Museenblog Nürnberg

Neueste Beiträge

Kategorien

15 / 11 / 2018

Was macht Spielen zum Kulturgut?

Von den alten Ägyptern bis zum Verrückten Labyrinth: Max Kobbert plädiert für gemeinschaftliche Spiel-Erlebnisse

Spielen ist Kultur. Max J. Kobbert lebt diesen Gedanken wie kein anderer: Er hat das „verrückte Labyrinth“ erfunden, seine wertvolle Sammlung von Spielsteinen und Würfeln dem Spielzeugmuseum gestiftet und sich wissenschaftlich mit dem „Kulturgut Spiel“ auseinandergesetzt. Bei der Eröffnung der Ausstellung „Das Zeug zum Spielen“ wird der Professor für Wahrnehmungspsychologie mit den Gästen Senet spielen, eins der ältesten Spiele der Welt. Im Interview nennt er gute Gründe, warum auch Erwachsene (häufiger) spielen sollten.

Herr Professor Dr. Kobbert, warum spielen Menschen?

Es gibt zwei Gründe. Der erste ist ein innerer: Weil’s Spaß macht! Menschen spielen aus Lust am Leben, etwas mit anderen zu machen, Erfolgserlebnisse zu genießen.

Und der zweite Grund?

Ein äußerer: Spielen hat eine wichtige Funktion für das Leben, die aus der Entwicklungsgeschichte kommt: Auch junge Tiere spielen und üben dabei alle Lebensfunktionen und Situationen. So können sie auf Unvorhergesehenes reagieren. Bei Kindern ist es ebenfalls ganz deutlich zu beobachten. Sie üben im Spiel ein, was im Erwachsenenleben nötig sein kann. Spielen macht flexibel.

Wenn ohnehin alle spielen, warum ist das Spiel ein Kulturgut?

Spielen nur vom Lernen her zu sehen, das gefällt vielen nicht. Die Gegenposition heißt: Spielen hat seinen Sinn in sich – doch das reicht mir nicht. Ich orientiere mich an dem Philosophen Ernst Cassirer, der gesagt hat: „Kultur ist ein symbolisches Universum.“ Dabei ist das Spiel ein besonderes Beispiel für symbolisches Handeln. Jedes Spiel ist ein neues symbolisches Universum. Das „so tun als ob“, das ist im Spiel nicht bloß abstrakt. Denn wir bringen uns als Person in die Spiel-Situation ein, wir denken und fühlen real und handeln auch real, indem wir Karten legen oder Figuren ziehen.

Würfel, Blei 13,5 mm, keltisch, Manching/Donau 150 – 50 v. Chr. Die Muster der Augenzahlen und ihre Verteilung nach der Siebener-Regel stimmen bereits mit heutigen Würfeln überein.

Wie lange spielen Menschen schon?

Menschen haben in ihrer Entwicklungsgeschichte immer schon gespielt. Naturvölker amüsieren sich zum Beispiel über Gesichter und Tiere, die sie in Wolken erkennen. Was mich besonders interessiert ist, seit wann unsere Vorfahren Brettspiele kennen. Backgammon etwa wurde im 20. Jahrhundert neu entdeckt, es soll aber auch Luthers Lieblingsspiel gewesen sein und faszinierte im 13. Jahrhundert bereits König Alfons X von Kastilien. Es geht aber auf die Römerzeit zurück. Und ein Vorläufer, das altägyptische Senet-Spiel, gehört zu den ältesten Spielen der Welt.

Das heißt in Jahren?

Es wurde – mindestens – schon 3500 Jahre vor Christus gespielt und ist älter als die Pyramiden. Schon damals kannte man Ereignisfelder, zog seine Figuren und zog sie aus dem Spielfeld heraus wie beim Backgammon: Es symbolisierte das Übergehen vom Diesseits ins Jenseits. Der Spieler tat etwas für sich selbst, indem er gut spielte.

Figuren des Senetspiels, Elfenbein 29–35 mm, Ägypten, Neues Reich (ca. 1500–1000 v. Chr.).

Spielen kann man gut ohne jede Hilfsmittel: Fangen und Versteckspielen, Hüpf und Sprachspiele. Warum brauchen wir überhaupt „Zeug zum Spielen“?

Es vervielfältigt die Möglichkeiten. Nehmen wir Schach, das international verbreitet ist. Es ist vermutlich im 8. Jahrhundert aus den „Sandkastenspielen“ indischer Heerführer entstanden, bei denen Figuren ihre Waffengattungen abbildeten und abgegrenzte Felder für Landesteile standen. Die taktischen Überlegungen dienten der Frage, wie man am besten Krieg führt. In Bauer, Pferd, Turm und Läufer sind diese Ursprünge noch zu finden.

Heute gibt es Tausende von Spielen, Figuren und Spielfelder sind immer feiner ausgeprägt. Welche Rolle spielen Moden beim Spiel?

Das Design ist natürlich sehr stark zeitabhängig. Im 19. Jahrhundert ist die Ausformung sehr figürlich und detailreich. Das änderte sich total mit dem Bauhaus-Stil, bei „Fang den Hut“ zum Beispiel war ausdrücklich eine abstrakte Form gefordert. Auf der anderen Seite gibt es überdauernde Elemente wie den Halma-Kegel, der 1883 für Halma entwickelt wurde, den meisten heutzutage aber als Mensch-ärgere-Dich-nicht-Figur bekannt ist. Solche menschenähnliche Figuren tauchen im Lauf der Spiele-Geschichte immer wieder auf und lassen sich bis ins alte Ägypten nachweisen.

Sie sind selbst Spiele-Erfinder und haben mit „Das verrückte Labyrinth“ einen Klassiker geschaffen. Der verfolgt ein ganz anders Prinzip?

Labyrinth-Rätsel haben mich schon als Kind fasziniert, doch oft war ich enttäuscht, wie schnell ich die Lösung gefunden hatte. Das gab den Ansporn, ein Labyrinth zu finden, das sich immer wieder ändert. Es dauerte Jahre, bis ich eine Puzzle-Kugel, den Grundgedanken Labyrinth und die Idee des Umherirrens so kombiniert hatte, dass „Das verrückte Labyrinth“ Gestalt annahm.

Die 1991 erschienene Version „Labyrinth der Meister“.

Sie selbst sind Fan und Verfechter der Brettspiele. Was ändert sich durch die Computerspiele?

Stimmt, ich äußere mich häufig skeptisch zu Computerspielen – weil ich die Fahne der Brettspiele hochhalte. Allerdings beschäftige ich mich seit 1970 damit und habe selbst schon Spiele programmiert. Computerspiele sind ein neues Medium mit eigenem Reiz. Der Hauptgrund ihrer Beliebtheit liegt aber nicht in der realistischen Darstellung, sondern in dem unmittelbaren Feedback, das die Spieler bekommen. Das motiviert weiterzumachen. Dazu kommt: Egal welchen Fehler ich mache, ich kann mich nicht blamieren. Denn ich spiele ja allein gegen die Maschine.

Trübe Aussichten für die Brettspiele also?

Um das Jahr 2000 herum gab es eine Situation, da sahen die Hersteller ihre Felle davonschwimmen. Ich habe nie gezweifelt, denn als Wahrnehmungspsychologe weiß ich, wie wichtig neben der visuellen die haptische Wahrnehmung ist. Beim Brettspiel haben die Spieler etwas anzufassen, sie sitzen mit anderen Menschen an einem realen Tisch… Dagegen komme ich beim Computerspiel nie hinter die Schaufensterscheibe, ich bin nie „drin“. Tatsächlich beobachte ich mit Genugtuung, dass gegenwärtig die Brettspiele wieder im Kommen sind. Aktuell werden pro Jahr 1400 neue Spiele aufgelegt!

Wenn Sie ein Geistesblitz treffen würde: Welches Spiel fehlt noch?

Da warte ich jeden Tag drauf! Es könnte ein Hybrid zwischen Brett und Computerspiel sein… Im Ernst: Ich arbeite anders herum. Ich schaue, was es gibt, und lasse mich anregen. Ich suche nach neuen Möglichkeiten, zum Beispiel wenn ich durch den Baumarkt gehe und die vielen Halbfertig-Produkte unter den Metallwaren sehe. Ein gutes Beispiel ist auch das „Labyrinth der Meister“, für das ich hart gekämpft habe beim Verlag. „Gibt es doch schon“, hieß es. Und ich habe gesagt, „Warum machen wir nicht eine Spiele-Familie daraus? Die Grundregeln des Labyrinths kennen die Spieler schon, sie werden sich über die Neuerungen freuen“. Im ersten Jahr wurden 500.000 Stück verkauft, ein Rekord. Dieses Prinzip setzen auch die „Siedler von Catan“ oder das Legespiel „Carcassonne“ erfolgreich um.

Max J. Kobbert bei einer Spieleaktion in einem Begegnungszentrum in Münster, mit dem von ihm erfundenen Spiel „Das verrückte Labyrinth“. Foto: Simon Wolff

Und was spielen Sie selbst am liebsten?

Seit 1997 spiele ich jeden Abend mit meiner Frau zwei Partien Rummikub. Und wenn es unentschieden steht, noch eine dritte. Wir notieren jedes Ergebnis. Der Verlierer muss 50 Cent einzahlen und wenn genug Geld beisammen ist, gehen wir schön essen. Für mich ist das Tolle am Spielen, dass man miteinander spielt. Menschen finden im Spiel zusammen, es verbindet uns über Nationen und Sprachgrenzen hinweg, ja sogar über Zeiten. Spiele verbinden die Menschen seit Jahrhunderten und Jahrtausenden.

Informationen zur Ausstellung „Das Zeug zum Spielen“

Buch: Max Kobbert „Kulturgut Spiel“, Museen Nürnberg 2018 (2. Aufl.)


Bildnachweis für alle Fotos (soweit nicht anders angegeben): Max Kobbert

Schreibe einen Kommentar
Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit einem * markiert.

*

*