Seit dem Jahr 2002 findet in Deutschland einmal im Jahr die Woche des Sehens statt. Intendiert als Kampagne, die auf die Situation blinder und sehbehinderter Menschen aufmerksam macht, ist es heute eine Woche, in der viele Museen Führungen speziell für diese Zielgruppe anbieten. Auch das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände nimmt seit einigen Jahren an der Aktion teil.
In diesem Jahr umfasst das Angebot „Die Reichsparteitage in Nürnberg – NS-Geschichte vor Ort“ eine Führung in der aktuellen Interimsausstellung „Nürnberg – Ort der Reichsparteitage. Inszenierung, Erlebnis und Gewalt.“
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Speziell für diese und weitere Führungen auf dem Gelände kreierte Ulrike Hauffe, Rundgangsleiterin von Geschichte Für Alle e.V., tastbare Pläne einzelner Bauten, aber auch vom Gesamtplan des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes. Ausgehend von den einzelnen Gebäuden und ihrer Lage lassen sich die Intentionen der Nationalsozialisten vor Ort besser erklären. Neben den Tastplänen wird im Rahmen dieser besonderen Führung auch erlaubt, einzelne Objekte in der Ausstellung zu ertasten.
Für den Zeitraum 1933 bis 1939 bietet sich in der Ausstellung das Modellsegment des Deutschen Stadions an, das Regisseur Heinrich Breloer 2005 für die Fernsehdokumentation „Speer und Er“ im Maßstab 1:100 nachbauen ließ. Nach Abschluss der Dreharbeiten wurde es dem Dokumentationszentrum zu Ausstellungszwecken zur Verfügung gestellt. Das Originalmodell, das nicht erhalten ist, hatte Albert Speer, der Generalbeauftragte für die Bauten auf dem Reichsparteitagsgelände, anfertigen lassen, um die Öffentlichkeit für die Bauprojekte zu begeistern. Diese Propagagandastrategie funktionierte sehr erfolgreich, so war das Baumodell 1942 sogar in Barcelona in der Ausstellung über die „Neue deutsche Baukunst“/ „Nueva arquitectura alemana“ zu sehen.
Auch der Umgang mit dem Gelände nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wird anhand eines Objektes fühlbar. So befindet sich in der Ausstellung ein Stein der 1967 gesprengten Säulenhallen, die links und rechts der Haupttribüne auf dem Zeppelinfeld standen. In der Führung wird auch diskutiert, welcher Umgang mit den NS-Baurelikten zu welcher Zeit ausschlaggebend war. Erst 1973 wurde das ehemalige Reichsparteitagsgelände unter Denkmalschutz gestellt.
Unweit des Steines befindet sich in der Ausstellung noch ein anderes spannendes Objekt, das in dieser Führung ausnahmsweise betastet werden darf: Es handelt sich um die Originalspielerausrüstung eines American Football Players. Über Jahrzehnte geprägt haben diesen Sport US-amerikanische Soldaten, die bis 1994 in Nürnberg stationiert waren und auf dem Zeppelinfeld trainierten. Dem Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände zur Verfügung gestellt wurde sie von den Nürnberg Rams, dem Nürnberger American Footballteam.
Das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände entwickelt und erweitert sein inklusives Bildungsangebot in Kooperation mit den Bildungspartnern laufend. So zählt das Programm „Wir erfahren was über den National-Sozialismus“, ein inklusives Angebot für Menschen mit Lernschwierigkeiten, schon seit mehr als zehn Jahren zum Bildungsangebot des Hauses. Neu hingegen sind die buchbaren Führungen für Blinde und Seheingeschränkte „Rund um die Kongresshalle“ oder „Rund um die Zeppelintribüne“.
Weitere Informationen zu den inklusiven Angeboten
Mindestens einmal im Jahr bietet das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Führungen an, die in Gebärdensprache übersetzt werden. In diesem Jahr nahm auch eine ukrainische Gebärdensprachdolmetscherin mit vierzehn gehörlosen Ukrainerinnen und Ukrainern an der Führung über das ehemalige Reichsparteitagsgelände teil. Es entstanden spannende Diskussionen, auch im Anschluss an die Führung.
Für Gehörlose, die sich zu Hause über die Kongresshalle informieren möchten, bietet das Dokumentationszentrum auf seiner Website ein informatives Kurzvideo an, das in Gebärdensprache übersetzt ist.
Kurzvideo zur Kongresshalle
Wenn das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in zwei Jahren wieder öffnet, wird der Eingangsbereich von der Straßenbahn per Bodenleitlinie auch für Blinde und Seheingeschränkte gut zu finden sein. Ein Highlight wird die geplante inklusive Gastronomie sein, die zeigt, dass Menschen, anders als die Nationalsozialisten es einst verkündeten, sich in ihrer Diversität gegenseitig bereichern. Und in der Dauerausstellung werden inklusive Elemente integriert sein, so dass sich Angebote wie die aktuelle Führung nicht mehr nur auf die „Woche des Sehens“ beschränken, sondern ein Stück weit gelebte Selbstverständlichkeit und eine Bereicherung für alle Menschen sind.