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25 / 2 / 2021

Die Stadt in Trümmern

Eine Zeichnung Nürnbergs von 1945

Ja, es ist Nürnberg, freilich ein schon fast vergessener Anblick, anders als man es heute zu sehen gewohnt ist. Die Zeichnung von der Hand des vor allem mit Bildern aus Franken bekannten Illustrators Hans Liska wirkt düster und erschreckend in ihrer reduzierten Farbigkeit, fast auf schwarz-weiß beschränkt. Signiert und datierbar: Nürnberg 1945 als Auskunft über den Tag der Entstehung.

Wer war Hans Liska, Gebrauchsgrafiker, Zeichner und Illustrator, wie er in den Lexika bezeichnet wird? Geboren 1907 in Wien, gestorben 1983 in Wertheim, bestattet in Scheßlitz bei Bamberg. Er war zuerst als Bürogehilfe tätig, bildete sich an den Kunstgewerbeschulen von Wien und München aus. Gefördert durch den Ullstein Verlag, studierte er dann in Berlin an der Kunsthochschule.

1939 eingezogen zum Militär, wirkte er wegen seiner besonderen Fähigkeiten als Bildberichterstatter einer Propaganda-Kompanie der Wehrmacht. Er zeichnete an vielen Kriegsfronten in vorderster Linie, mit einem sehr effektvollen, harten, heftige Bewegung und Konzentration auf uniformierte Menschen und Kriegsmaschinerie ausgerichteten Stil, zur vielfachen Verwendung in der Berichterstattung in der Presse, anders als die traditionelle Schlachtenmalerei früherer Zeiten. 1942 und 1944 entstanden daraus zwei entsprechende Bücher, heute in ihrer Mischung aus Pathos und Empathiemangel schwer zu ertragen. Er zeichnete außerdem für die „Berliner Illustrierte Zeitung“, vor allem auch 1936 von den Olympischen Spielen.

Andreas Bach: „Fronleichnams-Prozession an der Frauenkirche“, zu Friedenszeiten, im Jahr 1922, Öl auf Leinwand, 1922.

Nach dem Krieg zog Liska nach Franken und fand in Scheßlitz eine neue Heimat. Dort arbeitet er viel für Produktwerbung. Bekannt sind seine bildlichen Illustrationen für Daimler-Benz, wobei er seine Bravour sehr geschickt inszenierend einsetzen konnte. Seine Autos waren förmlich brausende Tempomaschinen. Vor allem aber wurde Liska bekannt durch seine vielen Städte- und Landschaftsbilder. Seine Motive wurden im Publikum sehr beliebt. Sein Stil wurde wesentlich weicher, der Zug des Stiftes lieblicher und gefälliger, aber auch schwächer.

Die Nürnberg-Zeichnung von 1945 ist in dieser Werk-Entwicklung singulär, ist stilistisch Ende und Anfang zugleich. Die Motivwahl und der Ort der Darstellung sind deutlich: Es ist der Blick nach Norden, hinauf bis zur beschädigten Burg, und zwar vom nördlichen Turm der Lorenzkirche. Das Motiv steht in einer Tradition von Bildern. Es ist der höchste Punkt innerhalb der Stadt mit möglichst weiter Erfassung zumindest der nördlichen Innenstadt. Berühmt war schon immer die fast gleiche Darstellung auf einem prunkvollen Gemälde des Nürnberger Malers Wilhelm Ritter (1860-1948), das er im Auftrag der Landesgewerbeanstalt als Beitrag zum deutschen Teil der Weltausstellung Chicago 1893 gefertigt hatte. Es wurde in einer graphischen Umsetzung weiter verbreitet. Dem Anlass dienend, hat der Maler die Gruppierung der Gebäude ein wenig auseinandergezogen, um auch alle bedeutenden Bauten mit sichtbar zu machen.

Wilhelm Ritter: Der Marktplatz zu Nürnberg, Gemälde für die Weltausstellung Chicago 1893. Reproduktion nach einer historischen Bildpostkarte.

Dieser Blick reizte in der Folge auch viele Photographen. Schon 1890 hatte ihn der berühmte und zur Tradierung Alt-Nürnbergs heute unentbehrliche Ferdinand Schmidt vom gleichen Standpunkt aus festgehalten. Das Motiv fand dann Eingang in fast alle späteren beliebten Nürnberg-Bände, die in renommierten Verlagsserien zu „berühmten Kunststädten“ erschienen, so zum Beispiel im mehrfach aufgelegten Nürnberg-Führer aus der Feder von Paul Johannes Rée, mit späteren Ergänzungen von Theodor Hampe, bis in die 20er Jahre. Eine ähnlich erfolgreiche Serie, gleichsam als Einführung zu einem Besuch der Kunstfreunde, brachte ab 1937 der Deutsche Kunstverlag heraus, aus der Feder des aus Nürnberg stammenden Kunsthistorikers Friedrich Kriegbaum, mit Bildern der Staatlichen Bildstelle Berlin, doch ohne den schon klassisch gewordenen Blick von St. Lorenz.

Aus gleichem Blickwinkel entstanden dann unmittelbar nach den Zerstörungen des Weltkrieges die ausdrucksvollen Ruinenfotos, wie sie vor allem in der Bildstelle des städtischen Hochbauamtes unter der Leitung von Kriegbaums Bruder Wilhelm als Dokumente verwahrt wurden. Sie wurden abgebildet in vielen Publikationen, bisweilen sogar in sehr wirksamen Gegenüberstellungen der historischen Darstellung mit der schrecklichen neuen Gegenwart, bis zu der seit 1988 erschienenen Publikation über „Kriegsschicksale deutscher Architektur“, bearbeitet von Hartwig Beseler und Niels Gutschow.

Ferdinand Schmidt: Blick über die nördliche Altstadt zur Burg, Fotografie, 1890.

Liskas Zeichnung des zertrümmerten Nürnberg entstand nahezu zeitgleich mit den ersten Fotos, von der gleichen Stelle am Nordturm von St. Lorenz, sie wirkt fast wie deren Vervielfältigung. Es besteht aber kein Anlass zur Vermutung einer Kopie. Im Medium der Graphik wirkt die Darstellung freilich verstörender als im Foto. Der Hand des Künstlers bietet sich auf weite Strecken kaum noch eine gestaltete oder zu gestaltende Form dar. Im Gestrüpp der Linien, im schroffen Wechsel von Hell und Dunkel, entgegen jeder Perspektive geht weitgehend die Orientierung verloren. Die beiden dargestellten historischen Kirchen, die Frauenkirche am Hauptmarkt und St. Sebaldus, stehen drohend im Mittelgrund. Da überall die Dächer der Häuser fehlen, wird nirgends ein ordnender Raum definiert. Seltsam klein, ja winzig ziehen die Teilnehmer einer Fronleichnamsprozession verloren über den rahmenlosen Platz nach Norden, vorbei an dem noch in seinem Schutzbau stehenden Schönen Brunnen.

Der Verfasser dieser Zeilen erinnert sich, nur wenige Jahre später bei Besuchen in Nürnberg als Kind und Schüler überall an entscheidenden Stellen der Stadt, trotz fortgesetzten Abräumens und beginnenden Wiederaufbaues, solche unauslöschbaren Eindrücke wahrgenommen zu haben. Die Zeichnung des Hans Liska von 1945, erst kürzlich öffentlich zu sehen, ist Dokument und Kunstwerk zugleich. Es ist zu begrüßen, dass sie nun in die Stadt, in die dortigen Kunstsammlungen zurückkehren konnte.

Weitere Informationen zu dem Künstler Hans Liska


Der Kunsthistoriker und Denkmalpfleger Prof. Dr. Manfred F. Fischer wurde 1936 im thüringischen Ohrdruf geboren. Nach seinem Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Germanistik in Erlangen und Göttingen, wurde er 1964 mit einer Dissertation über „Das ehemalige Cisterzienserkloster Heilsbronn bei Ansbach“ promoviert.
Von 1973 bis 1998 war er Landeskonservator der Freien und Hansestadt Hamburg. Nach nahezu zwei Jahrzenten währender Tätigkeit im Dienst der Thüringer Schlösser und Gärten erhielt Manfred F. Fischer im Oktober 2020 den Verdienstorden des Freistaates Thüringen.
Der Autor regte den Ankauf der oben behandelte Arbeit Hans Liskas an und beteiligte sich mit knapp zwei Dritteln an den Kosten.

Bildnachweis für alle Fotos: Museen der Stadt Nürnberg, Kunstsammlungen

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