Zweimal besuchte Regina Schmeken die Tatorte von Rostock bis Heilbronn. Kleine Ladengeschäfte, versteckt in Wohnvierteln, eine ganze Straße in Köln, den Blumenstand in Langwasser. Zehn Menschen wurden hier vom sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ ermordet. „Es hätte überall geschehen können“, bilanziert die Fotografin. Ihre Eindrücke hat sie in der Fotoinstallation „BLUTIGER BODEN. Die Tatorte des NSU“ künstlerisch verarbeitet, die ab 19. September im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände zu sehen ist. In diesem Blogbeitrag berichtet sie über die Entstehungsgeschichte.
Über die Taten des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrundes“ hatte Regina Schmeken vor 2013 genau so viel oder so wenig gehört und gelesen wie die meisten anderen Menschen auch. Dann reiste sie – auf Anfrage von SZ-Gerichtsreporterin Annette Ramelsberger – durch acht deutsche Städte und fotografierte die Tatorte. Die Dimension des Verbrechens wurde ihr schmerzlich bewusst. Zwischen 2000 und 2007 hatte der neonazistische und rassistische NSU in Deutschland neun Männer türkischer und griechischer Herkunft und eine Polizistin ermordet, darunter in Nürnberg Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru und Ismail Yaşar. Bei Sprengstoffanschlägen wurden weitere Menschen zum Teil schwer verletzt. Erst 2011 wurde der NSU öffentlich bekannt und die Taten als rechtsextremer Terror eingeordnet. „Ich konnte nicht fassen, dass bei uns, in einem demokratischen Staat, in unserer liberalen Gesellschaft, solche brutalen Taten geschehen und die Täter so lange unentdeckt bleiben konnten.“
Entsetzen und Anteilnahme
Die Fotografin, Jahrgang 1955, wollte ein Zeichen setzen. Sie plante eine Ausstellung. Aber wie könnte die künstlerische Umsetzung gelingen? Wie sollte sie aussehen? Wie würden ihr Entsetzen über die Taten und die Ermittlungspannen, die Anteilnahme für die Opfer und ihre Familien die richtige Form finden?
Schon als Jugendliche hat Regina Schmeken die Fotografie als künstlerisches Medium für sich entdeckt. Die Kamera, formuliert Regina Schmeken, hat für sie ein „subjektives Objektiv“. Hoch ästhetisch, immer in Schwarz-Weiß fokussiert die Künstlerin auf spannende Perspektiven und besondere Momente. Einen Standpunkt finden, eine Haltung und einen ästhetischen Ausdruck – das war die Herausforderung auch bei ihrer zweiten Reise zu den Tatorten des NSU in den Jahren 2015 und 2016.
Vieles hatte sich verändert. Nun gab es Hinweis-Schilder auf die Taten und Gedenksteine für die Opfer, dennoch standen viele der Läden auch Jahre nach den Morden leer. „Am wenigsten verändert hatte sich der Blumenstand an der Liegnitzer Straße in Langwasser“, sagt Regina Schmeken. Hier kam sie ins Gespräch mit einem Blumenhändler, der dort jetzt verkauft. „Als ich ihm erzählte, warum ich dort fotografierte, ging er zu seinem Auto und zeigte mir ein Blatt Papier, auf dem, wie bei einem Steckbrief, die Porträts der Opfer des NSU angeordnet waren und stellte nur eine Frage: Warum?“
Die Pfütze auf dem Asphalt
Auf Aufnahmen des Tatortes, an dem Enver Şimşek tödlich verletzt wurde, sieht man unter anderem eine Wasserpfütze. Die Betrachter mag sie an vergossenes Blut erinnern. Wie jede Ausstellung, jedes künstlerische Werk baut auch „BLUTIGER BODEN. Die Tatorte des NSU“ auf dem Vorwissen der Betrachter auf, erweitert gleichzeitig deren Erfahrungsraum. Den Besuchern werde, das bilanziert Regina Schmeken aus Einträgen in Gästebücher der vorangegangenen Stationen der Ausstellung in Dresden, Berlin, München und Kassel, oft erst durch diese großformatige Fotoinstallation „die Dimension der Morde und Verbrechen des NSU bewusst“.
Für Regina Schmeken ist es „ungeheuerlich, dass Menschen morden aufgrund von rassistischen Motiven.“ Eine Minderheit seien die, gewiss, aber eine gewaltbereite und gewalttätige. „Wie gehen wir mit solchen Leuten um?“, fragt die Künstlerin. Ihre Ausstellung appelliere an das Publikum: „Schaut Euch das an: Das kann nicht sein, da müssen wir etwas dagegen tun.“
Verdichtung und Komposition
Aber wie zeigen, was lange vergangen und nicht mehr zu sehen ist? Aus hunderten von Bildern der Tatorte wählte Regina Schmeken zunächst die gelungenen aus. Dann folgte eine zweite Runde mit Auswahl der besten Aufnahmen. Ein Verdichtungsprozess. Begleitet von stetem Überdenken, der Komposition im Kopf und vielen Gesprächen mit Schmekens Assistent Hendrik Reichel und Kurator Gorch Pieken, der die Ausstellung ans Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden holte und 2016 erstmals zeigte.
In dem Katalog zu „BLUTIGER BODEN. Die Tatorte des NSU“ dokumentieren jeweils fünf bis acht Aufnahmen einen Tatort. „Für die Ausstellung“, sagt Regina Schmeken, „hatte ich relativ spontan die Idee, einen Dreiklang zu jedem Ort zu zeigen. Ein Triptychon.“ Die Fotografien werden in der Chronologie der Morde gehängt – ohne Abstand, denn alle Bilder, alle Taten gehören zusammen.
Hoffnung auf Gerechtigkeit
Nur das letzte Bild der Ausstellung hängt mit deutlichem Abstand zu den anderen: Es zeigt die Tür zum Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München, in dem fünf Jahre lang verhandelt wurde. Die Tür, durch die Beate Zschäpe an jedem Verhandlungstag ging. „Für mich impliziert das Bild Hoffnung auf Gerechtigkeit“, sagt Regina Schmeken.
Informationen zur Ausstellung „Blutiger Boden. Die Tatorte des NSU“
Führungen durch die Ausstellung „Tatorte, Spurensuche, Wahrnehmungen“
jürgen schwalm
6 / 11 / 2019 | 9:22
Guten Morgen,
ab wann ist die Fotoausstellung über die NSU-Verbrechen zu sehen?
Brigitte List
7 / 11 / 2019 | 13:34
Die Ausstellung ist noch bis zum 23. Februar 2020 im Dokuzentrum zu sehen.
Doreen Ellerbeck
29 / 11 / 2019 | 0:34
Der Film konzentriert sich auf die Familien von drei der zehn NSU-Todesopfer: Enver Simsek, Mehmet Kubas?k und Suleyman Taskopru. Sie waren alle Kleinunternehmer, lebten zusammen mit ihren Familien, waren auf dem Weg in den deutschen Mittelstand. Es hatte auch meinen Vater oder meine Bruder treffen konnen. Das hat mich fassungslos gemacht , sagt die Regisseurin Aysun Bademsoy. Fur sie ist es ein sehr personlicher Film. Er macht deutlich, dass die Morde des NSU nicht nur die Familien der Opfer tief verunsichert haben, sondern viele migrantische Communitys, die im Visier von Rechtsextremist*innen stehen.