Was macht die moderne Hexe? Sie reitet nicht mehr auf dem Bock, sondern hat das Tier gegen einen Feuerstuhl getauscht. Polyeder fallen wie Würfel, und tief im Meer windet sich ein Krake im Licht des Tauchroboters. So frei interpretieren Grafik Design-Studierende heute Dürer. Bunt, provokant, überraschend sind die Linoldrucke, die bis Mitte September im Albrecht-Dürer-Haus zu sehen sind. Wie kam es dazu?
Manchmal beginnt eine großartige Ideen mit einer beiläufigen Begegnung. Beim Neujahrsempfang der Stadt Nürnberg traf der Künstler Fred Ziegler auf Thomas Schauerte, den Leiter des Albrecht-Dürer-Hauses und ausgewiesenen Dürer-Experten. Der eine arbeitet mit Studierenden, der andere wünscht sich mehr jüngere Besucher im Museum. Schnell waren sie sich einig: Da müssen wir uns unterhalten.
Noch immer rätselhaft
Thomas Schauerte schlug Dürers Rätselbilder vor. Graphiken wie „das Meerwunder“, „die Hexe“ und – als vielleicht bekanntestes – die sinnierende „Melencolia“ lassen sich bis heute nicht vollständig erklären und, wichtiger noch, sie sind Beispiele für Dürers Meisterschaft und lehren das genaue Hinschauen.
„Die meisten jungen Leute haben keine Ahnung, was der Dürer da gemacht hat“, muss Fred Ziegler, der seit 22 Jahren die Druckwerkstatt der Technischen Hochschule leitet, konstatieren. Natürlich: Der Hase und die Betenden Hände sind den meisten bekannt. Aber darüber hinaus? Dürers Bildaufbau, die Figurenzeichnung, die feinen Linien und die überragenden handwerklichen Fähigkeiten, ganz zu schweigen von den Bezügen zur Geistesgeschichte und Wissenschaft, die er herstellt – all das haben Studierende aus vier Jahrgängen genutzt.
Sie informierten sich aus Sekundärliteratur über Albrecht Dürer, sein Wirken und seine Zeit. Dürers Rätselbilder erhielten sie als Faksimile. Ihr Auftrag: Sich inspirieren lassen von Gegenständen und mystischen Figuren und sie in die Jetzt-Zeit transportieren. „Je mutiger, desto besser“, gab Fred Ziegler, der mit seinen gelben Kunstwerken weit über Nürnberg hinaus bekannt ist, als Devise aus.
Gefühl für den Werkstoff
Nicht nur die Rätselbilder waren für die Studierenden, die im 3. Semester verpflichtend das Modul „Illustration“ belegen, neu. Sondern auch der Druck als Technik. „Sie haben Respekt vor den Maschinen, müssen den Umgang mit Farben lernen“, sagt Dozent Ziegler. Deshalb üben die jungen Leute zunächst mit Leder, mit Fell und Noppenfolie, um ein Gefühl für den Werkstoff zu bekommen. Ihre Semesterarbeit fertigen sie dann als Linol- und Materialdruck.
Frühere Jahrgänge haben Plakatentwürfe oder Plattencover als Motive genommen. Die Werke mit Dürer-Bezug seien „eindeutig gesellschaftsbezogener“, sagt Fred Ziegler. Manche hält er sogar für prophetisch, wie Trump, der auf einem Elefant reitet, und eine US-Flagge hält oder die Verknüpfung von „Meerwunder“ mit der Werbung für Schaumbad.
Orientierung an den Meistern
Rund 80 Werke sind entstanden, 35 davon sind vor pinkfarbenem Hintergrund im Graphischen Kabinett zu sehen. Professorin Sybille Schenker war bei der Auswahl dabei. „Jeder musste einen Text schreiben und erklären, warum er oder sie sich genau für dieses Motiv entschieden hat.“
Die Orientierung an alten Meistern gehört zur Ausbildung. „Dürer als Zeichnerpersönlichkeit ist für mich immer auch Vorbild, so wie der mit Strich und Bild umgeht“, sagt Sybille Schenker, die in ihren eigenen Illustrationen mit Scherenschnitt arbeitet. Sie ist in Nürnberg aufgewachsen und erinnert sich, dass sie als Schülerin das Dürerhaus besuchte und fasziniert von der Druckerpresse war.
„Die Präsentation im Graphischen Kabinett stellt das Ganze noch einmal in ein anderes Licht“, meint Fred Ziegler. Wenn die Drucke der Studierenden mit Passepartout versehen und gerahmt sind, „bekommen sie die Wertschätzung, die sie verdienen“.
Informationen zur Ausstellung „Rätselbilder“
Bildnachweis für die Fotos der Linoldrucke: Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm
Bildnachweis für alle anderen Fotos: Museen der Stadt Nürnberg, Kunstsammlungen