Unter einer Skulptur stellt man sich ja gemeinhin eher etwas Lebensgroßes (oder mitunter auch Überlebensgroßes) vor – man denke nur an Auguste Rodins Denkmal für Balzac (Höhe 270 cm) oder Michelangelos David (Höhe 517 cm). Der ungarisch-ukrainische Künstler Mihály Kolodko hingegen geht den umgekehrten Weg: Seine Skulpturen sind Miniaturen von oftmals nur wenigen Zentimetern Größe, die der selbsternannte „Guerilla-Bildhauer“ seit rund zehn Jahren vornehmlich im öffentlichen Raum von Budapest und seiner Geburtsstadt Uzhhorod aufstellt. Thematische Grenzen kennt er dabei kaum – von Andy Warhol, Franz List und Jon Lord bis hin zu Rubik-Würfel, Comicfiguren aus alten ungarischen Zeichentrickfilmen und Anti-Kriegs-Panzern mit traurig nach unten hängender Kanone bedienen seine Skulpturen die unterschiedlichsten Sujets. „Ich mache nichts, was andere Bildhauer nicht können“, sagt Kolodko über seine Arbeit, „sondern ich mache etwas, was sich andere nicht trauen.“
Kleiner Mann ganz groß
Auch nach Deutschland haben es Kolodkos Miniatur-Skulpturen bereits geschafft. Auf der Münchener Theresienwiese etwa reckt eine Hand stilecht einen Bierkrug aus dem Asphalt, und in Landshut genießt Fürst Rákóczi an der – natürlich! – Rákócziquelle das heilsame bayerische Heilwasser. Und seit Ende September kann eine von Kolodkos Skulpturen jetzt auch in Nürnberg bewundert werden: Ein kleiner Albrecht Dürer hat es in den Innenhof des Museums Tucherschloss geschafft und öffnet dem neugierigen Besucher dort seine Haustür.
Dass sich gerade ein Künstler mit ungarischen Wurzeln mit Albrecht Dürer auseinandersetzt, sollte eigentlich nicht verwundern. Was nämlich gerne vergessen wird: Dürers Vater, von Beruf Goldschmied, stammt ursprünglich aus dem kleinen ungarischen Dorf Ajtós, das heute zur Stadt Gyula gehört und an der Grenze zu Rumänien liegt. 1455 war er aus seiner Heimat nach Nürnberg übergesiedelt und dort in die Werkstatt von Hieronymus Holper eingetreten. Seinem Geburtsort verdanken die Dürers dann auch ihren Namen: „Ajtó“ ist schlicht und ergreifend das ungarische Wort für „Tür“.
Von Gyula nach Nürnberg
In Gyula ist man deswegen auch nicht minder stolz auf den großen Albrecht Dürer als in Nürnberg. Bereits 1928/29 fanden zum 400. Todestag des Meisters etwa gemeinsame Feierlichkeiten in beiden Städten statt; man veranstaltete wechselseitig „Ungarische“ und „Deutsche“ Wochen und der damalige Nürnberger Oberbürgermeister, Dr. Hermann Luppe, betonte in einer Rede explizit die Bedeutung von Dürers ungarischer Herkunft für dessen künstlerisches Schaffen. Eine weitere Intensivierung des interkulturellen Austauschs zwischen den beiden Städten wurde durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten und den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs leider verhindert.
Zum 550. Geburtsjahr Albrecht Dürers soll nun mit Mihály Kolodkos Dürer-Skupltürchen wieder an die ungarischen Wurzeln des großen Renaissance-Künstlers erinnert werden. Das Objekt ist ein Geschenk Ungarns an die Stadt Nürnberg und wurde am 30. September 2021 im Beisein des Generalkonsuls von Ungarn in Bayern, Gábor Tordai-Lejkó, sowie dem Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg, Marcus König, feierlich enthüllt. Besucher können die Skulptur ab sofort zu den regulären Öffnungszeiten des Museums bewundern – und sich daran erinnern, dass große Kunst eben keine Grenzen kennt. Auch, wenn sie mal etwas kleiner ausfällt.