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22 / 12 / 2020

Wer ist der Typ im Tucher-Wappen?

Spurensuche nach den Ursprüngen des „Tucher-Mohrs“

Das Wappen der bedeutenden Patrizierfamilie Tucher findet sich laut Literatur erstmals am Sockel der Skulptur des Apostels Bartholomäus in der Nürnberger Stadtkirche St. Sebald, der Familienkirche der Tucher. Ob dieses Tucher-Wappen und die Apostelfigur im Ursprungskontext überhaupt zusammengehörten, ist tatsächlich nicht geklärt: Eventuell sind beide später zusammengefügt worden. Fest steht dagegen: Die Figur seines Namenspatrons war von Berthold I. Tucher (1310-1379), dem ersten Familienmitglied mit Sitz im Kleinen Rat der Reichsstadt Nürnberg, um 1345 gestiftet worden.

Die Fernhandelsfamilie Tucher leitete ihren angestammten Adel, und somit auch ihr Wappenrecht, aus der Teilnahme an einem sagenhaften Turnier ab. Dieses soll 1198 in Nürnberg stattgefunden haben, ist historisch jedoch nicht belegt. Nach dem Turnier hätten, der Legende nach, die Nürnberger Patrizierfamilien dem Kaiser Heinrich VI. (1165-1197) auf seinem Weg nach Italien bis Donauwörth das Geleit gegeben und seien dafür geadelt worden. Auch sahen sich die Tucher – wie auch andere Patrizierfamilien – als Erben sogenannter Ministerialen (kaiserlicher Dienstleute, die aufgrund der ihnen anvertrauten Aufgaben einen enormen sozialen Aufstieg erlebt hatten) und beanspruchten als ehemaliger „Dienstadel“ Ebenbürtigkeit mit dem Landadel.

Grundregeln der Wappenkunde

Das Wappenfeld ist horizontal halbiert. Der obere Teil ist fünfmal schrägrechts geteilt. Diese einfache geometrische Struktur aus schwarzen und silbernen bzw. weißen Streifen wird auch als „gemeines Heroldsbild“ bezeichnet. Im unteren Feld ist ein in der Heraldik (Wappenkunde) so genanntes Mohrenhaupt im Profil auf goldenem bzw. gelbem Grund abgebildet, welches in der Regel nach links gerichtet ist. In der Heraldik wird die Darstellung einer Erscheinung der Realität, in diesem Fall die eines Menschen, auch als „gemeine Figur“ bezeichnet.

Es handelt sich bei der repräsentierten Person vermutlich um den heiligen Mauritius, dessen Profil nach allen Regeln der Wappenkunde stilisiert wurde. Eine derartige Vereinfachung des Motives sollte – wie heute ein Signet oder Logo – den Wiedererkennungswert eines Wappens erhöhen und gleichzeitig die Reproduzierbarkeit vereinfachen.

Aufgrund seiner Herkunft aus dem antiken Königreich Mauretanien wurde der Hl. Mauritius häufig mit dunkler Haut dargestellt und als Maure bezeichnet. Aus diesem Herkunftsbegriff entwickelte sich im Laufe der Zeit das Wort „Mohr“, Mauren und „Mohren“ wurden häufig gleichgesetzt. Von hier leitet sich auch der Name Mauritius (dt. Moritz, ungar. Móric, frz. Maurice, engl. Morris, ital. Maurizio) ab.

Vom Soldaten zum Schutzpatron

Der Legende nach war Mauritius Befehlshaber der aus Oberägypten stammenden, aus Christen bestehenden „Thebäischen“ Legion. Während der Christenverfolgung durch die spätrömischen Kaiser Diokletian und Maximian um 302 n. Chr. nahm er lieber den Märtyrertod auf sich, als seinen Glauben aufzugeben. Er soll in Acaunum, dem heute nach ihm benannten Saint Maurice im schweizerischen Wallis, zusammen mit seiner Legion hingerichtet worden sein.

Im Großen Tucherbuch, der prachtvollen Familiengenealogie, sind die angeblichen Teilnehmer des sagenhaften Turniers von 1198, Wolf und Sigmund Tucher, verewigt. Leihgabe der Tucher’schen Kulturstiftung im Stadtarchiv Nürnberg, Inv.Nr.: E239/III, 258, fol. 27r (Ausschnitt). Foto: Liliana M. Frevel

Aufgrund seiner Standhaftigkeit im Glauben verehrten vor allem Ritter und Adelige den Hl. Mauritius als militärisch-ritterliches Vorbild und erwählten ihn deswegen als Wappenfigur. Als solches wurde Mauritius auch in der Kunst wiedergegeben. Die früheste bekannte Darstellung des dunkelhäutigen Heiligen ist eine in Fragmenten überlieferte Sandsteinskulptur. Sie entstand um 1240/50 und befindet sich heute im Magdeburger Dom. Mauritius ist in aufrechter Haltung gezeigt und trägt eine zeitgenössische, ursprünglich vergoldete, Rüstung und ein Kettenhemd. Als Waffen hat er an einem verzierten Gürtel Schwert und Dolch bei sich. Weitere bedeutende Darstellungen des Hl. Mauritius in prächtiger Rüstung finden sich beispielsweise auf den bekannten Gemälden „Die Heiligen Erasmus und Mauritius“ (1520/21-1524) von Matthias Grünewald sowie „Der Heilige Mauritius“ (1520-1525) auf dem linken Seitenflügel des für Halle (Saale) gefertigten Marienaltars aus der Werkstadt Lucas Cranach d. Ä.

Zur Zeit Karls des Großen (747-814) war Mauritius Schutzherr des in Italien gelegenen Langobardenreiches. Das Königreich Burgund wählte ihn im Jahr 888 ebenfalls zum Schutzpatron. Der dunkelhäutige Heilige war Symbolfigur für den Kampf gegen die Heiden und wurde für Expansions- und Machtpropaganda genutzt.

Eine der Legende nach aus dem Besitz des Hl. Mauritius stammende Lanze zählte im Mittelalter zu den bedeutendsten sakralen Reliquien. Auch unter der Bezeichnung „Heilige Lanze“, „Mauritiuslanze“ oder „Longinuslanze“ bekannt, sollte sie ihrem Träger Unbesiegbarkeit in der Schlacht garantieren. So soll Otto der Große sie während der berühmten Schlacht 955 auf dem Augsburger Lechfeld getragen haben und durch sie den Sieg über die heidnischen Ungarn errungen haben. Die „Heilige Lanze“ ist das älteste Stück der Reichskleinodien – der Herrschaftsinsignien der Könige und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches –, die von 1424 bis 1796 in Nürnberg aufbewahrt wurden.

Der Hl. Mauritius ist außerdem Schutzpatron der Messer- und Waffenschmiede, Färber, Krämer, Hutmacher, Glasmaler, Salzsieder, Wäscher und Tuchweber. Bezieht man die Herkunft des Familienamens Tucher auf den Beruf der Tuchhändler, würde sich auch die Wahl des Hl. Mauritius als Wappenfigur und Schutzpatron plausibel erklären.

Ein Schlussstein im Gewölbe der Eingangshalle des Tucherschlosses zeigt das Allianzwappen des Erbauer-Ehepaares Tucher-Straub. Fotograf: Uwe Niklas

Darstellungen des Hl. Mauritius im Hier und Jetzt

Heute lassen sich absolut positiv konnotierte und mit Stolz getragene bildliche Wiedergaben des Hl. Mauritius in den Wappen verschiedener Regionen, Städte und Familien finden – im In- und Ausland. So ist er nicht nur im Wappen der Familie Tucher, sondern im Stadtwappen von Coburg, Zwickau und dem thüringischen Bad Sulza ebenso dargestellt wie im Wappen der fränkischen Uradelsfamilien Wolffskeel und Grumbach. Am 19. Juli 1941 bestimmte der italienische Papst Pius XII. Mauritius zum Schutzheiligen des italienischen Heeres und des Alpi-Corps. Und sogar der letzte deutsche Papst, Benedikt XVI., wählte ihn als Wappenfigur: Joseph Ratzinger war von 1977 bis 1982 Erzbischof von München und Freising und übernahm den Hl. Mauritius aus dem dortigen erzbischöflichen Wappen.

Seit dem Mittelalter und noch bis heute findet sich der Begriff „Mohr“ häufig im Namen von Apotheken: Alleine in Deutschland sind es rund 100. „Mohr“ ist dabei erneut auf die Mauren und den Hl. Mauritius zurückzuführen. Denn im Mittelalter kam die führende Heilkunde aus dem islamischen Kulturbereich, dem Maurenreich, nach Europa. Zudem galt Mauritius als Nothelfer für kranke Kinder und wurde auch bei Gicht, Ohrleiden und Krampanfällen angerufen.

Bedeutungswandel

Das „M-Wort“ war also keineswegs von Beginn an negativ belegt gewesen – im Gegenteil. Es bezeichnete wertgeschätzte Heilkundige und ihre Medizin aus Afrika und dem Orient oder war Synonym für einen tugendhaften christlichen Heiligen.

Auch auf einigen runden Allianz-Wappenscheiben findet sich der „Tucher-Mohr“: So auf einem Medaillon mit der Darstellung eines „Wilden Manns“ und dem Wappen der Familie Imhoff (links) sowie auf einer Rundscheibe mit den Wappen der Familien Dietherr und Fürleger (rechts). Leihgaben der Tucher’schen Kulturstiftung im Museum Tucherschloss, Inv.Nr. Hl MM 005 und Hl MM 008. Fotos: Uwe Niklas

Erst ab dem 18. Jahrhundert kippte die Bedeutung des Wortes „Mohr“ ins Negative, nachdem zunehmend Sklaven aus ganz Afrika als Kammerdiener und exotische Prestigeobjekte an europäischen Höfen missbraucht oder auf „Völkerschauen“ als Kuriositäten vorgeführt wurden. Die vorkoloniale Vorstellung des „edlen Mauren“ wandelte sich zum Stereotypen eines als Zierde oder als leicht auszubeutende Arbeitskraft dienenden Menschen von geringem Wert.

Es steht außer Frage, dass die Bezeichnung „Mohr“ im heutigen Alltag kaum in seinem ursprünglichen historischen Kontext, sondern als rassistisch-diskriminierender Ausdruck benutzt und verstanden wird und aus diesem Grund nicht tragbar ist. Umso wichtiger ist es, diese Bezeichnungen nicht fortzuführen, sondern ausschließlich in einem historischen Zusammenhang mit Anführungsstrichen zu verwenden, dabei zu erklären, kritisch zu kommentieren und einzuordnen.

Das Tucher-Wappen aus dem Großen Tucherbuch. Leihgabe der Tucher’schen Kulturstiftung im Stadtarchiv Nürnberg, Inv.Nr.: E239/III, 258, fol. 24r. Foto: Liliana M. Frevel


Jana Hauguth, Bachelor-Studentin der Professur für Museologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, hat im September und Oktober 2020 ein Praktikum im Museum Tucherschloss und Hirsvogelsaal absolviert.

8 Kommentare zu “Wer ist der Typ im Tucher-Wappen?

  • Christine Körber
    2 / 1 / 2021 | 10:02

    Wie ist das mit den Menschen, die Mohr heissen. Sollen die ihren Namen ändern lassen?

  • Rolf K.
    1 / 5 / 2021 | 19:40

    Der Artikel ist sehr informativ. Schade, dass die Verfasserin am Schluss eine tiefe Verbeugung vor dem Zeitgeist macht. Sie berücksichtigt dabei nicht, dass das Wort „Mohr“ veraltet ist und im neueren Deutsch schon längst nicht mehr gebräuchlich ist.

    • Tabea
      23 / 6 / 2021 | 11:09

      Scheinbar hast du den Text nicht richtig gelesen bzw gehst mit verschlossenen Augen durch die Straßen… Viele Apotheken und auch Straßennahmen tragen immernoch diesen Namen, der Schwarze Menschen herabwürdigt. Diese rassistische Bezeichnung zeut von einer in unserer Gegenwart weiterwirkenden gewaltvollen deutschen und europäischen Kolonialgeschichte. Vielen Dank an die verfassende Person des Textes für die Beachtung und den Hinweis auf die rassistische Bedeutung seit der Kolonialgeschichte.

      • David
        1 / 2 / 2024 | 14:23

        „Mohr“ hat keine rassistische Konnotation. Die römischen Legionen Afrikas wurden so genannt, wie die „Mauri Benditorum“. Maurice ist in ganz Europa ein sehr verbreiteter Name, Ihre Vorstellungen sind absurd. Ich erinnere Sie daran, dass Ihre Mauren die schlimmsten Sklavenhändler in Spanien und im Maghreb waren. Ich werde Ihnen die Kastrationszentren ersparen, in denen Schwarze zu Millionen starben. Vermeiden Sie es auch, über die deutsche Vergangenheit zu sprechen, der letzte Sklavenmarkt war 1921 in Marrakesch.

  • Hermann G.
    9 / 8 / 2021 | 14:23

    Der Apostel mit dem Tucher-Wappen in der Sebalduskirche ist nicht Bartholomäus sondern Jakobus der Jüngere

  • Barbara Schmidt
    25 / 1 / 2023 | 19:57

    Mohr sollte einfach wieder positiv besetzt werden….. die Medien un Schulen würden das locker schaffen….
    Zudem ist das ganze gerede von weiss schwarz gelb rot „grün un lila“ völlig überflüssig und macht es nur schlimmer – wir sind ALLE GLEICH!!!!!

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