Im November 2023 verstarb die Nürnberger Künstlerin Gudrun Sagasser (1954 – 2023). Sagasser hatte ihre Arbeiten in die Obhut der Grafischen Sammlung der Stadt Nürnberg gegeben, als sie 2017 in eine Pflegeeinrichtung umziehen musste. Noch unmittelbar vor ihrem Tod verfolgte sie die Bemühungen um die Aufarbeitung ihres Œuvres mit Nachdruck. Dank der Unterstützung des Rotary Club Nürnberg-Reichswald sind die knapp 2.500 Zeichnungen und Drucke, Collagen und andere Papierarbeiten sowie ca. 1.000 Dokumente nun gesichtet und adäquat gelagert.
Eine Betrachtung der Kunsthistorikerin Petronela Soltész, die die erste Sichtung des Konvolutes übernommen hat, gibt weitere Einblicke in das ausgesprochen vielschichtige, in vergleichsweise kurzer Zeit entstandene Werk.
Den Artikel von Petronela Soltész können Sie hier als PDF herunterladen.
Einblicke in den Nachlass der Künstlerin Gudrun Sagasser
Was die 1954 in der norddeutschen Provinz geborene und in Hamburg aufgewachsene Graphikerin nach Nürnberg zog, ist nicht belegt. Als gelernte Mess- und Regelmechanikerin arbeitete sie für Grundig in Fürth und wechselte 1987 zum Versandhaus Quelle nach Nürnberg. Darüber, wie sie zur Kunst kam, lässt sich nur spekulieren. Erste datierte Werke stammen aus den späten 1980er Jahren. Dass sie durch die omnipräsente Nürnberger Künstlerfigur Dürer zum schöpferischen Tun angeregt wurde, mag für viele naheliegen. Eine nachweisliche Auseinandersetzung mit dessen Arbeiten aber gibt es in Sagassers Schaffen nicht. Doch kommt sie in Nürnberg natürlich nicht daran vorbei, zumindest punktuell auf den Übervater Bezug zu nehmen.
Rückblickend scheint die Hinwendung zur Kunst für Sagasser alternativlos gewesen zu sein. 1989 begann sie, unterstützt durch ein Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbundes, ein Studium der Kunsterziehung an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. Nach dem Abschluss im Sommer 1995 unterrichtete sie bis 2004 in der Unter- und Mittelstufe am Helene-Lange-Gymnasium in Fürth. Offenbar ließ ihr diese Tätigkeit genügend Raum für die künstlerische Entfaltung. Aktiv in der lokalen Szene vernetzt, beteiligte sie sich an zahlreichen Gruppenausstellungen. 1999 zeigte das Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg unter dem Titel „Die Hirschbraut und andere Tiere“ Zeichnungen Sagassers und veröffentlichte einen Katalog dazu.
Für Gudrun Sagasser war die künstlerische Beschäftigung mit ihrer Identität – das zeigt schon eine erste Durchsicht der Blätter – offenbar geradezu zwingend. Zwar gibt es auch zarte Landschaften oder realitätsnah skizzierte Stillleben – ansonsten aber kreist ihr Werk fast ausschließlich um persönliche Themen. Brüche klingen an, und Traumata. In bemerkenswerter stilistischer Breite und technischer Vielfalt, mal drastisch überzeichnet, dann wieder spielerisch-leicht, brachte sie nicht selten naiv anmutende märchen- aber auch spukhafte Szenen zu Papier, deren Oszillieren zwischen Traum und Wirklichkeit sich jeder Auflösung zu entziehen scheint. Ihre abstrakten Kompositionen sind teils duftige, teils knallige Farbenspiele. Aber auch Schwere bricht sich Bahn und verschließt die Oberfläche wie eine bleierne Decke. Zugleich ist diese belebt, sie schimmert bewegt, Wellen scheinen sich zu bilden.
Ihr Innerstes nach außen kehrend, schuf Sagasser nicht nur bildende Kunst, sie hinterließ auch Texte, meist in Versform, teils mit Anklängen an Konkrete Poesie. Manche beschäftigen sich mit ganz handfesten Phänomenen – etwa Papier, das sie, angereichert mit getrockneten Blättern, Blüten und farbigen Fasern, auch selbst schöpfte und formte. Andere Schriftbilder, etwa die Folge „Seelenrückführung“, thematisieren emotionale Versehrtheit und stellen Fragen nach dem eigenen Platz in der Welt – tastend, assoziativ, wie um sich selbst zu vergewissern.
Ab 2010 ging es Gudrun Sagasser gesundheitlich immer schlechter, ihre schöpferische Energie ließ nach. Sie begab sich in stationäre Behandlung. Doch der unbedingte Wille, ihre Werke einer Institution anzuvertrauen, die sich deren Bewahrung und Verbreitung widmet, blieb bis zum Schluss stark. Diesem Wunsch durch die noch zu leistende umfassende Bearbeitung ihrer Werke nachzukommen, ist uns umso mehr eine Verpflichtung, als ihr Schicksal stellvertretend für zahlreiche Künstlerinnen stehen kann, deren Kraft dafür nicht reichte.
Die wissenschaftliche Erschließung und Digitalisierung der einzelnen Werke sowie deren vollständige Erfassung in der sammlungsinternen Datenbank steht nun noch aus. Aufgrund der großen Anzahl von Objekten ist alles, was über die Inventarisierung hinausgeht, im laufenden Betrieb nicht zu leisten. Deswegen hofft die Grafische Sammlung auf externe Unterstützung und weitere finanzielle Förderung.
Ansprechpartnerin:
Dr. Petra Aescht
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