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25 / 8 / 2022

S P E E R von Nürnberg nach Berlin

Die Ausstellung „Albert Speer in der Bundesrepublik“ in der Topographie des Terrors

Obwohl er einer der führenden Köpfe des nationalsozialistischen Staates gewesen ist, gelang es Albert Speer nach 1945, das Geschichtsbild vom Nationalsozialismus in der Bundesrepublik zu prägen. S P E E R, das war ein neu kreiertes Markenzeichen, das die Titel seiner Bücher der Nachkriegszeit, vor allem die „Erinnerungen“ (1969) prägte. Die Erinnerungen enthielten aber zahlreiche Lügen und Falschbehauptungen wie die, dass Speer „von den scheußlichen Dingen nichts gewusst“ und den Namen Auschwitz nicht gekannt habe.

Speers fatales Wirken in der Nachkriegszeit machten ihn als angeblich „guten Nazi“ wieder salonfähig und stellte auch die Deutschen insgesamt so dar, als hätten sie nichts von den Verbrechen gewusst. Dies alles war Thema einer großen Sonderausstellung des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände im Jahr 2017.

Das Zentrum Berlins – ein guter Ort für eine Ausstellung zu Albert Speer

Als neu konzipierte Wanderausstellung steht „Albert Speer in der Bundesrepublik – vom Umgang mit deutscher Vergangenheit“ nun in der Topographie des Terrors, dem Ort der ehemaligen Gestapozentrale in Berlin. Es ist ein wichtiger und richtiger Ort für dieses Thema: Wenige Meter entfernt stand an der Wilhelmstraße die von Speer für Hitler errichtete neue Reichskanzlei – angeblich in Rekordzeit erbaut, eine von vielen Falschbehauptungen in Speers 1969 veröffentlichten „Erinnerungen“.

In Berlin wurden auf Initiative Speers im nahe gelegenen Charlottenburg, aber auch in anderen Quartieren der Stadt zahlreiche Juden aus ihren Wohnungen vertrieben, mit anderen Juden zusammengepfercht und später deportiert – ein Verbrechen, das in den „Erinnerungen“ nicht erwähnt wird. Juden mussten ihre Wohnungen verlassen, um nichtjüdischen Mietern Platz zu machen, deren Häuser Speers Neuplanungen für die Reichshauptstadt im Weg standen.

Nahe der Topographie des Terrors hätten sich auch die beiden Achsen gekreuzt, die Speer als riesige Schneißen durch Berlin geplant hatte. Es ist fraglich, was von den Gebäuden in Berlin-Mitte in Speers neuer Welthauptstadt Germania übriggeblieben wäre – alles sollte ja viel größer und monumentaler gestaltet werden.

Die Ausstellung nimmt auch den Architekten und Rüstungsminister Speer mit seinen zahlreichen Bezügen zu Berlin in den Blick. Der Hauptfocus richtet sich aber auf die Zeit nach 1945 und damit auf die Frage, wie Speer seine Geschichte erzählt hat, was er dabei wegließ und verfälschte und wie er trotzdem unsere Sichtweise auf den Nationalsozialismus über Jahrzehnte prägte.

Speers „Lebenstonband“ und die „wartenden Experten und Expertinnen“ – Fakten statt Fake News

Der Filmemacher Heinrich Breloer hat für Speers immer wiederholte Geschichtserzählungen den Begriff „Lebenstonband“ geprägt. Eine Collage aus Filmsequenzen, Interviewausschnitten und Textzitaten führt zu Beginn der Ausstellung dieses Lebenstonband vor und dekonstruiert es durch die Hervorhebung von immer wieder gleich benutzen Formulierungen, die mehr verdecken als erklären.

Dem stehen in der Ausstellung die Schreibtische von Experten und Expertinnen gegenüber, welche den Erzählungen Speers quellengestützte Fakten und Dokumente entgegenhalten und sie in kurzen Statements erläutern. Fakten gegen Fake News von Albert Speer – dies ist das Hauptanliegen der Ausstellung.

Erstmals komplett in Deutsch und Englisch – der internationale Ort Topographie des Terrors

Die Topographie des Terrors ist vor allem ein von internationalen Gästen besuchter Ort. Deshalb wurde die Ausstellung komplett in deutscher und englischer Sprach präsentiert, dafür in großen Teilen neu produziert, die Medienstationen untertitelt und übersetzt. Die nicht unerheblichen Kosten dafür trugen das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände und die Topographie des Terrors gemeinsam, unterstützt durch die Stiftung Accanto. Dies hat sich nicht nur für Berlin gelohnt: Auch bei der nächsten (und wohl letzten) Station der Ausstellung in der Dokumentation Obersalzberg trifft die Wanderausstellung gleichfalls auf ein mehrheitlich nicht deutschsprachiges Publikum.

Eröffnung und Rezeption in Berlin

Die Ausstellung wurde mit Beiträgen von Bausenator Andreas Geisel, der Direktorin der Stiftung Topographie des Terrors Andrea Riedle, dem Leiter des Dokumenationszentrums Florian Dierl und Ausstellungskurator Alexander Schmidt eröffnet. Der Berliner Tagesspiegel berichtete, TV Berlin brachte eine Reportage, die auf YouTube weiter abrufbar ist.

Die Ausstellung ist, so die Mitarbeiter der Topographie des Terrors, sehr gut besucht und findet gerade in Berlin ihr Publikum. Manche scheint die Ausstellung auch zu provozieren, so ein Kommentar zur Reportage von TV-Berlin: „Hunderte Ausstellungen hat es über diese dunkle Zeit gegeben. Gab es in Berlin mal eine Ausstellung über die Gründerzeit?“ Der Kommentar zeigt, dass sich eine Auseinandersetzung mit Speers Geschichtserzählungen immer noch lohnt, damit die Zeit des Nationalsozialismus eben nicht im Dunklen bleibt.

Im Übrigen: Bereits 1987 hat es, gleich neben der Topographie im Gropius-Bau, die große Ausstellung „Berlin Berlin“ gegeben, eine große Ausstellung zur Geschichte der Stadt. Es gab und gibt an vielen Stellen in Berlin die Möglichkeit, sich über andere Epochen der Stadtgeschichte in Ausstellungen zu informieren.

„Albert Speer in der Bundesrepublik. Vom Umgang mit deutscher Vergangenheit“ ist noch bis zum 25. September 2022 in der Topographie des Terrors zu sehen.
Dokumentationszentrum „Topographie des Terrors“

Update:

Wegen des großen Publikumsandrangs wurde die Ausstellung bis zum 16. Oktober 2022 verlängert! Und am Dienstag, 13. September gibt es eine Podiumsdiskussion mit Prof. Jörn Düwel, Dr. Isabell Trommer und Prof. Jens Christian Wagner, moderiert von Dr. Martina Christmeier (Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände). Die Diskussion kann online mitverfolgt werden und ist zwei Wochen lang noch im Netz abrufbar.
Informationen zur Veranstaltung

Berichte im Netz:

rbb24
Der Tagesspiegel
Reportage von TV-Berlin auf YouTube

Ein virtueller Blick in die Sonderausstellung von 2017 im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände


Bildnachweis für alle Fotos: Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände

 

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