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26 / 9 / 2024

Ein Walzwerk in Nürnberg

Das Eisenwerk Julius Tafel

1875 gründete der zugereiste Unternehmer Julius Tafel in Nürnberg ein Eisenwalzwerk. Beinahe 150 Jahre später stehen in der Äußeren Sulzbacher Straße immer noch die stummen Zeugen dieses einstmals namhaften Unternehmens: das Verwaltungsgebäude, mehrere Wohnhäuser mit ehemaligen Werkswohnungen und schließlich eine große Werkshalle, in der Schrauben produziert wurden. Auch wenn das schon nicht wenige Zeugnisse einer Fabrik sind, erstreckte sich das gesamte Fabrikgelände einstmals noch weit über diese Fläche hinaus. Auf fast 24 000 qm überbauter Fläche standen bis in die 1970er Jahre die Werkshallen, in denen Schrauben, Telegrafenmaterial, Schienennägel und vor allem Stahl produziert wurde.

Diese Ausdehnung war Resultat einer 100-jährigen Entwicklung, in der sich auch die Unternehmensform und die Inhaberschaft stetig wandelten. War das Unternehmen bei der Gründung zunächst eine Kommanditgesellschaft, wurde es 1900 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. 1920 übernahm ein Stahlkonzern aus dem Ruhrgebiet, die Gutehoffnungshütte, die Aktienmehrheit des Nürnberger Eisenwerkes. Die Gutehoffnungshütte investierte nochmals massiv in das Eisenwalzwerk, so dass sich das Werk insgesamt auf die beschriebene Fläche verdoppelte.

Auf dem Briefkopf von 1900 ist das Eisenwalzwerk noch vor der Erweiterung durch die Gutehoffnungshütte zu sehen, Briefkopf Tafelwerk um 1900. Bildnachweis: Museum Industriekultur

Bei all den Veränderungen des Unternehmens blieb das Walzwerk im Unternehmenskern immer gleich. Walzwerke sind Teil des Prozesses zur Produktion von Stahl, der essenziell für den Maschinenbau der Industrialisierung gewesen ist. Doch erst heutzutage nutzt man den Begriff Stahl. Im 19. Jahrhundert wurden für Stahl die Begriffe Schmiedeeisen, Frischeisen oder Schweißeisen verwendet.

Puddeln – Vom Eisenerz zum Schweißeisen

Die Bezeichnung Schweißeisen, die auch im Nürnberger Eisenwerk gebraucht wurde, bezog sich auf das Zusammenpressen unterschiedlicher Stahlblöcke im Walzprozess. Gegossenen Stahl nannte man Flusseisen. Das Walzen oder Gießen war der letzte Schritt im Produktionsprozess von Stahl. Der erste Schritt war die Förderung von Eisenerz in Bergwerken und dessen Weiterverarbeitung im Hochofen. Dort wurde das Eisenerz durch Koks erhitzt, wobei sich Eisen mit Kohlenstoff verband und Roheisen entstand. Als Abfallprodukt blieb sogenannte Schlacke zurück. Der Kohlenstoffanteil bei dieser Legierung war aber für eine Weiterverarbeitung zu hoch, weshalb weitere Arbeitsschritte notwendig waren. Die Reduktion von Kohlenstoff im Eisen wurde „frischen“ genannt oder auch Frischverfahren und produzierte das so genannte Frischeisen.

Das Erhitzen erfolgte vor dem Bearbeiten des Roheisens, Fotografie um 1940. Bildnachweis: Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln (RWWA)

Das von Julius Tafel genutzte Verfahren zur Produktion von Schweißeisen war ein solches Frischverfahren. Es wurde als Puddeln bezeichnet. Das Puddeln begann mit dem Erhitzen und Bearbeiten des Roheisens in einem speziellen Puddelofen. Dabei wurde das Roheisen nicht flüssig, sondern nur teigig. Um nun den Kohlenstoffanteil im Roheisen zu reduzieren, wurde dem Prozess Schlacke hinzugegeben, also das Abfallprodukt aus dem Hochofen, das einen hohen Sauerstoffanteil besaß. Es trat ein Oxidationsprozess ein, der dem Roheisen Kohlenstoff entzog. Dieser Prozess wurde händisch von Arbeitern durch Rühren und Kratzen in Gang gesetzt. Am Ende dieses ersten Schrittes zogen Arbeiter das kohlenstoffreduzierte Roheisen aus dem Ofen. Das Roheisen wurde nun Luppe genannt.

Arbeiter beim Zerkleinern von Eisenschrott, um 1940. Bildnachweis: Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln (RWWA), 130-GN4986

Als nächsten Schritt transportierten die Arbeiter nun die Luppen zu den Walzen. Die Walzen bestanden aus mehreren übereinanderliegenden Rollen und drehten sich, von einer Dampfmaschine angetrieben, nach innen. Mit Zangen führten die Arbeiter die erhitzen Luppen in die Walzen und nahmen diese auf der anderen Seite entgegen. Die Luppen wurden dadurch verformt, und je nach Anforderung an das Endprodukt wurden auch mehrere Luppen übereinandergeschichtet zusammengepresst. Dieser Vorgang wurde Paketieren oder auch Schweißen genannt. Die Luppen wurden mehrmals gewalzt und unterschiedliche Walzen ermöglichten eine Verfeinerung der Walzendprodukte. Meist waren mehrere Walzen zu Walzstraßen hintereinander aufgestellt und die einzelnen Walzen unterschieden sich in ihrer Breite.  So gab es Grob-, Mittel- oder Feinstraßen, mit denen unterschiedlich breite Endprodukte gewalzt werden konnten. Das Patent für dieses Puddel-Verfahren wurde in England 1783 von Henry Cort eingereicht, anschließend weiterentwickelt und setzte sich ab den 1840er Jahren immer weiter durch.

Stahlproduktion kommt nach Nürnberg

Julius Tafel lernte dieses Verfahren wahrscheinlich in den 1860er Jahren in Belgien kennen und führte es im Walzwerk Gerlafingen des Rollschen Eisenwerks in der Schweiz ein, wo er zu diesem Zeitpunkt Technischer Direktor war. Dieses Eisenwerk bildete die gesamte Wertschöpfungskette ab. Vom Bergwerk über den Hochofen bis zum Walzwerk wurde hier Stahl produziert und dann an Absatzmärkte wie Nürnberg verkauft, wo sich die Maschinenfabriken und eisenverarbeitenden Werkstätten befanden. Deren Bedarf stieg im Zuge der Industrialisierung immer weiter an. Die Dampfmaschinen in den Fabriken steigerten die Produktivität und die Eisenbahn erschloss neue Absatzmärkte.

Mit Zangen führten die Arbeiter die erhitzen Luppen in die Walzen, um 1940. Bildnachweis: Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln (RWWA), 130-GN4996

Daher lag die Überlegung nahe, die stahlproduzierende Stätte weg vom Rohstoff hin zum Verbraucher zu verlegen; zumal die Eisenbahn eine immer schneller werdende Verbindung mit den rohstoffproduzierenden Regionen versprach. So gründete Julius Tafel 1875 ein Eisenwalzwerk in Nürnberg. Unterstützt wurde er dabei von einem stillen Teilhaber, Theodor Cramer-Klett, dessen Maschinenfabrik in unmittelbarer Nachbarschaft zum Werk stand. Vielleicht hat dieser ihn sogar nach Nürnberg geholt? Das kann man nur vermuten.

Diese Fabrik sollte der Hauptabnehmer der Produkte des Eisenwalzwerkes werden und stellte auch Eisenschrott zur Wiederaufbereitung zur Verfügung. Bei der Werksgründung sah die Unternehmung enorm erfolgsversprechend aus. Leider offenbarte die Praxis Probleme.

Ein Unternehmen trotzt den Widerständen

Zum einen hatte in den 1870er Jahren zunächst der „Gründerkrach“ und dann die darauf folgende „Gründerkrise“ die Wirtschaft Europas durcheinander gewirbelt. Durch das Platzen einer Spekulationsblase, die auch den Eisenbahnsektor schwer traf, geriet die Hauptabnehmerin der Produkte des Eisenwalzwerkes, die Maschinenfabrik Cramer-Klett, in eine finanzielle Schieflage.

Darüber hinaus war das technische Verfahren, das im Eisenwalzwerk Julius Tafel & Co. eingesetzt wurde, schon fast 100 Jahre alt. Zum Gründungszeitpunkt des Unternehmens begannen sich im Stahlsektor neue Technologien durchzusetzen. Mit dem Wunsch, den hohen Personaleinsatz beim Puddeln zu vermeiden, wurden in dieser Zeit Techniken entwickelt, die auf menschliches Einwirken bei diesem Prozess weitestgehend verzichteten und stattdessen durch Gussverfahren gleich das Endprodukt herstellten.

Ein weiteres Problem war aber auch der Mangel an spezialisierten Arbeitskräften. Die vielen händischen Arbeitsschritte im Puddelverfahren erforderten Arbeiter mit speziellen Kenntnissen, die in Bergbauregionen leicht zu finden waren. In Nürnberg gab es diese aber nicht in ausreichender Anzahl. Gelöst wurde das Problem durch die Anwerbung französischer Arbeiter, die wiederum Nürnberger Arbeiter anlernten.

Der Unternehmensgründer Julius Tafel, Abbildung aus der Festschrift zum 50-jährigen Bestehen, 1925. Bildnachweis: Museum Industriekultur

Das Unternehmen überstand diese schwierigen ersten Jahre, nicht zuletzt aufgrund der guten finanziellen Situation Theodor Cramer-Kletts und des unermüdlichen Arbeitseinsatzes von Julius Tafel. Die Mühen zahlten sich aus: Ab den 1880er Jahren begann das Eisenwalzwerk, Gewinne zu erwirtschaften. 1891 zog sich Julius Tafel aus dem Unternehmen zurück. Er übergab die Firma an seine Söhne und ging zurück in seine Heimat nach Stuttgart, wo er zwei Jahre später verstarb.

Die beiden Brüder Heinrich und Wilhelm Tafel erweiterten das Portfolio des Unternehmens und wandelten es in eine Aktiengesellschaft um. Doch die Kapitaleinlage reichte weiterhin nicht aus, um Investitionen im notwendigen Umfang für eine Modernisierung des Werks tätigen zu können. Lampert Jessen, seit 1913 neuer Direktor des Eisenwerks, verschaffte dem Werk durch den Einstieg der Gutehoffnungshütte den entscheidenden Wachstumsimpuls. Bis 1970 investierte die Gutehoffnungshütte immer wieder in das Werk. Doch mit dem Strukturwandel der 1960er und 1970er Jahre endete auch im Eisenwalzwerk Julius Tafel der Betrieb. 1975, genau 100 Jahre nach der Gründung, schlossen sich zum letzten Mal die Werkstore des einstmals so bedeutenden Eisenwalzwerks in Nürnberg.

Das Museum Industriekultur ist wegen umfangreicher Sanierungsarbeiten für voraussichtlich zwei Jahre geschlossen. Informationen und Fotos zum Verlauf des Umbaus finden Sie im
(Um)Bau-Tagebuch


Quellen- und Literatur

Bähr, Johannes / Baken, Ralf / Flemming, Thomas: Die MAN. Eine deutsche Industriegeschichte, München 2008.

Hirschmann, Gerhard: Der Nürnberger Unternehmer Julius Tafel und sein Eisenwalzwerk, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 75, Nürnberg 1988, 155 – 171.

Paulinyi, Akos: Das Puddeln. Ein Kapitel aus der Geschichte des Eisens in der Industriellen Revolution, München 1987.


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Titelbild: Die Erweiterungsbauten der Gutehoffnungshütte umfassten neben dem Verwaltungsgebäude auch den Neubau zweier Hallen zur Schraubenfertigung, Abbildung aus Festschrift zum 50-jährigen Bestehen, 1925. Bildnachweis: Museum Industriekultur

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