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12 / 10 / 2023

Unter Einsatz ihres Lebens

Die Geschichte von Marie und Gertrud Falcke, die das Albrecht-Dürer-Haus im Zweiten Weltkrieg retteten

Die Retterinnen haben nun einen Namen: Marie Falcke und ihre Tochter Gertrud haben das Albrecht-Dürer-Haus im Zweiten Weltkrieg unter Einsatz ihres Lebens beschützt und vor dem Abbrennen bewahrt. Künftig soll ihre Geschichte im umgestalteten Erdgeschoss des Museums erzählt werden. Gehoben hat diesen lokalhistorischen Schatz Museumsleiterin Christine Demele, die einem flüchtigen Hinweis nachging.

Frau Dr. Demele, wann haben Sie zuerst von den Retterinnen des Albrecht-Dürer-Hauses gehört?

Das war tatsächlich bei einer Agnes-Führung, bei der man viel lernen kann. Es war die Rede von einer Hausmeisterin, die das Haus gerettet hat. Doch einen Namen konnte niemand sagen. Ich habe mich dann im Kollegenkreis umgehört. Die einen haben das im Reich der Legende verortet, andere gesagt „die Frau gabs wirklich“.
Informationen zur Führung „Mit Agnes Dürer durchs Albrecht-Dürer-Haus“

Was tut man da als Kunsthistorikerin und Museumsleiterin?

Ich bin ins Stadtarchiv gegangen und habe im Archiv der Albrecht-Dürer-Haus-Stiftung, die das Haus seit 1871 betreut, nach Hinweisen gesucht. Wie man lokale Historie erforscht, das weiß ich durch meine frühere freiberufliche Tätigkeit. Damals hatte ich die Geschichte des Künstlerbundes Schwabach eruiert und festgehalten. Toll war die Unterstützung durch die Kolleginnen und Kollegen im Stadtarchiv.

Porträt von Marie Falcke, gezeichnet von ihrer Tochter Gertrud, 1949. Bildnachweis: Privatarchiv

Was haben Sie herausgefunden?

In aller Kürze: 1930 starb der Maler August Falcke unerwartet an einem Lungenleiden. Damals war er gerade drei Jahre lang als Kustos des Albrecht-Dürer-Hauses tätig gewesen und hatte im 3. Stockwerk auch eine Wohnung. Er hinterließ seine Frau Marie und die damals 10-jährige Tochter Gertrud. Sie durften – eine Ausnahme – im Haus wohnen bleiben und Marie Falcke arbeitete sich so ins Leben und Werk von Dürer ein, dass sie Führungen anbieten und sich um das Haus kümmern konnte. Sie hat sich so sehr damit identifiziert, dass sie auch während des Zweiten Weltkriegs im Haus blieb. Zeitweise ohne Wasser, ohne Strom und ohne Heizung. Sogar während der Bombenangriffe haben die beiden ausgeharrt und Brandnester gelöscht, einmal wurde Marie Falcke sogar fast verschüttet, als bei einem Treffer in der Straße Teile der Fassade einstürzten. Und ihre Tochter hatte den Polizeipräsidenten alarmiert als bei einem Luftangriff im Februar 1944 die ganze Nachbarschaft brannte. Er beorderte die Feuerwehr ans Haus und so konnte verhindert werden, dass der Dachstuhl in Flammen aufging.

Das Albrecht-Dürer-Haus nach dem Bombenangriff im Jahr 1945.

Fast schon eine Heldentat. Sind Marie Falcke und ihre Tochter Gertrud dafür jemals geehrt worden?

Der Albrecht-Dürer-Haus-Stiftung war ihre Leistung sehr bewusst. Sie hatte die Frauen mit Weihnachtsspenden und einer Ehrengabe unterstützt. Und der damalige Vorsitzende Friedrich Stoer hatte im Protokollbuch festgehalten, dass die beiden das Albrecht-Dürer-Haus „vor dem fast unvermeidlichen Untergang bewahrt“ hatten. Dazu muss man wissen, dass Mutter und Tochter das Haus auch nach dem Krieg bewohnt und vor Plünderungen beschützt haben. So können wir heute noch die Türen aus dem 16. Jahrhundert und auch originale Butzenscheiben sehen. Von Seiten der Stadt steht eine Ehrung jedoch bis heute aus.

Sie sehen sich deshalb in der Pflicht, eine dauerhafte Würdigung zu schaffen. Das soll passieren, wenn das Erdgeschoss des Albrecht-Dürer-Hauses 2024 neu gestaltet wird. Bis Sie die Fotos erhielten, war es aber noch ein weiter Weg?

Ja, denn ich kannte nun die Namen – hatte aber kein Bild und wusste auch sonst wenig über Marie Falcke und ihre Tochter. Erst ein Zeitungsaufruf hat mich weitergebracht. Die Nürnberger Nachrichten veröffentlichten Anfang März dieses Jahres einen ganzseitigen Aufruf, der große Resonanz brachte. Zuerst bin ich aber einer falschen Spur gefolgt: Der Todesanzeige einer Apothekerin namens Gertrud Frank, bei der das Geburtsjahr übereinstimmte – bei der es sich aber nicht um die Tochter von Marie Falcke handelte. Zum Glück wurde der Artikel über viele Ecken weitergereicht, bis sich schließlich ein Verwandter meldete und wir auf die beiden Kinder von Gertrud Frank und Enkel von Marie Falcke stießen.

Marie Falcke in der Küche des Albrecht-Dürer-Hauses, um 1950. Bildnachweis: Privatarchiv

Wie war der erste Kontakt?

Die Kinder leben in Bayern und der Schweiz, die Anbahnung hat ein bisschen gedauert, weil sie selbst erst in ihren Unterlagen nach geeigneten Fotos suchen mussten – Marie Falcke ist ja schon 1966 gestorben, Gertrud Frank 2003. Im April haben wir uns dann erstmals in meinem Büro getroffen und Anfang Juli gemeinsam das Albrecht-Dürer-Haus besichtigt. Ich habe den Eindruck, dass sie sich freuen – sie haben in ihrer Familie natürlich Geschichten über diese Zeit erzählt bekommen, ohne aber die konkreten Zusammenhänge zu kennen. Das konnten wir jetzt aufklären. Sie unterstützen uns sehr gern, wollen aber nicht in die Öffentlichkeit treten.

Gibt es denn noch weitere „weiße Flecken“ in der Geschichte des Dürer-Hauses, die Sie interessieren?

Es gibt noch viele unerforschte Bereiche. Zwar kann man Besitzer und Bewohner nachvollziehen, weiß auch, dass sich seit 1800 vermehrt Touristen interessierten und dass damals schon ein, leider verschollenes, Gästebuch geführt wurde. Aber in den Fokus des öffentlichen Interesses ist das Albrecht-Dürer-Haus erst später gerückt. Goethe etwa, der mehrmals durch Nürnberg reiste, hat es meines Wissens nicht besucht.

Dürerhaus und Zisselgasse (Albrecht-Dürer-Straße). Stich von W. R. Smith nach einer Zeichnung von George Robert Lewis, Illustration für einen gedruckten Reisebericht von 1821.

Welche weiteren Pläne haben Sie im Dürer-Haus?

In der Werkstatt wurde schon umgeräumt, wir haben Faksimile von Dürer-Drucken aufgehängt. Die Kinderstationen werden wir in Zusammenarbeit mit dem Kunst- und Kulturpädagogischen Zentrum demnächst angehen und auch das Erdgeschoss umgestalten und dort stärker auf die Hausgeschichte eingehen. Seit Juni ist das Albrecht-Dürer-Haus in den sozialen Medien vertreten. Das ist toll: Man kommt ganz anders in Kontakt, auch mein berufliches Netzwerk hat sich mühelos erweitert. Wir hoffen, andere und vor allem junge Zielgruppen anzusprechen. Hatte ich schon von unserem Vorhaben für 2024 erzählt? Da wollen wir eine Dürer-Tattoo-Ausstellung machen.

Weitere Informationen zum Albrecht-Dürer-Haus

 

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