Der Prozess vor dem Internationalen Militärtribunal gegen die Führungsspitze des NS-Regimes beruhte auf Beweisen. Dabei handelte es sich überwiegend um Dokumente, die von den Angeklagten selbst ausgefertigt oder unterschrieben worden waren. Die Gesetze, Verordnungen, Befehle, Erlasse, Reden, Memoranden, Protokolle und anderen offiziellen Verlautbarungen, die von der Anklagevertretung dem Gericht vorgelegt wurden, belasteten die Angeklagten schwer. Woher aber kamen diese Dokumente? Und wie gelangten sie nach Nürnberg?
Die Suche nach den Beweisen
Bereits vor Kriegsende bildeten die Alliierten Spezialeinheiten, deren Auftrag es war, die Überlieferungen des NS-Regimes zu sichern. Viele Ministerien, Behörden und Parteidienststellen hatten ihre Akten und Registraturen im Laufe des Krieges an Orte ausgelagert, die vor den alliierten Bombenangriffen sicher sein sollten. Als Ausweichquartiere dienten Schlösser und Herrensitze in der Provinz, aber auch Stollen und Bergwerke. In den letzten Kriegsmonaten vernichteten viele Institutionen des NS-Staats ihre Akten, um die Spuren der Verbrechen zu tilgen.
Nachrichten- und Abwehrabteilungen der US-Armee fahndeten hinter der Front nach den Dokumenten, die zu zentralen Sammelstellen gebracht wurden. Für das Verfahren vor dem Internationalen Militärtribunal, dem sogenannten Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess, werteten Rechercheteams die sichergestellten Unterlagen aus. Für den geplanten Prozess wurden sie verzeichnet, transkribiert, übersetzt und nach sachlichen Kriterien in Reihen zusammengefasst. Dem Internationalen Militärtribunal präsentierten die alliierten Ankläger etwa 4000 Dokumente.
Was Objekte verraten
Von den Sammelstellen aus ganz Deutschland wurden die Dokumente zum Prozessort Nürnberg verschickt. Eine Kiste aus Holz, die für den Transport diente, ist in der Ausstellung des Memoriums zu sehen. Gezeigt wird dabei die Unterseite, auf der Absender und Empfänger vermerkt sind. Die Angaben ermöglichen eine genauere Bestimmung des Objekts. Die für Rechtsfragen zuständige und in Berlin ansässige Legal Division bei der amerikanischen Militärregierung (Office of Military Government for Germany, U.S., OMGUS) verschickte die Kiste an das Generalsekretariat der Nürnberger Militärtribunale, die von 1946 bis 1949 zwölf Prozesse gegen die Funktionseliten des NS-Staats aus Ministerialbürokratie, Partei, Wehrmacht und Industrie durchführte. Im Gegensatz zum „Hauptkriegsverbrecherprozess“ wurden die Nürnberger Nachfolgeprozesse nicht gemeinsam von den vier alliierten Siegermächten organisiert, sondern allein von den USA.
Laboratorium für Politikwissenschaftler und Historiker
Die Rechercheteams in Nürnberg, die sich mit der weiteren Auswertung der Dokumente beschäftigten, bestanden aus jungen Wissenschaftlern aus den USA mit deutschen Sprach- und Landeskenntnissen. Vielfach handelte es sich dabei um Exilanten, die nach der Machtübernahme Adolf Hitlers aus Deutschland geflohen waren. Robert M. W. Kempner, der für die amerikanische Anklage in Nürnberg arbeitete und 1933 aufgrund seiner jüdischen Herkunft als Beamter das Preußische Innenministerium hatte verlassen müssen, erinnerte sich in seinen Memoiren an die intellektuelle Aufbruchsstimmung unter den Wissenschaftlern: „Es war ein unerhörtes politologisches Laboratorium, das von den USA vorbereitet worden war, weil dort diese Teams geschult wurden, die sich auf unsere Dokumente stürzten. Tatsächlich war der Nürnberger Gerichtsstaat die größte politologische und historische Forschungsstätte, die jemals existierte hat. Wo sonst hat jemand einen Staat so systematisch durchforscht, wie das in Nürnberg geschehen ist?“