„Wann wurden eigentlich die Autobahnschilder in der Schweiz grün statt blau?“ oder „In welchem Jahr genau wurde die Rolltreppe erfunden?“ Solche Fragen stellte ich mir während meines Praktikums im Deutschen Spielearchiv Nürnberg. Warum? Ich befand mich sozusagen öfters im Detektivinnenmodus. Nur das kleinste Detail konnte einen Unterschied machen. Denn ein Teil meiner Aufgaben war es, historische Spielbretter in die Datenbank aufzunehmen und dazu gehörte eben auch, das Alter der Objekte einzuschätzen.
Nun aber von vorn: Von Mitte Januar bis Ende Februar 2025 war ich Praktikantin im Spielearchiv. Ich studiere Empirische Kulturwissenschaft im Hauptfach und Medienwissenschaften im Nebenfach in Tübingen. Kulturwissenschaft hat tatsächlich selten mit Goethe oder Mozart zu tun. Viel eher geht es um alltägliche Praktiken und die ganzheitliche Lebensgestaltung. So zum Beispiel auch um das Spielen, das für immer mehr Menschen zum Alltag gehört. Ich persönlich hatte schon immer großen Spaß an Brettspielen. Deswegen freute ich mich sehr darauf, während meines Pflichtpraktikums tiefer in die Materie eintauchen zu können.
Beim ersten Betreten des Depots staunte ich nicht schlecht. Ich war noch nie vorher in einem Archiv gewesen, dessen Regale so farbenfroh bestückt waren. Dies löste in mir eine gewisse Lebensfreude aus und ich konnte im Vorbeigehen einige Spiele meiner Kindheit wiederentdecken. So zum Beispiel das Kindermemory, das ich immer mit meiner Großmutter gespielt hatte oder das Spiel zu „Die unendliche Geschichte“, das meine beste Freundin und ich als Grundschulkinder geliebt haben.
Was macht man in einem Archiv?
Aber was macht man in einem Archiv eigentlich den ganzen Tag, außer in Erinnerungen zu schwelgen? Zum Spielearchiv gehört ja auch das Haus des Spiels. In diesem Rahmen half ich bei einigen Spieleangeboten aus. So brachten wir zum Beispiel Seniorinnen neue Kartenspiele bei oder stellten frisch ausgebildeten Erziehern verschiedene Spiele vor, die in der pädagogischen Arbeit gut mit Kindern funktionieren.
Eine weitere Aufgabe war beispielsweise, einen orientierenden Leitfaden für Führungen durch das Archiv zu erstellen, die Vitrinen für den Stand während der Spielwarenmesse zu bestücken oder mir zu überlegen, welche Schlagworte für die digitale Datenbank praktisch wären. Gerade mit dieser Datenbank, in welche alle Objekte des Archivs eingepflegt werden, hatte ich besonders viel zu tun.
Detektivarbeit – das Inventarisieren von Spielen
Nun kommen wir zurück auf das Anfangsthema: das Inventarisieren von Spielen. In meiner ersten Woche begann ich einzelne historische Spielpläne aus einer großen Plastikkiste zu sortieren, welche von einem Nachlass übriggeblieben waren. Insgesamt waren es circa 200 Objekte, die meisten davon nur aus einem Spielbrett bestehend, bei anderen waren noch die Anleitung oder ein paar Figuren vorhanden. Ein Großteil stammte aus dem beginnenden 20. Jahrhundert, einige aber auch aus den 1960er/70er Jahren. Wenige konnten den 2000er Jahren oder dem späten 19. Jahrhundert zugeordnet werden.

Steckenpferd-Rennen. Werbespiel der Feinseifen- und Parfümfabrik Bergmann & Co., Radebeul, vor 1950.
Wie bereits gesagt, bringt gerade die Datierung der Spiele viel Recherchearbeit mit sich. Oftmals muss aber auch lange gesucht werden, wenn man beispielsweise den Verlag herausfinden möchte. Bei heutigen Brettspielen ist nahezu jede Information komplett (manchmal schon auf der Schachtel) einsehbar, von Verlag, Autorin, Illustrationen bis zu Erscheinungsjahr und Produktnummer. Früher wurde augenscheinlich kein großer Wert auf die Nennung der einzigen Beteiligten gelegt. Meistens ist auf den Spielplänen nur der Name des Verlags vermerkt. Selten findet man einen Hinweis auf den Künstler, geschweige denn auf die Person, die das Spiel erfunden hat.
Zur Datierung der Objekte kann aber, wie gesagt, alles Mögliche herangezogen werden. Natürlich kann das Alter oft schon ungefähr an der Beschaffenheit des Papiers oder am künstlerischen Stil bestimmt werden. Viel genauer geht es aber oft über Umwege. Beispielsweise kann eine Dokumentenform gezeigt werden, die nur bis Mitte der 1920er Jahre in Verwendung war, oder eine Flagge ist im Hintergrund eines Pferderennen-Spiels gehisst, die nach dem ersten Weltkrieg nicht mehr verwendet wurde.
Faszination für historische Spiele
Am Ende des Praktikums muss ich sagen, dass ich eine gewisse Faszination für gerade diese historischen Spiele entwickelt habe. Sie strahlen oft durch lustige, expressive oder malerische Zeichnungen eine große Kreativität und Lebensfreude aus. Gleichzeitig verraten sie einem viel über den alltäglichen Zeitgeist während ihrer Entstehung. So richtet sich ein Persil-Werbespiel aus den 20er Jahren an „die moderne Frau“ oder es kommen ein paar zynische Witze auf einem Affen-Brettspiel, entstanden wahrscheinlich kurz nach dem zweiten Weltkrieg, vor.
Doch nicht nur die Spiele selbst sind kulturwissenschaftlich relevant, sondern auch, was mit ihnen gemacht wurde. Mich persönlich hat es immer besonders interessiert, wenn man an Gebrauchsspuren erkennen konnte, wie Personen zu ihrem Besitz standen. Ich denke hier an ein „Mensch ärgere dich nicht“-Spielbrett, dessen deutliche Abnutzungen verraten haben, dass die Farben rot und gelb schon oft gegeneinander gespielt haben. Bei einem Spiel aus der NS-Zeit hat eine Person die dargestellte Hakenkreuzflagge abgekratzt. Auf einigen Spielplanrückseiten wurde ein weiteres Spiel, wie zum Beispiel Mühle, mit Bleistift gezeichnet. Viele dieser Spiele haben interessante Geschichten über ihre Entstehungszeit und ihre Besitzerinnen zu erzählen und ich hoffe, in der Zukunft noch mehr von ihnen als „Detektivin“ auf den Grund gehen zu können.
Bildnachweis für alle Fotos: Deutsches Spielearchiv Nürnberg