Mitten in der Nürnberger Altstadt liegt eine kaum beachtete Ruine. Es sind die letzten Reste eines mittelalterlichen Parkhauses für gruselige Wagen. Zerstört im Zweiten Weltkrieg, weiter abgetragen in den 1960er- Jahren, steht heute von dem Gebäude nur noch eine einsame Wand.
Unscheinbar
Geben Sie es zu! Sie waren schon einige Male am berühmten Egidienberg in Nürnberg, aber das ruinöse Gebäude am Rand blieb unbemerkt. Macht nix! Dafür haben Sie ja mich. Machen wir uns doch auf eine kleine Spurensuche. Eine Inschrift in güldenen Buchstaben verrät schon einmal die ehemalige Bezeichnung: Peststadel. Eine Scheune in Zeiten der Pest? Schon sind wir mitten im finsteren Mittelalter gelandet…
Die Pest!
Allein dieses Wort lässt einen erschauern. Der „Schwarze Tod“, wie die Seuche auch genannt wurde, hatte seinen Ursprung in Zentralasien und kam Mitte des 14. Jahrhunderts über die Handelswege nach Europa. Die bakterienbefallenen Flöhe der Ratten waren schuld! Ob Beulen- oder Lungenpest, beide Krankheiten wurden durch das Bakterium Yersinia pestis ausgelöst. Ab dem 14. Jahrhundert und noch bis in das Jahr 1713 suchten immer wieder verheerende Pestwellen Nürnberg heim. Der Chronist Johannes Müllner (1565–1634) berichtet in seinen Annalen der Reichsstadt Nürnberg von 1623 von diesem schrecklichen Sterben. In einer Gänsehaut-Notiz schreibt er: „ANNO 1475. Es hat dis Jahr die pestilentzische Seuch zu Nürnberg regirt, sein von S. Johanns Tag biß umb Faßnacht volgendes Jahrs in beeden Pfarren zu Nurmberg gestorben zweytausendvierhundertsechsundfunfftzig Menschen, jung und alt.“
Kuriose Sonderanfertigung
Der „Schwarze Tod“ wurde in der Handelsstadt zum häufig anzutreffenden Schreckgespenst. Für das Jahr 1483 hält Müllner fest: „Es hat dis Jahr zu Nürnberg ein geferliche pestilentzische Seuch regirt, das die Leuth gleich unsinnig dahingefallen.“ Die hohe Ansteckungsgefahr musste gebannt werden. Deswegen beschloss 1517 der Rat der Stadt Nürnberg, die Toten „auff die Gottsacker vor der Statt (zu) begraben“. Um die vielen Verstorbenen zu den Friedhöfen St. Johannis und St. Rochus außerhalb der Altstadt transportieren zu können, ließ man – so ein Bericht der Altstadtfreunde – Wagen ohne Eisenreifen herstellen. Dezent und leise konnten diese unbeschlagenen Fuhrwagen durch die fränkische Reichsstadt rollen. Und machten nicht sofort jeden Bürger darauf aufmerksam, dass sie mit einer gruseligen Fracht beladen waren. Was für eine rücksichtsvolle Sonderanfertigung.
Wohin mit den Leichenwagen?
Schnell war eine Lösung gefunden. Im Jahr 1480 hatte man in der heutigen Dr.-Erich-Mulzer-Straße einen Kornspeicher errichtet, ein riesiges, 50 Meter langes Sandsteingebäude, in dem man unter dem Dach Getreide für Notzeiten lagerte. Im Erdgeschoss war noch Platz. Perfekt! Hier konnte man die Pestkarren unterstellen. Das Parkhaus für Wagen, in denen keiner freiwillig mitfahren wollte, war geboren. Heute wirft kaum jemand mehr einen Blick auf die Ruine dieses ehemaligen Gruselparkhauses. Zu unscheinbar steht es da zwischen all den anderen Gebäuden. Nur eine angebrachte Bronzetafel [HB1] erzählt kurz und knapp von dieser ehemals düsteren Nutzung und dem weiteren Schicksal des Gebäudes: „1480 erbaut als Kornhaus. Remise für Pestwagen. 1864 Schulhaus. 1921 Amtsgebäude. 1945 zerstört.“
Die Sage vom Dudelsackpfeifer
Ein Totgeglaubter, der im Jahr 1437 einem Pestkarren von der Schippe gesprungen sein soll, ist der in Nürnberg sagenumwobene Dudelsackpfeifer. Am legendären Unschlittplatz 9 kann man ihm persönlich einen Besuch abstatten. Denn hier schmückt er als pfeifende Bronzefigur einen im Sommer sanft dahinplätschernden Brunnen. Nach einer Sage soll er während der Pest nach wildem Zechen im Wirtshaus am Nachhauseweg bewusstlos umgefallen sein. „Da kommt ein Karren noch vorbei, der ist beladen schwer mit vielen Toten stumm und steif, die schauen aus wie er“, weiß ein Gedicht in Otto Barthels „Heimatgeschichtlichem Lesebuch“. Man lädt ihn auf und nimmt ihn mit. Als er durch das unsanfte Rumpeln erwacht, pfeift er auf seinem Dudelsack um sein Leben. Was für ein Glück für das arme Pfeiferlein, denn es wird befreit und kann nach Hause gehen.
Nachtrag
Zeit für eine Pause im Grünen? Am Ort des ehemaligen Peststadels hat der Servicebetrieb öffentlicher Raum (SÖR) inzwischen einen Pocket Park angelegt. Die Mauerreste des alten Gebäudes blieben erhalten, ebenso wie der Baumbestand. Er grenzt an das Pellerhaus, in dem der von den Altstadtfreunden rekonstruierte historische Innenhof besichtigt werden kann und in dem das Deutsche Spielearchiv und das Haus des Spiels der Museen der Stadt Nürnberg ihren Sitz haben.
Dieser Artikel von der Kunsthistorikerin, Autorin und Gästeführerin Sabine Peters ist ein Auszug aus ihrem Buch „Lost & Dark Places. Nürnberg, Fürth, Erlangen“, erschienen 2023 im Bruckmann Verlag München, ISBN 9783734324833. Wir danken der Autorin und dem Verlag für die Genehmigung zur Veröffentlichung.
Klaus Gimmler
24 / 11 / 2023 | 20:51
Sehr angenehmer Artikel, der alle Aspekte dezent der „Pestphase“ einfühlsam darstellt
Vielen Dank und viele Grüße
Klaus Gimmler
Bernd Schmitt
26 / 11 / 2023 | 14:57
Toll, vielen Dank für die Darstellungen. Wenn wieder Freunde und Bekannte nach Nürnberg kommen und nach einer Stadtführungen fragen, werde ich diesen Teil gerne einbauen.