Museenblog Nürnberg

Neueste Beiträge

Kategorien

22 / 12 / 2025

Das große Altstadtmodell

Propagandaobjekt oder Zeitdokument

Ein Hauptexponat des neugestalteten Teilbereichs der Dauerausstellung des Stadtmuseums im Fembo-Haus ist das große Altstadtmodell. Mithilfe eines Kameraflugs sowie weiterer Stationen, die die Wandlung des Stadtbilds anhand des Modells zeigen, können einzelne Gebäude fokussiert und erkundet werden. Das Objekt faszinierte schon vor seiner Neuinszenierung Besucherinnen und Besucher, die die detailreiche und akkurate Wiedergabe der Altstadt bewunderten. Doch das Modell stammt aus dem Nationalsozialismus und zeigt eine von Nationalsozialisten idealisierte Stadt.

Die Entstehung des Altstadtmodells

Oberbürgermeister Willy Liebel (1897-1945)¹ gab im Mai 1935 dem städtischen Hochbauamt den Auftrag, ein Modell der Altstadt Nürnbergs im gegenwärtigen Zustand anfertigen zu lassen. Die Oberaufsicht für die Arbeiten hatte die Abteilung Denkmalpflege des Hochbauamts, welches von 1934 bis 1938 durch den Oberbaurat Heinrich Bauer und ab 1938 durch den Oberbaurat Julius Lincke (1909-1991)² vertreten war.

Der Holzbildhauer Alexander Hehl (1866-1942)³, erhielt die Gesamtleitung und durfte seine Mitarbeiter frei wählen. Er entschied sich für seine Kollegen Ludwig Köpf (1872-1954), Gustav Fischer (1872-1960) und Konrad Heisinger (1869-1948), die er von seinen früheren Tätigkeiten bei den beiden Stil-Möbelherstellern Eysser und Prasser kannte.

Kleine Insel Schütt.

In den ersten fünf Monaten trug man topgrafische Details der Altstadt zusammen. Der Bildhauer Hans Leo Albert (1899-1973)⁴ fertigte eine Gipsvorlage an, nach welcher in der Schreinerei Hiller die sechsteilige Grundplatte hergestellt wurde. Die Gebäude schnitzten die Künstler aus einem Block. H. Piussi bemalte partiell das Gelände und die Bauwerke. So erhielt die Pegnitz einen bläulichen Anstrich und die Dächer eine rote Farbgebung. In der Schreinerei wurde das gesamte Modell zusammengesetzt und verschraubt, die Architekturen verleimt und eingedübelt.

Wiedergabe einer nationalsozialistisch idealisierten mittelalterlichen Stadt

Seit 1933 entstand im Nürnberger Südosten das Reichsparteitagsgelände unter der Gesamtleitung des Architekten Albert Speer (1905-1981), auf welchem bis 1938 die Nationalsozialisten die Reichsparteitage abhielten. Für das imposante Gelände musste das dort befindliche Naherholungsgebiet weichen. Die Große Straße des Reichsparteitagsgeländes wurde mit Blickachse auf die Nürnberger Burg ausgerichtet. Ganz dem Motto „Von der Stadt der Reichstage zur Stadt der Reichsparteitage“ sollte eine Verbindung zwischen den in Nürnberg mittelalterlichen kaiserlichen Reichstagen und den nationalsozialistischen gegenwärtigen Reichsparteitagen entstehen.

Die Aufmärsche beschränkten sich dabei nicht nur auf das Areal, sondern erfolgten bis zum damalig genannten Adolf-Hitler-Platz (Hauptmarkt). Für eine perfekte Inszenierung musste die Noris außerhalb und innerhalb der Stadtmauern von neuzeitlichen Veränderungen „entschandelt“ werden. Die Altstadt sollte dabei wieder den Charme des Mittelalters erhalten. Bewohnerinnen und Bewohner sowie christliche Kirchen wurden Zuschüsse und langfristige Darlehen für die Sanierung ihrer Gebäude gewährt. Wer sich weigerte, wurde gezwungen oder sogar enteignet. Zwischen 1933 und 1939 fanden Umbaumaßnahmen an diversen Baudenkmälern statt. Es erfolgte eine Freilegung der Fachwerkfassaden sowie seit Winter 1938 eine Entfernung zu hoch ragender Schornsteine. Außerdem setzte man das Verbot zur Anbringung von Reklame- und Hinweisschildern an Häusern, das bereits seit den 1920er Jahren galt, drastisch durch.

Maßgebende Veränderungen in der Altstadt erfuhren der Hans-Sachs-Platz und der Adolf-Hitler-Platz. Auf ersterem stand die Hauptsynagoge samt Gemeindehaus, die auf Veranlassung des NS-Regimes noch vor den Novemberpogromen im August 1938 abgerissen wurde. Auf dem Hauptmarkt wurde der Neptunbrunnen abgebaut und anderorts wieder aufgestellt, um die nationalsozialistischen Paraden gewährleisten zu können. Auch das Telegraphenamt neben der Frauenkirche musste umgestaltet werden. Das Gebäude im neugotischen Stil des 19. Jahrhunderts passte nicht in das Gesamtbild und wurde dem Stil der benachbarten Häuser angeglichen. Die Fassade erhielt zudem eine judenfeindliche Bemalung. Die Maßnahmen wurden unter dem Deckmantel der Denkmalpflege vorgenommen, wobei man nicht immer nach deren Kriterien agierte.

Die Veränderungen in der Nürnberger Altstadt durch die Nationalsozialisten sind im Modell bereits aufgegriffen. Es zeigt also einerseits den damals gegenwärtigen Zustand im Maßstab 1:1500 und andererseits eine von den Nationalsozialisten frisierte mittelalterliche Stadt. Dadurch entspricht das Exponat der nationalsozialistischen „Blut-und-Boden“-Ideologie (Blut = deutsches arisches Volk + Boden = Siedlungsgebiet ⇒ gesunder Staat).

Das Altstadtmodell im Nationalsozialismus

Die vier Bildhauer stellten das Modell der Altstadt Nürnberg im August 1939 fertig. Kurz darauf, am 1. September 1939, überfiel Deutschland auf Befehl von Adolf Hitler (1889-1945) Polen und der 2. Weltkrieg war eingeläutet. Oberbürgermeister Liebel bekam am 9. Oktober bei einer kleinen Feier im Künstlerhaus das Architekturmodell überreicht. Vermutlich sollte das Objekt Hitler anlässlich des vom 2. bis 11. September geplanten Reichsparteitages übergeben werden, welcher aber wegen des Kriegsbeginns entfiel.

Für die Bevölkerung war das Stadtmodell erst im Zeitraum vom 13. April bis Ende Mai 1940 während einer Ausstellung lebender fränkischer Künstler im Kuppelsaal der Norishalle am Marientorgraben zugänglich. Julius Lincke war als städtischer Denkmalpfleger beauftragt worden, das Nürnberger Kulturgut vor Kriegszerstörung zu schützen. Das Stadtmodell wurde in Kisten verpackt und im Kunstbunker eingelagert, wodurch das Objekt den 2. Weltkrieg überstand und den Zustand vor der enormen Kriegszerstörung dokumentiert.

Das Altstadtmodell heute

Heute dient das Modell unter Hinweis auf seine nationalsozialistische Geschichte zur Erschließung der Altstadt vor dem 2. Weltkrieg. Seit 2022 hat auf dem Hans-Sachs-Platz die Hauptsynagoge sogar wieder ihren Platz im Modell gefunden und erinnert durch ihre leuchtend silberne Farbe an das einstige prächtige Bauwerk vor der Zerstörung durch die Nationalsozialisten.


¹ Liebel trat bereits 1925 in die NSDAP ein (Mitgliedsnummer: 23.091). Zwar beendete er 1926 seine Mitgliedschaft, die er aber 1928 wiederaufnahm. Ab 1929 war er Stadtrat in Nürnberg und ab 1930 hatte er das Amt des Fraktionsführers inne. Kurz nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten 1933 wurde Liebel zum Oberbürgermeister ernannt. Außerdem war er zwischen 1942 und 1945 Leiter des Zentralamts im „Reichsministerium Speer“. Am 20. April 1945, beim Einmarsch der Amerikaner in Nürnberg, beging Liebel Selbstmord, wobei aber auch eine Tötung bis heute nicht ausgeschlossen werden kann.

² Der Architekt Julius Lincke leitete seit 1937 die Abteilung Denkmalpflege im Hochbauamt und war für die Altstadtsanierung zuständig. Im Zweiten Weltkrieg bestand seine Hauptaufgabe in den Sicherungs- und Bergungsmaßnahmen der Nürnberger Kunstschätze. 1945 wurde er von den Amerikanern festgenommen und im Internierungslager Hammelburg inhaftiert. Grund dafür war laut Entlassungsschein seine Stellung im Beruf als Oberbaurat. 1946 bis 1956 war er als freier Architekt in und um Nürnberg tätig und half beim Wiederaufbau der Noris. In den städtischen Dienst kehrte er 1956 zurück und wurde 1963 Baudirektor. Diese Stellung hielt er bis zu seiner Pensionierung 1971 inne.

³ Alexander Hehl trat bereits 1925 in die NSDAP ein (Mitgliedsnummer: 6.587). Er wurde 1934 für seine Arbeiten belobigt.

⁴ Hanns Leo Albert war laut NSDAP-Mitgliederkartei seit 1939 Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 7.296.986). Nach eigenen Aussagen zwang ein „führender Mann der Partei (Ortsgruppe Galgenhof)“ ihn erst 1942 zum Eintritt in die NSDAP. Angeblich stand er wegen seiner regimekritischen Äußerungen unter Beobachtung, und trat deshalb zu seinem eigenen Schutz bei. Er war von 1927 bis 1933 Mitglied beim Reichsverband der bildenden Künstler, sei aber wegen seiner politischen Gesinnung aus dem Amt des Schatzmeisters entlassen worden. Um seine Existenz als Bildhauer nicht zu gefährden, sei er 1934 der nationalsozialistisch organisierten Reichskammer der bildenden Künste beigetreten.


 

Museenblog abonnieren und keinen Artikel mehr verpassen!
Loading
Schreibe einen Kommentar
Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit einem * markiert.

*

*