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27 / 10 / 2023

Ein Museum packt‘s an

Das Museum Industriekultur zieht aus und konzipiert in der zweijährigen Baupause seine Dauerausstellung neu

Alles muss raus – jedenfalls fast alles. Denn das Museum Industriekultur wird nach den aktuellen Brandschutzvorgaben mit einer Sprinkleranlage ausgerüstet und ergreift die Gelegenheit beim Schopf, seine Dauerausstellung in Teilen zu erneuern. Für die etwa zweijährige Interimszeit müssen zehntausend(e) Ausstellungsobjekte ins Depot ausgelagert werden. Wir zeigen einige Beispiele:

Das schwerste Objekt: Die historische Litfaßsäule

„Eine echte Nürnbergerin“, sagt Museumsleiterin Monika Dreykorn. Die Litfaßsäule mit der typischen Pickelhaube steht im Eingangsbereich des Museums Industriekultur. Sie ist aus Gusseisen und 3,50 Meter hoch, hat einen Durchmesser von 1,50 Meter und wiegt geschätzt vier bis sechs Tonnen. Für den Transport wird eigens eine Vorrichtung gebaut, um sie überhaupt aus dem Gebäude zu bekommen. Kopfzerbrechen bereitet den Museumsleuten noch, wie die Säule schonend in die Waagrechte gebracht werden kann.

Litfaßsäule aus Gusseisen.

Das größte Objekt: Die MAN Tandem-Dampfmaschine

Die große MAN Tandem-Dampfmaschine vom Typ LT 10 ist der Stolz des Museums – und darf während der Bauzeit an Ort und Stelle bleiben, natürlich gut geschützt gegen Staub und mögliche Beschädigungen. Wie sollte man den 1907 in Nürnberg gebauten Koloss auch transportieren? 1988, zur Eröffnung des Museums Industriekultur, wurde sie innerhalb des Areals des Eisenwalzwerks Julius Tafel um nur 150 Meter in die ehemalige Schraubenfabrik versetzt. Ein heikles Vorhaben, das dank ehemaliger MAN-Mitarbeiter gelang.

Die ventilgesteuerte Tandem-Dampfmaschine hatte eine maximale Leistung von fast 1500 PS. Sie ist eine der größten ihrer Art und wiegt insgesamt 100 Tonnen, allein das aus zwei Hälften bestehende Schwungrad hat fünf Meter Durchmesser und wiegt nahezu 30 Tonnen. Zur Vorführung wird es elektrisch in Gang gesetzt und dreht sich langsam, weit entfernt von den bis zu 100 Umdrehungen pro Minute, die die Maschine unter Dampf leisten konnte. Das heute von Band eingespielte Geräusch ist ohrenbetäubend – und muss „in echt“ noch viel lauter gewesen sein.

Tandem-Dampfmaschine von MAN, Nürnberg, 1907.

Das kleinste Objekt: Ein Fahrrad-Ventil

Das Ventil steht stellvertretend für all die kleinen Gegenstände, ohne die das Leben nie funktionieren würde. Es findet sich in der Fahrradwerkstatt – zusammen mit einer Unzahl von Schrauben, Muttern, Speichen, Lagern, Ketten und jedwedem Werkzeug für die feinmechanische Kunst. Alle Gegenstände werden – wie auch beim Kolonialwarenladen oder dem Friseurgeschäft – einzeln von Museumsmitarbeitern verpackt. Nichts darf verlorengehen! Könnte man sich diese Arbeit nicht erleichtern und einfach die Regale verkleben und samt Inhalt transportieren? Undenkbar, winkt Monika Dreykorn ab: „Die Einrichtung ist historisch! Und beim Reinigen müssen wir ja auch alle anfassen.“

Das wertvollste Objekt: Der e-Porsche

Er ist ein Prototyp, entstanden aus der Frage: Wie kann man E-Mobilität schnell und attraktiv auf die Straße bringen? 2007 entkernte der im Unterallgäu ansässige Alois Ruf junior in seiner Firma einen Porsche 911: Kofferraum, Rücksitzbank und Motorraum wurden mit Hochvolt-Technik ausgestattet, der eingebaute Elektromotor hatte eine Leistung von 150 kW. 2008 kooperierte Ruf dann mit Siemens. Das Unternehmen lieferte eine Asynchronmaschine, so dass im Chassis des Porsche Targa 270 kW auf die Straße gebracht wurden. Zur Erinnerung: Bis dahin hatten nur einige Kleinwagen Versuche mit elektrischen Antrieben gemacht, 2008 stellte Tesla seinen Roadster vor. Der schnittige e-Porsche aus dem Museum, der die Fachwelt beim Genfer Automobilsalon 2009 beeindruckte, ist eine sechsstellige Summe wert – und natürlich versichert!

Prototyp eines e-Porsche, 2009.

Das jüngste Objekt: Der Corona-Masken-Halter

Das Museum Industriekultur sammelt beständig. So hat es in der Corona-Zeit eine kleine Sammlung aufgebaut, die zeigt, wie schnell findige Unternehmer in der Region die Marktlücke des Pandemie-Bedarfs entdeckten und füllten. Zu ihren Produkten gehört der Corona-Masken-Halter, der auf dem Schreibtisch platziert wird und die Maske bis zum nächsten Kontakt mit Menschen aufbewahrt.

Das älteste Objekt: Das Lallement-Tretkurbelrad

Das Rad ist nach Pierre Lallement (1843-1891) benannt. Der Stellmacher gilt einigen als Erfinder des Fahrrads: 1862 soll er eine Draisine, also ein Laufrad, gesehen haben und die Achse des Vorderrades mit einer Tretkurbel und Pedalen versehen haben. Voilà, das Fahr-rad war geboren. Nach einer anderen Version ging Lallement nach Paris und arbeitete an der Entwicklung der Michauline mit. Wie auch immer: Das Lallement-Tretkurbelrad im Museum Industriekultur ist wohl in den 1860er Jahren gebaut worden und steht für die Anfänge des Radfahrens und der zweirädrigen Mobilität, die sich in Nürnberg zum bedeutenden Industriezweig entwickelte.

Lallement-Tretkurbelrad aus den 1860er Jahren.

Das kurioseste Objekt: Not-Brot

Nicht immer lässt sich der Wert eines Objektes über seinen finanziellen Wert erklären. Das beste Beispiel dafür ist das Not-Brot, findet Monika Dreykorn. 1915 während des Ersten Weltkriegs gebacken und inzwischen beinahe schon versteinert, beträgt sein materieller Wert: null. Doch ist das Brot einzigartig und niemals zu ersetzen. „Ich finde die Geschichte, die dahintersteht, einfach anrührend!“, sagt die Museumsleiterin.

Not-Brot, 1915 während des Ersten Weltkriegs gebacken.

Das komplizierteste Objekt 1: Die Planeta-Buchdruckschnellpresse

Die Buchdruckschnellpresse steht vor der Druckerwerkstatt im Museum Industriekultur und muss darum die Bauzeit im Depot verbringen, während die Werkstatt selbst eingehaust wird. Die Druckmaschine von ungefähr 1910 druckt Zylinder gegen Fläche – anders als die Tiegelmaschinen, die Flächen gegen Flächen druckten – was eine größere Geschwindigkeit und damit den Schnelldruck auch für Bücher ermöglichte. Grundlage ist der 1902 patentierte Planetenantrieb – und genau der macht den Transport der Druckmaschine so kompliziert. Die fein austarierte Mechanik darf nicht aus der Waage kommen. Wie das funktioniert? Den Museumsleuten wird eine Lösung einfallen und die Lkw, die die heikle Fracht vom Museum ins Depot und zurück bringen, sind luftgefedert.

Planeta-Buchdruckschnellpresse, ca. 1910.

Das komplizierteste Objekt 2: Die Simatic-Steuerung

Von außen sieht die Simatic Steuerung S7-1500 von Siemens aus wie ein beiger Kasten. Ihr Innenleben aber steuert ganze Fertigungsstraßen. „Man sieht die Technik nicht mehr“, sagt Monika Dreykorn. Sie schlägt die Brücke zum Anfang der Industrialisierung und zu der Gipsmühle, die ebenfalls im Museum Industriekultur ausgestellt ist. Über drei Stockwerke reicht sie, auf den verschiedenen Ebenen werden unten Gipssteine eingefüllt, dann gestampft und gemahlen, bis sie oben schließlich als Staub ankommen: das Baumaterial Gips. Damit die Mühle arbeiten kann, müssen alle Rädchen der komplexen Konstruktion nahtlos ineinandergreifen. Was die Mühle mechanisch leistet, löst die Simatic als digitales Pendant.


Bildnachweis für alle Fotos: Museum Industriekultur, Foto: Erika Moisan

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