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30 / 5 / 2017

Die Geheimnisse der römischen Kaiser

Martin Boss hütet die Antikensammlung der Universität Erlangen-Nürnberg

Die Kunst der Vergangenheit vergleicht Martin Boss gern mit einem Tresor, für den uns Heutigen die passenden Schlüssel abhanden gekommen sind. Der Archäologe und Kustos der Antikensammlung der Universität Erlangen-Nürnberg aber kann sie nachfertigen – und hat beispielsweise die Bedeutung der Büsten römischen Kaiser im Hirsvogelsaal entschlüsselt.

Seine Methoden sind stets die des klassischen Archäologen. Zunächst schaut er die Fundstücke aus der Vergangenheit sehr genau an. Denn ihre Produzenten, immer begnadete Handwerker und oft gewiefte Denker, haben ihre Kunstfertigkeit ganz bewusst eingesetzt. Als nächstes folgt die entscheidende Frage: Warum? Warum haben sie einen Teller, das Dekor einer Vase, eine Skulptur oder ein Bild genau so und nicht anders gestaltet?

Porträts als Charakterstudien

Warum beispielsweise sehen die zwölf ersten Cäsaren, die im Hirsvogelsaal thronen, ganz anders aus als die Köpfe, die Münzen aus ihrer jeweiligen Regierungszeit zieren? Die hätten den Künstlern der Renaissance zweifelsohne als Vorlage dienen können. Diese „Phantasieporträts“ erfüllten eine Doppelfunktion, erklärt Martin Boss: Sie sollten nicht nur das Antlitz des Cäsaren darstellen, sondern – ganz Renaissance – auch sein Charakter sollte gespiegelt werden. Deshalb trägt beispielsweise Caligula einen lachenden Narren auf der Brust, in dem unter der Büste angebrachten Gemälde wälzt er sich nackt auf Geld. Auch die Ermordung des wahnsinnigen Kaisers im Jahr 41 nach Christus ist dargestellt. „Suetons Geschichten über die Kaiser waren die Klatschpresse von damals“, berichtet Martin Boss. Und über Domitian, zu dessen Lebzeiten Sueton schrieb, war der Dichter natürlich des Lobes voll…

Kaiserbüsten im Hirsvogelsaal des Museums Tucherschloss. Foto: Jens Liebenberg

Stachel im Fleisch der Gebildeten

Viel mehr noch als die Kaiser interessierten den Wissenschaftler am Hirsvogelsaal die geschnitzten Pilaster und ihre Funktion. Die Allegorien zu Landwirtschaft, Handwerk, Jagd und Krieg, die astronomischen und nautischen Instrumente – sie alle dienten wohl als Anstoß zum Gespräch. Denn im Nürnberg der Renaissance trafen hochkarätige Handwerker, weitgereiste Handelsherren und gebildete Humanisten aufeinander. Ein kleiner Kreis, der sich gegenseitig befruchtete und anstachelte.

Die Methoden der Klassischen Archäologie funktionieren auch hier. Aber was heißt schon klassisch? Um das Gestern ins Heute zu transportieren, bedient sich Martin Boss gern ungewöhnlicher Methoden. So haben seine Studenten in Erlangen schon zwei Modelle des Forum Romanum maßstabsgetreu nachgebaut, gerade feilen sie an der Athener Agora. Unverzichtbar sei das, um den Aufbau zu verinnerlichen und „damit sie ein Gefühl bekommen, denn all diese Gebäude sind handwerklich entstanden“.

Ein in Griechenland gefertigter Greifenkopf, 7. – 6. Jahrhundert. v. Chr. Foto: Martin Boss

Für Martin Boss, selbst Sohn eines Gold- und Juwelenschmiedes, ist die Achtung vor den Werken der frühen Künstler selbstverständlich. In der Antikensammlung finden sich – gut gesichert hinter vielen Türen und Nummernschloss – Fibeln und Amulette aus dem 8. Jahrhundert v. Chr., Bügelkannen aus Troja und Mykene und polierte Bronze, die im 4. Jahrhundert v. Chr. als Spiegel diente. Nur zum Beispiel.

Es fehlen zwei Tyrannenmörder

Nicht ganz so wertvoll, aber vielleicht beeindruckender sind Gipsabgüsse antiker Skulpturen. Kaiserköpfe, die überlebensgroßen Statuen von Venus und Aphrodite, der gequälte Marsyas und natürlich der Diskuswerfer. „Es fehlen noch zwei Venusfiguren und zwei Tyrannenmörder“, sagt Martin Boss. Gelegentlich kauft der Akademische Oberrat weitere Abgüsse an, um die Sammlung unter didaktischen Gesichtspunkten zu vervollständigen.

Die „Geburt“ einer neuen Kaiserbüste für den Hirsvogelsaal, 2009. Bildnachweis: Museen der Stadt Nürnberg; Foto: Stephan B. Minx

Apropos Studium: Die Klassische Archäologie hat die Friedrich-Alexander-Universität inzwischen mit Ur- und Frühgeschichte und Christlicher Archäologie verschmolzen. Wobei erstere „immer ein Exotenfach bleiben wird“, sagt Martin Boss, schon weil sie besondere Anforderungen stellt: Latein, Altgriechisch und dazu noch Kunstgeschichte.

Er selbst hat in Würzburg und Bern studiert, nach der Promotion dann fünf Jahre lang mit eigenem Büro Ausgrabungen betreut und Ausstellungsgrafik gemacht. 1991 kam er als Kurator nach Erlangen. Eine Stelle wie gemacht für einen, der so großes Vergnügen daran findet, die Vergangenheit für Gegenwartsmenschen zugänglich zu machen.

Dr. Martin Boss, Leiter der Antikensammlung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Bildnachweis: Karoline Glasow

Pioniere des Museums im Internet

Und wer glaubt, der Archäologe kümmere sich nur um die Antike und verschließe sich modernen Entwicklungen, täuscht sich gewaltig. Schon 1996 stellte das Projekt AERIA die Antikensammlung ins weltweite Netz. „Wir waren damit Internetpioniere, gleich nach der Library of Congress und dem Smithonian Institute in Washington, DC.“ Auf AERIA findet sich zudem das beeindruckende Foto-Archiv der 1855 begründeten Antikensammlung, darunter beispielsweise Aufnahmen von Kairo, Gizeh und Theben, die 1892 bei einer Fahrt zum Nil entstanden.

Natürlich ist die Antikensammlung längst auch auf Facebook aktiv. Ein Instrument, das Martin Boss gern nutzt, um über neueste Aktivitäten wie den Besuch einer Tagung für Münz-Forscher in Berlin zu berichten – und die Neugier anzustacheln. So bläst er in einem kurzen Film auch in ein Tritonen-Horn, eine große Seeschnecke, und entlockt ihr beeindruckend lautes Tuten. Falsch liegt aber, wer an ein Warnsignal wie das eines Nebelhorns denkt. „Glauben Sie, die Griechen und Römer hätten bei hoher See oder vor den Klippen Zeit für solche Spielereien gehabt?“ Nein, das Tritonen-Horn wurde wohl als Gefäß benutzt.

Da ist er wieder, der kleine Terrier, den Martin Boss so gern als Prototyp des Archäologen nennt. Er verbeißt sich in einen Faden und gibt nicht eher Ruhe, bis der ganze Pullover aufgeribbelt und das Rätsel gelöst ist. So anschaulich wie Martin Boss erzählt kaum ein anderer Wissenschaftler von seinem Fach. Kenntnissatt, dabei vergnüglich und lebensnah berichten die kurzen Texte auf der Internetseite von Alltag und Gedankenwelt unserer Vorfahren und damit von unseren kulturellen Wurzeln. Einmal im Monat öffnet die Antikensammlung ihre Türen für eine Sonntagsführung.

Die Gipsabgussgalerie umfasst verschiedene Themen, z.B. „Ein Wettbewerb der besten Bildhauer“. Foto: Martin Boss

Im Keller der Kochstraße 4, wo die Antikensammlung eine ziemlich geheime Existenz führt, wird sie wohl nicht ewig bleiben. Der Umzug in den „Himbeerpalast“, die ehemalige Hauptverwaltung von Siemens in Erlangen, ist zugesagt.

Die Antikensammlung der FAU ist während der Vorlesungszeit dienstags bis donnerstags und an jedem 2. und 4. Sonntag des Monats (dann Zugang über die Hindenburgstraße) zwischen 14 und 17 geöffnet.

Die Antikensammlung im Internet
Die Antikensammlung bei Facebook

Titelbild: Büste des römischen Kaiser Augustus. Foto: Laurin Scheiderer. Bildnachweis (für alle Fotos ohne direkte Angabe): Antikensammlung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

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