Museenblog Nürnberg

Neueste Beiträge

Kategorien

26 / 7 / 2022

Gegen den Hass und für die Menschenrechte

Ruth Weiss – Journalistin, Schriftstellerin und Weltenbürgerin – zum 98. Geburtstag!

„Neger“, sagte ein Matrose in demselben Ton, in dem ich bis jetzt immer das Wort „Jude“ gehört hatte, „Neger stinken wie die Pest.“

Wege im harten Gras, Ruth Weiss, S. 29.

 

„Hallemann-Straße“, sagte sie. „Man hat die Straß‘ nach unserm Direktor genannt. Der iss mit de Kinder ins KZ, in die Gaskammer, gangen.“ Ich nickte, wusste, dort unten war das jüdische Waisenhaus gewesen, die Kinder waren bei uns zur Schule gegangen. Bella fügte hinzu: „Ich war auch do.“ – „Im Waisenhaus?“ – „Freilich. Mich ham se nachts rausgeholt, als se die polnischen Juden abgeschobn ham, da war ich 17.“

Wege im harten Gras, Ruth Weiss, S. 21.

Als „Wandernde zwischen den Welten“ ehrten das PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, die Ruth Weiss Gesellschaft und Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König, die Schriftstellerin und Journalistin Ruth Weiss im Nürnberger Saal 600 am 5. Juli 2022. Was sie auszeichnet, auch im Alter von 98, ist ein unermüdlich wacher Geist, genaue historische und zeitgeschichtliche Recherchen sowie der Drang, zu schreiben und über ihr Leben zu erzählen.

In ihrer Ansprache widmete sie sich dem traurigen Phänomen „Hass“, mit dem Menschen andere Mitmenschen verfolgen: Julius Streicher war einer von ihnen, Gauleiter von Franken und Herausgeber des Hetzblattes „Der Stürmer“, dem Ruth Weiss in Fürth als Kind persönlich begegnet war. Heute weist sie daraufhin, dass alle Menschen die Freiheit haben, gegen Unrecht einzuschreiten. Sie fordert im Saal 600 – in dem 1945/46 der Internationale Militärgerichtshof Julius Streicher und 21 weitere hochrangige Vertreter des NS-Regimes vor Gericht stellte – zu dieser Zivilcourage auf. Ihr Lebenswerk würdigte Prof. Andrei Markovits aus Michigan, der mit viel Vergnügen und Kenntnis aus ihren Werken zitierte.

Deborah Vietor Engländer (PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland), Prof. Andrei Markovits (Laudator, University of Michigan), Anni Kropf (Ruth Weiss Gesellschaft), Ruth Weiss und Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König im historischen Saal 600.

1924 in Fürth als Ruth Löwenthal in eine jüdische Familie geboren, erinnert die Zeitzeugin zunächst eine unbeschwerte Kindheit in Fürth, Hamburg und ab 1931 in Rückersdorf. Gerne geht sie dort zur Schule. 1933 ändert sich dies schlagartig: Mit der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten endet das unbeschwerte Leben, Ruth verliert in und außerhalb der Schule ihre Freundinnen. Ihr Vater zieht nach Südafrika, ihre Mutter flüchtet mit ihr und ihrer Schwester zunächst ins Haus der Großeltern nach Fürth, wo sie fortan die Israelitische Realschule Fürth i. B. (in Bayern) besucht. „Die Eltern versuchten uns zu verschonen von der Realität.“ Das ging aber nicht ganz.

1935 werden die „Nürnberger Gesetze“ auf dem Reichsparteitag verkündet, 1936 gelingt ihrer Mutter gerade noch rechtzeitig mit den Töchtern Margot und Ruth die Ausreise nach Südafrika. Nach der Erfahrung des Antisemitismus folgt nun die Erfahrung von Rassismus. Das Apartheidsystem wird hier 1948 mit dem Wahlsieg der Nationalen Partei auf Jahrzehnte hinweg etabliert. „Das war ein Schock, plötzlich lebten wir in einem Land, in dem eine andere Gruppe diskriminiert wurde“, erinnert sich Ruth Weiss.

Nach der Schulausbildung möchte sie studieren, hierfür fehlen die finanziellen Möglichkeiten. Ruth Weiss arbeitet in einem Rechtsanwaltsbüro, in der Buchhandlung ihres Mannes und bei einer Versicherung. Sie engagiert sich in der Anti-Apartheidbewegung, knüpft Kontakte zu Nelson Mandela und anderen wichtigen afrikanischen Freiheitskämpfern.

Anfang der 1960er Jahre beginnt Ruth Weiss für südafrikanische Zeitungen, wie etwa dem „Newscheck“, der „Financial Mail“ sowie dem britischen „Guardian“ zu schreiben. 1971 wird sie Business Editor bei der Times of Zambia und dortige Korrespondentin der Financial Times. In den folgenden Jahren arbeitet sie in Salisbury (heute Harare), London, aber auch Köln, wo sie die Leitung der Afrika-Redaktion der Deutschen Wellte innehat. 1980 begleitet sie die Unabhängigkeit Zimbabwes und bildet Wirtschaftsjournalistinnen aus. Zugleich informiert sie auf Vortragsreisen in Europa über die Situation in den afrikanischen Ländern.

Ruth Weiss wuchs in einem Land auf, in dem nicht der gelbe Stern, sondern die schwarze Farbe der Haut das Brandzeichen des Opfers war. Als Weiße hätte sie damit zufrieden sein können, in Südafrika jene vollen Bürgerrechte zu genießen, die man den Schwarzen gleichfalls verweigerte: besondere Verkehrsmittel, gesonderte Bibliotheken, Theater, Hotels oder auch die Freiheit, ihren Wohnort wie ihren Beruf und Arbeitsplatz nach ihrem Wunsch zu wählen. Doch tritt uns in der sanften Stimme dieser glaubwürdigen und beeindruckenden Autobiographie ein Mädchen, eine Frau entgegen, die die Verantwortung für die Verhältnisse in ihrem Einwanderungsland gerade so annahm, als wäre sie in die Bedingungen hineingeboren worden. Noch dazu in einer Weise, wie dies nur sehr wenige Weiße getan haben.

Nadine Gordimer in Ruth Weiss „Wege im harten Gras“, S.270.

In den 1990er Jahren zieht es Ruth Weiss zurück nach Europa. Nach einigen Jahren auf der Isle of Wight und in Deutschland, lebt die Journalistin heute in Dänemark. Sie widmet sich verstärkt dem Schreiben von Romanen, vor allem über deutsch-jüdische Themen. Ihr Buch „Meine Schwester Sara“ wird auf Deutsch und Englisch publiziert und wird in Baden Württemberg als Pflichtlektüre an den Realschulen empfohlen. Auch ihre sieben Bände umfassende fiktive Erzählung „Die Löws – eine jüdische Familiensage in Deutschland“ findet große Beachtung. Ihr bekanntestes Werk ist ihre Autobiografie „Wege im harten Gras. Erinnerungen an Deutschland, Südafrika und England“.

Im September 2020 spricht Ruth Weiss im Dokumentationszentrum anlässlich des 85. Jahrestages der Verkündung der Nürnberger Gesetze. Dr. Wolfgang Oppelt, Dr. Abdoulaye Diallo von der Nürnberger Initiative für Afrika, Dr. Astrid Betz, Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, vorne: Lutz Kliche und Ruth Weiss. Bildnachweis: Alexander Mayer

Ruth Weiss – die Wandernde zwischen den Welten – spricht trotz ihres hohen Alters regelmäßig an deutschen Schulen über ihre Erfahrungen im Nationalsozialismus, informiert über Südafrika und das Apartheidregime und liest aus ihren Werken.

2005 wird sie für den alternativen Friedensnobelpreis nominiert, 2010 wird eine Aschaffenburger Realschule in Ruth-Weiss-Realschule umbenannt, 2014 bekommt sie das Bundesverdienstkreuz erster Klasse. Am 15. September 2022 wird Ruth Weiss in Frankfurt mit dem „OVID PREIS“ des „PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland“ ausgezeichnet. Die Preisverleihung findet in Kooperation mit der Deutschen Nationalbibliothek statt.

Im Juli 2022 besucht Ruth Weiss mit Dr. Alexander Mayer und Prof. Andrei Markovits ihr Geburtshaus in Fürth.

Im Saal 600 gab es Standing Ovations für ihr Lebenswerk und ihre ermutigenden Worte zum Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus und dem Einstehen für Freiheit, Frieden und Menschlichkeit.

Eine Aufzeichnung der Veranstaltung können Sie auf YouTube ansehen
Feierstunde für Ruth Weiss

Aktuelle Neuigkeiten zu Ruth Weiss gibt es auf der Website der Ruth Weiss Gesellschaft e.V.
ruth-weiss-gesellschaft.de

Ruth Weiss: Wege im harten Gras. Erinnerungen an Deutschland, Südafrika und England, Verlag Edition AV, Lich 2016
Frederick A. Lubich (Hrsg.): Wandernde zwischen den Welten. Erinnerungen und Betrachtungen aus vier Kontinenten. Verlag Königshausen und Neumann, Würzburg 2022

Weitere Berichterstattung zur Feierstunde im Saal 600 am 5.4.2022:
haGalil.com – Jüdisches Leben online

 

Museenblog abonnieren und keinen Artikel mehr verpassen!
Loading

2 Kommentare zu “Gegen den Hass und für die Menschenrechte

  • Olga
    29 / 7 / 2022 | 23:40

    Großartig dass es solche Vorbilder noch gibt! Wäre gerne dabei gewesen, wo kann man Frau Weiss nächstes mal sprechen hören?

    • Brigitte List
      1 / 8 / 2022 | 15:56

      Wir haben unseren Blogbeitrag um einen Link zur Website der Ruth Weiss Gesellschaft e.V. ergänzt, dort gibt es immer aktuelle Neuigkeiten und Termine.

Schreibe einen Kommentar zu Olga Antworten abbrechen
Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit einem * markiert.

*

*