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1 / 6 / 2023

„Alles was es in der Welt gibt, wird in Spielen verarbeitet“

Das Spielearchiv ist eine Fundgrube für die junge Szene der analogen Spieleforschung

Spiele, also Tätigkeitsformen, die laut Wikipedia „zum Vergnügen, zur Entspannung, allein aus Freude an ihrer Ausübung, aber auch als Beruf ausgeführt werden können“, gibt es in unendlicher Vielfalt. Und fortlaufend werden neue Spiele entwickelt und vermarktet. Da wundert es fast, dass sich erst seit wenigen Jahren eine junge Forscherszene wissenschaftlich mit diesem Kulturgut beschäftigt. An zwei Menschen kommt sie dabei kaum vorbei: Stefanie Kuschill, Kulturwissenschaftlerin und Germanistin, und Sebastian Pfaller, Medien- und Kulturwissenschaftler, sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Deutschen Spielearchiv im Haus des Spiels im Verbund der Museen der Stadt Nürnberg. Über 40 000 Spiele hüten die beiden im Pellerhaus am Egidienplatz, wo das Deutsche Spielearchiv seit dem Umzug aus Marburg im Jahr 2010 untergebracht ist und das kleinen wie großen Nutzerinnen und Nutzern als Haus des Spiels bekannt ist.

„Angefangen hat es mit den Game Studies, also der Computerspielwissenschaft, die an vielen Hochschulen an die Medienwissenschaft angehängt ist“, erklärt Sebastian Pfaller. Inzwischen befassen sich Forschende auch zunehmend mit analogen Spielen. So unterschiedliche Spiele es gibt, so divers ist auch die wissenschaftliche Bandbreite. „Zu uns kommen Leute aus Theologie, Germanistik, Informatik, Design …. aus Europa, den USA, aus Japan. Spiele sind interdisziplinär erforschbar, das macht es so spannend“, sagt Stefanie Kuschill, die mit ihrem Kollegen selbst in die Schaffung von Grundlagen involviert ist.

Figuren aus „Märchenball“ im Kontrast mit älteren Form-Spielfiguren. Bildnachweis: Megableu, 2013

Weil im Koalitionspapier der regierenden „Ampel“ festgelegt wurde, dass die Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt nun auch Gesellschaftsspiele als anerkanntes Kulturgut in ihren Katalog aufnehmen soll, stellt sich die Frage, wie Spiele zu inventarisieren und zu bearbeiten sind. „Wie zitiert man aus einem Brettspiel, wie stellt man sicher, dass alle über dasselbe Spiel in derselben Auflage reden?“, nennt Pfaller Beispiele für den Konsens, der in Workshops gefunden werden soll. Private Sammler, Unternehmensarchive wie das des Ravensburger Spieleverlags, Bibliotheken – „alle sammeln bisher nach ihren Systemen“, schildert er die Herausforderung. Seit Ende 2022 nehmen Kuschill und Pfaller an den Workshops teil und bringen die musealen Kriterien ein, die ihnen als Mitarbeiter des damals ersten in öffentlicher Hand befindlichen Spielearchivs geläufig sind. „Wir begreifen unser Archiv als kulturhistorische Sammlung“, betont Pfaller, der in einer Untergruppe an der Erarbeitung eines Minimaldatensatzes beteiligt ist, auf den sich alle einigen können. ISBN-Nummern, die Bücher und andere Veröffentlichungen kennzeichnen, gibt es für Spiele noch nicht, sondern lediglich Produktnummern der Hersteller. Auch dass die Erfinder als Autoren genannt werden, hat sich erst seit den 1980er Jahren etabliert.

Neben dem laufenden Betrieb von Sammlungsmanagement und Veranstaltungen werden Forschungen unterstützt, so zum Beispiel ein Wirtschaftsinformatiker bei seiner Masterarbeit an der Technischen Hochschule (TH) Nürnberg, der analysierte, welche Gemeinsamkeiten in der Spielmechanik die Gewinner beim „Spiel des Jahres“ aufwiesen. Seit neun Jahren läuft das Kooperationsprojekt EMPAMOS (Empirische Analyse motivierender Spielelemente) mit der TH, bei der die Studierenden anhand von Spieleanleitungen aus dem Spielearchiv herauszufinden versuchen, welche Kombinationen von Spielelementen besonders motivierend wirken.

Queeres Modding (Modifikation) mit Regenbogenfarben im PC-Spiel „Skyrim“. Bildnachweis: Bethesda, 2011

Ganz aktuell wird gerade mit Studentinnen und Studenten der Medienwissenschaften an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) über „Geschlechterbilder in analogen und digitalen Spielen des 21. Jahrhunderts“ geforscht. „Shooterspiele wie ‚Counter-Strike‘ haben 25 Charaktere – 24 davon sind Männer. Wer zu der einen Frau eine weitere haben möchte, muss das als ‚Sonderausstattung‘ extra bezahlen“, sagt Sebastian Pfaller und verweist darauf, dass die Hälfte der Gamer-Community weiblich ist. Nicht wundern mussten sich die Herausgeber eines Spiels über den heftigen Gegenwind der Gamer, als sie eine Transfrau sehr abwertend darstellten. Weibliche Figuren müssen Spielrollen als Monster-Mütter und böse Hexen erdulden. Geht es um vermenschlichte Tiere, scheint es zwangsläufig, dass weibliche Kätzchen, Lämmchen und Mäuschen neckische Schleifchen tragen und sexy wirken – und selbstverständlich ist Rosa der alles überstrahlende Farbton bei „Mädchenspielen“ wie „Märchenball“, bei dem es um die Eroberung eines Prinzen geht. Klischees werden auch von einem Prinzessinnenspiel bedient, bei dem die Spielerin mit den meisten gesammelten Herzchen am Ende vom Prinzen erwählt wird. „Schlimm, dass so etwas noch 2013 entwickelt wurde“, findet Stefanie Kuschill. Zu dem Gender-Thema erarbeiten die FAU-Studierenden eine Ausstellung, die bis Jahresende im Foyer des Hauses des Spiels sensibilisieren und zu Diskussionen anregen will.

„Spiele greifen immer den Zeitgeist auf. Im Ersten Weltkrieg erschienen Kriegsspiele und Soldaten-Quartette, als in den 1950ern der Autoverkehr zunehmend durch Beschilderung reguliert werden musste, kamen Verkehrserziehungsspiele auf den Markt“, erzählt Sebastian Pfaller. „Alles was es in der Welt gibt, wird in Spielen verarbeitet“, ergänzt Stefanie Kuschill. Daher ist das Deutsche Spielearchiv auch als Leihgeber sehr gefragt. Das Cold War Museum in Berlin erbat sich eine ganze Liste an Spielen zu den Themen im Museum, darunter zum Beispiel die Olympischen Spiele 1980. Zu einer Schau über Richard Wagner reiste das Spiel „Rheingold“. Für einen kurzen Zweifel sorgte die Anfrage, „ob wir was zur deutschen Kolonisierung in Asien haben“, so Pfaller. „Aber dann fanden wir das Spiel ‚Die Eroberung Pekings und die Befreiung der Gesandten‘ über den Boxer-Aufstand 1899 bis 1901 in China.“ Und Stefanie Kuschill stellt fest: „Es gibt kein Thema, zu dem es nicht ein Spiel gibt.“

Ausstellung „Gender*in Games – Geschlechterbilder in analogen und digitalen Spielen des 21. Jahrhunderts“

Kooperationsforschungsprojekt EMPAMOS


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