Wie kann man den Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess 1945/46 als Meilenstein in der Geschichte des Völkerstrafrechts so aufbereiten, dass Menschen angesprochen werden, die mit dieser Thematik bislang kaum Berührung hatten? Dieser Herausforderung stellt sich seit Jahresanfang das Team der Berliner Serious-Game-Spezialistinnen und Spezialisten von „Playing History“. Zusammen mit dem Memorium Nürnberger Prozesse entwickeln Sie das Spiel „Tribunal 45 – Working on Justice“. Ab Ende 2025 wird es in einer App kostenlos zur Verfügung stehen. Der promovierte Medienwissenschaftler Dr. Martin Thiele-Schwez ist Geschäftsführer von „Playing History“ und gibt Einblicke in den Entstehungsprozess.
Wie fängt man es an, eine so komplexe Geschichte wie den internationalen Militärgerichtshof nach Ende des Zweiten Weltkriegs spielerisch zu verpacken?
Wir gehen das Projekt in drei Phasen an. Am Beginn steht das „Vision Design“ mit ausführlichen Meetings: Mit den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen des Memoriums Nürnberger Prozesse wird ausgehandelt, welche Inhalte ihnen wichtig sind, wie viel Text nötig ist. Daneben entwickeln wir eine grundlegende Spielidee für die Anwendung. In vielen Gesprächen erarbeiten wir eine gemeinsame Vision, wie das Spiel aussehen soll. Im darauffolgenden „Content Design“ entwickeln wir die Inhalte technisch: schreiben alle Texte, zeichnen alle Bilder, erstellen alle Sounds und vieles mehr. Im „Flow Design“, in dem wir uns aktuell befinden, erfolgt der Feinschliff. Es wird umfassend getestet: Funktioniert das Spiel, macht es Spaß? Wir schaffen ja einen Interaktionsraum zwischen den Spielerinnen und Spielern und den Inhalten. Lese ich über die Nürnberger Prozesse oder schaue mir dazu einen Film an, kann ich mich zurücklehnen. Beim Spiel bin ich aktiv beteiligt– das macht etwas mit mir.

Kick Off – Playing History besucht erstmals die Ausstellung im Memorium Nürnberger Prozesse. Bildnachweis: Playing History
In welche Rolle kann ich im „Tribunal 45“ schlüpfen?
Wer sind wir, aus welcher Perspektive erzählen wir? Das haben wir uns zu Anfang gefragt. Wenn man sich die historischen Aufnahmen anschaut, sieht man nur Männer: auf der Anklagebank nur Männer, alle Richter waren Männer, die Ankläger, alle Verteidiger … aber in der zweiten Reihe waren auch Frauen an den Prozessen beteiligt. Wir haben uns eine reale Juristin im französischen Anklageteam ausgesucht: Aline Chalufour. Sie steht im Mittelpunkt des Spiels und begleitet den Prozess Somit stellen sich den Spielerinnen und Spielern implizit wichtige Fragen: Was halte ich für gerecht, was für ungerecht? Wie sollte mein Völkerstrafrecht aussehen? Sollten nur Staaten oder auch Individuen angeklagt werden. Soll über Abwesende geurteilt werden können? Wir erzählen den Hauptkriegsverbrecherprozess so, dass das Thema für die Spielerinnen und Spieler auch heute Bedeutung hat und lebendig wird: Denn Völkerstrafrecht wird immer wieder ausgehandelt.

Designworkshop im Memorium Nürnberger Prozesse – Wie wird das Spiel aussehen? Bildnachweis: Memorium Nürnberger Prozesse
Welche Interaktionen werden den Spielenden angeboten?
Den Plot haben wir in vier Kapitel aufgeteilt: Eröffnung des Hauptkriegsverbrecherprozesses, Beweisführung, Verteidigung, Abschlussplädoyers. Gefüllt sind sie mit schwierigeren und einfacheren Elementen, die miteinander kombiniert werden. So müssen etwa Beweisketten gebildet werden, in der Diskussionsführung werden unterschiedliche Argumente ausgetauscht und entschieden, wer überzeugender ist. Die Nürnberger Prozesse waren Dokumentenprozesse, es gab unglaublich viel Papier. Im Spiel müssen Dokumente gefunden und sortiert werden. Ich bin immer wieder überrascht und erfreut, wenn es gelingt, aus einem schwierigen, komplexen Thema ein niedrigschwelliges Spiel mit einer Spielzeit von etwa 30 Minuten zu entwickeln!
Wie kann man sich die Umsetzung vorstellen?
Wir haben historische Fotos und Filmaufnahmen als Vorlagen genommen und die Illustration im Stil von Gerichtszeichnungen angelegt. Die wesentlichen Elemente sind gut ausgearbeitet, der Hintergrund ist eher unscharf. Weil sich die Gesichter in Beigetönen gut davon abheben, haben wir als tragende Farbe Blau gewählt. Blau steht für uns für Recht, Verbindlichkeit, Seriosität … unsere Designerin Anna Rother meint: Wenn Völkerrecht eine Farbe wäre, wäre es Blau. Im Audiodesign entsteht gerade ein spannungsgeladener Hintergrundsound.
Haben Sie dabei KI eingesetzt?
Unsere Spiele sind mit Liebe und künstlerischer Leistung gestaltet. Die Ideen werden von Menschen entwickelt, genau wie die Bilder von Menschen gezeichnet und die Sounds von Menschen komponiert werden und das Spiel von Menschen entwickelt wird. Bei „Tribunal 45“ kam keine KI zum Einsatz.
Wie geht es in den nächsten Wochen weiter und wie komme ich an die fertige Spielversion?
Wir haben einen knappen Zeitraum bis zum Jahresende, das wird sportlich! Denn spielen hat viel mit testen zu tun – damit haben wir Anfang September begonnen und werden noch viele Testspielerinnen und -spieler beschäftigen und sie befragen. Das Spiel wird zusammen mit dem Audioguide des Memoriums in der App „Memorium Nuernberg Trials“ in deutscher und englischer Sprache angeboten und wird im App-Store und Play-Store verfügbar sein. Mit dem Spiel werden wir eine Zielgruppe erreichen, die wir sonst vielleicht nicht erreichen würden: junge, medienaffine Erwachsene, Schülerinnen und Schüler höherer Klassen, Studierende. Insbesondere für uns in Deutschland halte ich es für geboten, sich für das Völkerstrafrecht einzusetzen – dass wir das nun auch mit einem Spiel tun können, halte ich für wertvoll und wichtig.
In der Langen Nacht der Wissenschaften am 25. Oktober 2025 von 17 bis 0 Uhr sind das Team des Memoriums Nürnberger Prozesse und eine Vertreterin von Playing History mit einer Preview des Spiels beim Marktplatz „Spiel schafft Wissen!“ im Haus des Spiels am Egidienplatz in Nürnberg dabei.
Weitere Informationen zu Veranstaltung
Wöchentliche Infos und Teaser zum Spiel gibt es auf dem Instagram-Kanal
@memoriumnuernbergerprozesse
Weitere Infos:
playinghistory.de
memorium-nuernberg.de