Das Deutsche Spielearchiv besitzt rund 30.000 Spiele. Eine Fundgrube für Wissenschaftler, die über Spielanleitungen dem Spielen auf den Grund gehen wollen: Warum spielen wir Menschen so gern? Welche motivierenden Faktoren machen bestimmte Spiele so erfolgreich? Und wie könnte man Spielmotivationen im Alltag einsetzen?
Für den Informatikprofessor Thomas Voit von der Technischen Hochschule Nürnberg und seine vier Kollegen aus den Bereichen Psychologie, Sozialwissenschaften, Mediendidaktik und Big Data freilich bedeutet das Empamos-Projekt (die Abkürzung für empirische Analyse motivierender Spielelemente) Grundlagenforschung.
Sicher hätten Unternehmen daran Interesse. Beispielsweise, wenn sie Teams bilden oder Mitarbeiter besser motivieren wollen. Denn selten sind Menschen so konzentriert und mit vollem Einsatz bei der Sache wie im Spiel. Motivierende Elemente aus der Spielwelt in den Arbeitsalltag zu integrieren, sei denkbar, „aber noch beschäftigen wir uns mit den Grundlagen“.
Die Anleitungen für Brettspiele sind dafür ein ideales Forschungsobjekt. Sie sind bereits auf den Kern reduziert: Schriftlich fassen sie ein komplexes Spielgeschehen zusammen und ordnen die Regeln. „Wir falten die Spiele dann auseinander wie einen Papierflieger“, sagt Thomas Voit. Rund 4000 Anleitungen haben sich die Wissenschaftler vorgenommen. Sie alle lesen und kategorisieren – uff! – das kann nur eine Maschine. Ein Roboter, den die Forscher aber zunächst trainieren müssen.
Joker, Strafe, Zufall
Aber von vorn. Die Empamos-Analyse hat mehrere Stufen:
1. Studierende der Technischen Hochschule spielen regelmäßig im Spielearchiv. Spaß ist erlaubt, aber in diesem Fall Nebensache: Nach der Partie sezieren die jungen Frauen und Männer das Spiel. Welche Elemente sind vorhanden? Joker, Strafen oder beispielsweise ein Zufallsfaktor, wie ihn das Mischen von Karten oder Würfeln ins Spiel bringen. Die Studierenden halten die Struktur des jeweiligen Spiels fest und notieren, woraus die Mitspieler ihre Motivation beziehen. Ihre Erkenntnisse dienen als Basis für die Einordnung und Gewichtung der verschiedenen Elemente.
2. Der Computer muss lernen, die Anleitungen zu „verstehen“. Dazu identifiziert das Computerprogramm Schlüsselwörter in den eingescannten Anleitungen und bestimmt deren Häufigkeit. Zum Beispiel das Wort Punkte, das in Anleitungen zu Gewinnspielen auftaucht. Dann „verbannen“ die Informatiker das Schlüsselwort, die Maschine lernt den Typ des Spielelements über verwandte Wörter wie zählen, notieren oder werten zu identifizieren.
Aber Achtung: Die Wissenschaftler müssen wachsam bleiben, denn der Computer analysiert die Texte nicht wie ein Mensch nach Sinnhaftigkeit. Ein schönes Beispiel: In vielen Spielanleitungen taucht der Begriff „Postfach“ auf. Was das mit Spielen zu tun hat? Nichts, also fast nichts. Das Postfach ist schlicht Teil der Verlagsadresse, die auf keiner Anleitung fehlen darf.
3. Praktisches Ziel des Projekts ist die maschinelle Erfassung und Einordnung des Bestands des Spielearchivs. Womöglich mündet diese Gesamtschau einmal in eine neue Verschlagwortung des großen Spiele-Schatzes und in ein Archivsystem, das Interessierten auch Empfehlungen für ihren nächsten Spieleabend gibt. Vergleichbar etwa mit Amazon, das die Vorlieben von Lesern analysiert und ihnen Tipps für ein nächstes, interessantes Buch gibt.
Ein Rest von Geheimnis wird bleiben
86 verschiedene Spielelemente haben die Forscher identifiziert, darunter zum Beispiel gemeinsames Spielfeld, Aktionspunkte, Ereignis, Storytelling, Verlier-Bedingung. In raumgreifenden Grafiken stellen sie die häufigsten Elemente und ihre Bezüge untereinander dar. Eine Landkarte des Spielens.
„Wir müssen ganz viel Demut haben vor der Kreativität der Spielentwickler, sie sind Künstler“, sagt Thomas Voit. Zum Beispiel der Spieleschlager „Siedler von Catan“, von dem über 20 Millionen Stück verkauft wurden. Geschickt verknüpft Siedler-Autor Klaus Teuber Strategie und Zufall und entführt die Spieler nicht nur in eine andere Welt, sondern – besser noch – er lässt sie selbst eine neue Welt erschaffen. Und selbst wenn eines Tages ein Computer ein Erfolgsrezept für ein tolles Brettspiel liefern könnte, sei der Mensch der Maschine doch überlegen, ist Thomas Voit überzeugt: „Ein Rest von Geheimnis wird immer bleiben.“