Hundert Jahre ist es her: Am 13. Juni 1916 vermachte der Kunstdrechsler Johann Engelhardt Hermann Saueracker der Stadt Nürnberg die Sammlung seiner kunstvollen Werke. Ein guter Grund, sich an den genialen Drechsler zu erinnern.
Kultstatus unter Drechslern
Johann Engelhardt Hermann Saueracker ist der Allgemeinheit nahezu unbekannt, unter Drechslern besitzt der 1943 verstorbene Nürnberger Kunsthandwerker jedoch Kultstatus. Saueracker hatte als Kunstdrechsler ein Können erlangt, das heute kaum noch jemand in vollem Umfang beherrscht, seine Arbeiten zeigen eine Kunstfertigkeit, die selbst Fachleute staunen lässt! Die Anfragen, die die Kunstsammlungen – auch aus Großbritannien und den USA – zu Saueracker und seinem Werk erreichen, verweisen auf eine internationale Fan-Gemeinde.
Frühe Berufung zum Drechslerhandwerk
Hermann Saueracker wurde 1855 als Sohn eines Nürnberger Nachtlichtfabrikanten geboren. Schon in seinen Kinderjahren soll er das Berufsziel gehabt haben, Drechsler zu werden. Nach einer Lehre bei Drechslermeister Grünert arbeitete er in der Dreherei Schmetzer, für die er 1882 alleine sämtliche Ausstellungsstücke anfertigte, mit denen sich der Betrieb 1882 auf der Bayerischen Landes-, Industrie-, Kunst- und Gewerbeausstellung präsentierte. Saueracker war besessen von seinem Beruf, er war ein Tüftler, der ständig daran arbeitete, neue Techniken zu entwickeln und alte zu perfektionieren.
1884 bewarb sich Saueracker erfolgreich um eine Stelle als Lehrer an der neu gegründeten Deutschen Fachschule für Drechsler und Bildschnitzer im sächsischen Leisnig, an der er fünf Jahre mit großem Erfolg unterrichtete. 1889 zurück in Nürnberg, übernahm er die Leitung der Nachtlichtfabrik seines Vaters, seine wahre Leidenschaft blieb jedoch das Drechslerhandwerk, dem er seine ganze Freizeit widmete.
Kunstdreherei – einst ein Hobby des Adels
Die Kunstdreherei als Freizeitbeschäftigung auszuüben war besonders im Zeitalter des Barock eine „fürstliche“ Tätigkeit, die unter anderem von dem Bayerischen Kurfürsten Max Emanuel und der dänischen Königin Sophie Magdalena praktiziert wurde. Entsprechend kunstvoll waren die Erzeugnisse, die auf den vornehmen Werkbänken entstanden: feine, verspielte Arbeiten, die teilweise noch heute in Kunst- und Wunderkammern aufbewahrt werden und die sich Saueracker zum Vorbild nahm.
Feinheit und Präzision auch in Kirschkernformat
Die Arbeiten des Nürnbergers faszinieren durch ihr Raffinesse und verblüffen durch die ausgesuchte Kunstfertigkeit des Drechslergenies. Saueracker spielte mit der Beschaffenheit des Werkstoffs indem er die Strukturen der unterschiedlichen Materialien in die Gestaltung seiner Objekte einbezog, dabei erstaunt die Vielfalt der verwendeten Rohstoffe – er drechselte in Holz und Elfenbein, ja sogar in Metall und hartem Serpentin-Stein. Die Präzision zu der Saueracker fähig war, wird sichtbar an zwei Miniaturkegelspielen, von denen jeweils eines – neun Kegel und eine Bowlingkugel – Platz in der Hälfte eines Kirschkerns findet! Sein Talent erlaubte Saueracker – über das Drehen von Formen hinaus – auch Bilder und Schriften als Reliefs zu drechseln.
Woran erkennt man das Genie?
Das große Genie Sauerackers wird in einem kleinen Elfenbeinschälchen erfahrbar; das Gefäß, das die Form einer gedrückten Kugel besitzt, ist extrem fein ausgearbeitet, durch die hauchdünn gedrehte Wandung leuchtet das Licht und macht die natürliche Maserung des Elfenbein – ein feines Gittermuster – sichtbar. Um die leicht eingezogene Mündung verläuft ein kurzer Steg, in den Saueracker ein feines Blattrankenfries gedrechselt hat. Der Blick von oben auf den Gefäßboden im Inneren zeigt in präzise herausgearbeiteten Lettern und Zahlen die ringförmige Signatur des Kunstdrechslers „Gedreht von J.E.H.S. Nürnberg 1897“, eine Kleinigkeit, – deren Großartigkeit beeindruckt!
Musterstücke bis in die heutige Zeit
Zahlreich sind aber auch Objekte in der Sammlung erhalten, aus denen sich der Zweck ablesen lässt, zu dem Saueracker seine Sammlung angelegt und der Öffentlichkeit übergeben hat; es sind Musterstücke, Drehbeispiele in verschiedenen Techniken, Gegenstände in unterschiedlichen Fertigungsgraden, ein Bilderrahmen, einmal im Rohzustand, einmal poliert. Eine Serie von Bechern mit gedrechselten Nürnberg-Ansichten zeigt exemplarisch die verschiedenen Effekte, die mit unterschiedlichen Hölzern und Techniken der Oberflächenbehandlung erzielt werden. Faszinierend ist auch die Sensibilität, mit der der Drechsler stilistische Strömungen wahrgenommen und in seinen Arbeiten umgesetzt hat, so entdeckt man historistisch Barockes, als auch verschlungene Jugendstilformen, darüber hinaus aber auch Einflüsse des Japonismus und des Art-Deco, das die späten Arbeiten Sauerackers prägt.
Der Lehrauftrag, den Saueracker in seiner Leisiniger Zeit erhalten hat, scheint ihn für sein Leben geprägt zu haben, so ist seine Sammlung auch als Vorbildsammlung für Drechsler zu verstehen. Damit fügt sich die Kollektion seiner Arbeiten in das Konzept der Bayerischen Landesgewerbeanstalt ein, in deren Gewerbemuseum die Objekte zu Lebzeiten Sauerackers – bis in die frühen 1950er Jahre – präsentiert wurden.
Das Lebenswerk bleibt der Stadt erhalten
Wie viele seiner Zeitgenossen war Saueracker Patriot, seine Begeisterung für Heimatland und regierende Fürsten wird aus der Wahl der von ihm wiedergegebenen Motive deutlich. Seine Heimatliebe lässt sich auch an seinen Signaturen ablesen, häufig hängt er seinem Namen die Ortsbezeichnung „Nürnberg“ an. So scheint auch Sauerackers Patriotismus bei der Entscheidung ausschlaggebend gewesen zu sein, dass er mit Urkunde vom 13. Juni 1916 – mitten im ersten Weltkrieg – seine Sammlung seiner Vaterstadt zum Geschenk machte. Wie viele Nürnberger Sammler vor und nach ihm, sah er darin wohl auch einen Garant dafür, dass sein Lebenswerk als Ganzes erhalten bleiben würde.
Hermann Saueracker starb am 3. Dezember 1943 im Alter von 88 Jahren in Nürnberg.
In einer Kooperation erinnern die Handwerkskammer und die Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg zum hundertsten Jahrestag daran, dass der Kunstdrechsler Johann Engelhardt Hermann Saueracker seine Sammlung der Stadt Nürnberg zum Geschenk machte: Noch bis 29. Juli 2016 läuft im Kulturfoyer der Handwerkskammer Mittelfranken eine Ausstellung.