist eine Museums-Ausstellung wirklich gut?“

Interview mit Ausstellungsmacher Axel Hüttinger

Wie bringt man die Menschen ins Museum? Das ist eine der Fragen, die man sich in der heutigen Zeit als Ausstellungsmacher wohl mit am häufigsten stellt. Denn die Erwartungen der Besucher an museale Einrichtungen haben sich in den letzten Jahrzehnten teilweise drastisch verändert. Wo früher eine wissenschaftliche, passive Präsentation von Exponaten im Mittelpunkt stand, will der Besucher heute als aktiver Teilhaber sehr viel stärker in eine Ausstellung miteingebunden werden. Interaktivität, der Einsatz neuer Medien oder sogenannte Hands-on-Exponate, bei denen das Anfassen ausdrücklich erwünscht ist, spielen dabei eine wichtige Rolle. Das Museum soll von einem möglichst breiten Publikum erlebt und mit allen Sinnen erfahren werden.

Für eine solche Aufgabe sind Museen häufig auf die externe Hilfe von Spezialisten angewiesen, die über das entsprechende technische Know-How verfügen. Da trifft es sich gut, dass mit der Firma Hüttinger Interactive Exhibitions in Schwaig eine der weltweit führenden Anlaufstellen für innovative Ausstellungsgestaltung direkt vor den Toren Nürnbergs sitzt. Das Hauptaugenmerk des 1921 als Elektrotechnik-Ingenieurbüro gegründeten Familienbetriebs liegt dabei auf der Entwicklung interaktiver Modelle, mit denen technische, naturwissenschaftliche und natürliche Phänomene auf spielerische Weise verstanden werden können. Im Interview steht uns einer der beiden Geschäftsführer dieses „Hidden Champions“ in der Region, Axel Hüttinger, Rede und Antwort.

Herr Hüttinger, was ist innovative Ausstellungsgestaltung?

Axel Hüttinger: Die Frage bringt unser Dilemma als Ausstellungsmacher auf den Punkt. Die Antwort lautet: „Kenne deine Besucher.“ Diesen Satz habe ich zum ersten Mal von einem amerikanischen Ausstellungsmacher gehört. Nur ist die Aussage leider noch nicht genug von Interesse für Museumsmacher in Deutschland: Besucherorientierung? Hier muss noch viel getan werden.

Das Medium Ausstellung ist das denkbar schlechteste, um Wissenschaft frontal und mit inhaltlicher Tiefe zu kommunizieren. Eine Ausstellung kann nur einen Zweck verfolgen: Sie sollte die Menschen motivieren, etwas verstehen und lernen zu wollen, ihnen den Eindruck vermitteln, dass man sie ernst nimmt, und dass sie etwas verstanden haben oder verstehen können. Der Atomphysiker Frank Oppenheimer sagte einmal, dass niemand eine Ausstellung mit dem Gefühl verlassen dürfe, dass er „dümmer als andere“ sei.

Das Planetarium Moskau.

Spielt da auch Ihre persönliche Entwicklung eine Rolle?

Axel Hüttinger: Oh ja. Ich persönlich halte mich für relativ gebildet − bürgerliches Allgemeinwissen hat in meinem Leben erziehungsbedingt immer einen hohen Stellenwert. Und dennoch bin ich in einer Ausstellung mit Schautafeln und sehr langen Texten oft fast ein wenig verärgert. Ich bezweifle, dass der Großteil der Besucher begeistert eine Ausstellung verlässt, in der die Vermittlung hauptsächlich über Texte geschieht.

Der Sozialforscher Fritz Spangenberg hat selbst die Macher von Kindermuseen höflich darauf hingewiesen, dass man immer daran denken sollte, für wen man denn arbeite! „Wir klären erst einmal die wissenschaftlichen Inhalte und dann suchen wir uns einen guten Szenografen, der alles in eine populäre Ausstellungsarchitektur gießt.“ Dieser Betreiber-Ansatz ist meiner Meinung nach falsch, um nicht zu sagen naiv.

Das Programm „BodyWorks on Tour“ des Glasgow Science Centre.

Sie würden faktisches „Wissen“ also weglassen?

Axel Hüttinger: Eine gute Ausstellung ist ein affektives Medium für Aha-Erlebnisse. Faktisches Wissen ist leider nur sehr begrenzt zu vermitteln, aber man kann die Menschen an Themen heranführen und ihnen neue Perspektiven öffnen. Meiner Meinung nach sollten wir einen öffentlichen Ort planen, der reale physische Erlebnisse generiert, die mit allen Sinnen erlebbar sind.

Statt Innenarchitektur und Design müssten für Ausstellungsmacher hierzulande spezifische Lerntheorie und Psychologie eine größere Rolle spielen. Sie müssten bei der Gestaltung viel mehr ein Mittel zur Akzentuierung von Objekten sein, oder zur emotionalen Einstimmung, zur Sensibilisierung der Sinne. Oder zur Motivation. Am besten alles zusammen.

Nennen Sie ein gelungenes Beispiel für ein Museum?

Axel Hüttinger: Ein gutes! Die alte Forderung nämlich, die Menschen da abzuholen, wo sie sich befinden, bedeutet, den Menschen – aller Altersstufen! – ein Gefühl der Sicherheit ohne Stress zu geben: „Ich weiß, worum es hier geht, und das auf Anhieb.“ Das beste Beispiel war im Naturhistorischen Museum in Lyon. Am Eingang der Sonderausstellung „Sable“ war ein riesiges Bild einer ästhetischen Wüstenaufnahme mit dem Begriff „Sable“ angebracht, als Auftakt genial. Jeder Besucher, ganz gleich welcher Bildungsschicht er angehört, weiß sofort, worum es geht: um Sand.

Im zweiten Raum waren die Wände mit kleinen Reagenzgläsern bestückt, gefüllt mit verschiedensten Sandproben. Zentral gab es Mikroskope, mit denen die Besucher Sandproben betrachten konnten. Daher konnte man es wagen, in den darauffolgenden Räumen in die inhaltliche Tiefe zu gehen. Es wurden nun auch traditionell ausgestopfte Tiere in Vitrinen gezeigt, selbst Graphiken. Der Kritiker würde die Informationstiefe als homöopathisch bezeichnen, ich dagegen als visionär pragmatisch.

Und genau diese Einschätzung trifft auf die gesamte Ausstellung zu: angemessen detailliert, aber nicht überfrachtet. Danach erst ging es um Sand in Kunst und Kultur. Gestalterisch manifestierte sich das Thema nun in szenografischen Installationen wie beispielsweise in einem Minikino, wo Sequenzen aus Hollywoodfilmen gezeigt wurden: ein fluchender Will Smith, der im Film „Independence Day“ einen Alien durch die Wüste schleift. An anderer Stelle wurden die Besucher mit einer „Glas-Sand-Skulptur“ konfrontiert. Den Abschluss bildete eine Ansammlung interaktiver Exponate, die das physikalische Phänomen Sand thematisierten.

Die Art und Weise, wie man in Lyon konzeptionell mit dem Besucher umging, hat mich nachhaltig beeindruckt. Die Besucher wurden an keiner Stelle mit vorgesetzten Ideen oder Metaphern überfordert. Alles traf zur richtigen Zeit mitten ins Herz.

Das Science Center NEMO in Amsterdam.

Gelungene Szenarien sind also möglich?

Axel Hüttinger: Aber ja. Was gut ist, kann erstens mit dem Hinweis auf psychologische Mechanismen beantwortet werden. Ein Raum wirkt sofort und direkt auf den Besucher. „Disziplinär“ gesehen sind hier also die so genannten Szenografen gefordert mit dem Schaffen von „sprechenden Szenarien“. Das längerfristige Ziel ist natürlich der Wissenstransfer. Die Besucher sollen den Raum mit mehr Wissen verlassen, als sie ihn betreten haben.

Eine Ausstellung ist zweitens also erst dann gut, wenn „Lernen“ stattfindet. In Amerika wird seit Jahrzehnten versucht, dies zu erforschen, da daran die meisten Finanzzusagen gekoppelt sind. George E. Heim hat mit seinem Werk „Learning in the Museum“ ein Standardwerk geschaffen, in dem er appelliert: Erschafft ein „konstruktivistisches Museum“. Besucher sollen Wissen nicht als etwas Fremdes vorfinden oder entdecken, sondern im Kopf selbst „konstruieren“.

Für uns als Ausstellungsmacher bedeutet das, dass die Ausstellung zu einem Labor werden muss, in der es keine vorgefertigten Ergebnisse gibt, sondern solche, die individuell von den Besuchern generiert werden. Zunächst ist das ein Widerspruch zum gewohnten szenografischen Ansatz. Ein begehbares Bühnenbild ist statisch und mit einem Besuch „verbraucht“. Es mag gefallen, doch es zeigt es nichts anderes als das Wissen eines Druckknopf-Exponats aus dem Jahr 1890.

Was wir bei Hüttinger hingegen leidenschaftlich anstreben, ist echte Interaktion in einer emotionalen Ausstellung mit offenen Experimentierplattformen, die keine Ergebnisse vorgeben.

Der Miniaturpark „Madurodam“ in Den Haag.

Wer steht diesen Umsetzungen denn im Weg?

Axel Hüttinger: Man weiß heute: Je mehr Elemente eine Ausstellung beinhaltet, umso mehr kann man damit spielen und desto kreativere Möglichkeiten der Interaktion ergeben sich. Im Idealfall wäre dieses Prinzip kein Problem, wären da nicht die skeptischen Betreiber, die den Aufwand so gering wie möglich halten wollen. Daher sind ihnen Glaskästen, Druckknopfexponate und Grafiktafeln auch so angenehm. Das einzige, was an diesem Design nagt, ist der natürliche Zahn der Zeit, aber definitiv keine „kreativen“ Besucherhände. Man erlaube mir die Provokation: Der wahre Gegner von nachhaltigem Lernen ist Risiko-Scheu!

Die allerwenigsten Betreiber wollen sich dem „ganz normalen Wahnsinn“ echter Interaktion stellen, d. h. der Gefahr eines höheren Aufwands in Planung und Instandhaltung. Obwohl wir immer wieder feststellen, dass lose Teile oder Experimentierstationen Besucher erfreuen – „hier werde ich ernst genommen, und man bringt mir Vertrauen entgegen“ –, ist diese Art der Ausstellungsplanung selten.

Der Ausstellungsmacher Axel Hüttinger.

Wie lautet dann Ihr gestalterisches Fazit?

Axel Hüttinger: Die ehemalige britische Ministerpräsidentin Margaret Thatcher kürzte in den 80er Jahren die Budgets rigoros und zwang somit die Museen, ihren Auftrag neu zu gewichten. Deren Konzentration auf Sammeln und Publizieren verschob sich stark in Richtung „Wissenschaften öffentlich leben“ – was in Deutschland auch heute gerne noch als „Disneyfizierung“ fehlinterpretiert wird. Was für eine Ignoranz und Arroganz, Besucherorientierung zu verunglimpfen!

Selbstverständlich wird man bei einer solch bahnbrechenden Veränderung in der Ausstellungsgestaltung, wie sie auch bei uns stattfinden sollte, manchmal über das Ziel hinausschießen und Fehler machen. Dennoch sind statische Bühnenbilder oder Glaskästen mit netten Regaldetails keine Alternative! Uns würde die Arbeit noch sehr, sehr viel mehr Spaß machen, wenn man uns dabei helfen ließe, die Welt zu verändern.

Informationen zu Hüttinger Interactive Exhibitions


Dr. Thomas Lappe, Germanist, ist PR-Berater für mittelständische Firmen im Raum Nürnberg, sowie redaktionell tätig im Bereich Kultur.

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