Hinweis: Dieser Artikel enthält die Abbildung eines historischen Blechspielzeugs, welches die rassistisch-stereotypisierende Darstellung eines Schwarzen Menschen zeigt.
In Nürnberg, der Stadt des Friedens und der Menschenrechte, sind die städtischen Museen kulturelle Felsen in der Brandung der gesellschaftlichen Veränderungen. Möchte man meinen. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich das eine oder andere durchaus problematische Moment im vermeintlich unpolitischen Museumsalltag. Zum Beispiel im Spielzeugmuseum.
Es begann im Sommer 2017. Eine Mitarbeiterin an der Museumskasse stellte ein Telefonat zu mir durch. „Die Frau ist Amerikanerin“, erfuhr ich nur. Ich nahm das Telefonat entgegen und erlebte am anderen Ende der Leitung eine aufgebrachte Dame. Sie sei Black American, habe das Spielzeugmuseum besucht und hätte den „Alabama Coon Jigger“ unkontextualisiert in der Ausstellung gesehen. „Das ist purer Rassismus, den Sie da zeigen! Dieses Objekt verletzt mich und alle Menschen mit afroamerikanischen Wurzeln!“
Das Objekt „Alabama Coon Jigger“ kannte ich. Hergestellt hatte es die Spielzeugfirma Ernst-Paul Lehmann um 1912. Doch ich konnte 2017 den Rassismus, den die Anruferin benannte, noch nicht dechiffrieren. Ich entschuldigte mich bei der Dame und begann zu recherchieren.
Der „Coon Jigger“ ist eine Schwarze, männliche Figur aus Blech, die tanzt, wenn man einen kleinen Federmotor bedient. Das Wort „Coon“ ist in Deutschland fast unbekannt, in den USA ist es Schimpfwort. Der Begriff „Jigger“ referiert auf Parasiten. Die Bezeichnung war tatsächlich eindeutig rassistisch. Und das Objekt selbst? Der tanzende Schwarze?
In den USA waren im 18. und 19. Jahrhundert – besonders nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs – sogenannte Minstrel Theater-Shows beliebt. In diesen Shows malten sich weiße Darsteller das Gesicht dunkel an und spielten Schwarze, was „Blackfacing“ genannt wurde und wird. Auf diese Weise karikierten sie das Leben der Afroamerikaner. Zur Belustigung des meist weißen Publikums imitierten und verhöhnten sie die Sprache der Schwarzen und versuchten, deren Tanzstile in übertriebener Weise nachzuahmen. Schwarze Menschen wurden herabwürdigend als naive, für ihre weißen Besitzer arglos singende und tanzende Sklaven dargestellt: die „Jim Crow“-Verunglimpfungen, benannt in Referenz auf den Künstlernamen eines der bekanntesten Minstrel-Darstellers Thomas D. Rice (1808 – 1860). Nicht nur die Bezeichnung „Coon Jigger“ ist verletzend und abwertend, sondern das Spielzeug von Ernst-Paul Lehmann bedient und reproduziert gleichzeitig ein Stereotyp. Die Art der Bedienung befördert zudem weiße Kinder in ein hierarchisches Rollenspiel.
Die weißen Minstrel-Darsteller prägten das „Bild des einfältigen und devoten Schwarzen“ zum stereotypisierend-herabwürdigenden Bestandteil der US-amerikanischen Alltagskultur. Die rassistischen Blackfacing-Darstellungen wurden in Filmen und im Fernsehen der weißen Mehrheitsgesellschaft aufgegriffen. Blackfacing diente dabei nicht nur der Verspottung Schwarzer Menschen, sondern verwehrte diesen gleichzeitig die Möglichkeit auf der Bühne oder im Film selbst Rollen zu übernehmen.
Naive Stereotypisierungen wurden auch für die Werbung vermarktet, zum Beispiel für Schuhcreme, Schokolade oder – Spielzeug! Kinderbuchfiguren wie der Golliwog oder Spielzeug wie der „Alabama Coon Jigger“ sind von Blackfacing-Bildern und Mistrel-Shows inspiriert.
Das unkommentiert ausgestellte Spielzeug im Spielzeugmuseum war also eindeutig rassistisch.
Die Beschwerde der Amerikanerin bildete den Auftakt für mehrere diversitätssensible Begehungen und Untersuchungen im gesamten Spielzeugmuseum in den Jahren 2017 und 2018. Bei den Rundgängen begleiteten und berieten uns Menschen mit Rassismus-Erfahrung, Menschen mit Migrationshintergrund, Queere Menschen und Menschen mit Behinderungen. Die Ergebnisse waren eindeutig. Der Alabama Coon Jigger blieb bei Weitem nicht das einzige Objekt, das ohne Kontextualisierung Schwarze Menschen herabwürdigte. Aus der Erkenntnis heraus, wie viele Stereotypen im Spielzeugmuseum bedient werden, ohne dass wir historische Zusammenhänge erklären und eurozentristische, weiße Blickrichtungen als Position reflektieren, riefen wir 2019 unser Projekt für Anti-Rassismus im Spielzeugmuseum ins Leben. Das Projekt hat zum Ziel, in Zukunft neue Ausstellungen grundsätzlich antirassistisch zu kuratieren und auf Diversitätssensibilität und Nachhaltigkeit zu prüfen – ganz schön schwierig, wenn es gleichzeitig um „Geschichte“ geht. Das Projekt heißt deshalb auch „… eine Ecke weiter denken…“ und wird von Mascha Eckert geleitet.
Zur Sensibilisierung und zur Entwicklung unseres eigenen Rassismus-kritischen Denkens luden wir die Experten Alexandra Conrads und Jürgen Schlicher ein. Sie führten Anfang März 2020 mit dem gesamten Team des Museums einen Anti-Rassismus-Workshop durch. Wichtig war dabei, dass wir uns alle des „Rassismus in uns“ bewusst wurden und nicht die irrige Meinung vertreten, Themen wie Nachhaltigkeit, Diversitätssensibilität oder Queeres Leben „könnten“ und „verstünden“ wir schon. Wir „können“ diese Themen eben in der Regel nicht, insbesondere nicht als weiße Deutsche der Mehrheitsgesellschaft.
Als weiterer wichtiger Schritt entpuppte sich der Nachhaltigkeitsworkshop der Museen der Stadt Nürnberg. Karin Gleixner und Prof. Dr. Frank Ebinger von der TH Nürnberg verankern mit diesem Projekt die für den öffentlichen Dienst verbindlichen 17 „Sustainable Development Goals“ der Vereinten Nationen, kurz SDGs, in allen städtischen Dienststellen. Das Spielzeugmuseum ist hier Pilotmuseum. Das bedeutet, dass wir transparent und selbstreflexiv Überlegungen und Leitlinien zum riesigen Thema „Ethik im Museum“ erarbeiten.
Unser Ziel ist klar definiert: Nachhaltigkeit, Diversitätssensibilität und Antirassismus gehen uns Museumsmenschen enorm viel an, denn Museen sind Institutionen, die maßgeblich die kulturellen Referenzsysteme unserer Gesellschaft definieren. Unsere Museen werden in hohem Maße als vertrauenswürdige Informationsquellen eingeschätzt. Dieser Verantwortung wollen und müssen wir gerecht werden.
Wie gehen wir künftig mit rassistischen, herabwürdigenden und diskriminierenden Objekten des Spielzeugmuseums um? Die Antwort von heute: Wir wissen es noch nicht genau, denn es gibt kein Patentrezept. Aber wir sind auf dem Weg. Es wird Kontextualisierungen geben. Es wird Trigger-Warnungen geben. Wir werden den Rassismus nicht reproduzieren. Wir werden die dunkle Seite der Objekte aber auch nicht tabuisieren. Dafür nehmen wir aktuell die gesamte Dauerausstellung des Hauses und die einschlägigen Depot-Funde unter die Lupe.
Das Spielzeugmuseum will künftig als „Emotionales Weltmuseum“ zeigen, was alle Menschen weltweit miteinander verbindet – von der Geburt bis zum Tod. Der spielende Mensch soll im Mittelpunkt stehen. Spielzeug ist universell verständlich und völkerverbindend. Konkret wird die Geschichte des Homo Ludens, also des „spielenden Menschen“, entlang von Geschichten und Objekten erzählt: als Geschichte der Gefühle, der transkulturellen Diversität, der spielerischen Wissensvermittlung und der Geschichte ihrer sozialen und räumlichen Kontexte. Wir sind auf dem Weg zu einer neuen Ethik in unserem alten Traditionshaus. Wir wissen: Wenn wir unsere Gesellschaft weiterentwickeln wollen, dann müssen wir insbesondere auch in unseren Museen ansetzen, wo der Wandel manchmal schwerer fällt als anderswo. Als Orte, die Vergangenheit präsentieren, wird Museen häufig eine gewisse Statik unterstellt. Doch auch der Blick auf die Vergangenheit unterliegt dem Wandel. Als Ort des Schauens und spielenden Lernens hat das Spielzeugmuseum, mehr als jede andere Institution, das Potential und die Verpflichtung, den Blick zu öffnen, neue Perspektiven aufzuzeigen und damit zu einem gesellschaftlichen Wandel beizutragen.
Ausstellung „Spielzeug und Rassismus. Perspektiven, die unter die Haut gehen“
Björn Thieme, Uhrmachermeister in Lüneburg
12 / 7 / 2021 | 1:23
Beim der Lektüre des Artikels erinnerte ich mich an das Erlebnis einer in Alabama geborenen und in Deutschland aufgewachsenen Freundin. Als sie vor über 50 Jahren im Kindergartenalter war, wurde ihr weißer Vater nochmal in die USA zurück beordert. Ihre deutsche Oma gab ihrer Enkelin eine dunkelhäutige Babypuppe zu der hellhäutigen, die sie schon besaß mit. In der Erwartung, das ihre Enkelin in Alabama vielen Afroamerikaner, den damals üblichen Begriff möchte ich nicht benutzen, begegnen wird. In dem Südstaaten-Staat angekommen, wurde ihr von ihrer weißen us-amerikanischen Oma die neue Puppe abgenommen und angewidert in den Mülleimer gesteckt. „Mit sowas spielen wir hier nicht!“, war die Begründung. Meine Freundin hat diesen Akt praktizierten Rassismus nie vergessen. Offensichtlich war ihre deutsche Verwandtschaft da schon weiter.
Die beanstandete Blechfigur illustriert das denken der Menschen wie es lange im 20. Jahrhundert und davor in Europa und Amerika vorherrschend war. Die Irritation der us-amerikanischen Besucherin durchaus nachvollziehbar. Gleichwohl halte ich es für richtig die Figur weiterhin auszustellen. Selbstverständlich mit einem erklärenden Hinweis auf den historischen Kontext.
Björn Thieme, Uhrmachermeister in Lüneburg
12 / 7 / 2021 | 1:28
in Ergänzung:
Eine ähnliche Figur ist der „Man-da-rin“ (ich hoffe ich schreib es richtig).
Es stellt zwei traditionell gekleidete Chinesen da, die eine Sänfte tragen in der ein prächtig gekleideter Chinese sitzt und den vorderen Träger antreibt. Es gibt ein Chinabild wieder, welches von Vorurteilen geprägt war.
Bert
17 / 7 / 2021 | 5:07
In meiner Kindergartenzeit in den 1950-er Jahren besuchte ich einen von katholischen Schulschwestern in Nonnentracht geführten Kindergarten im oberfränkischen Forchheim.
Dort war eine Missionsspardose aufgestellt, in die man Geldmünzen als Spende einwerfen konnte. Dabei handelte es sich um einen sogenannten ‚Nickneger‘. Das war eine junge, männliche, knieende Person mit dunkler Hautfarbe und gefalteten Händen, die über einen Mechanismus jedes Mal bei einem Geldeinwurf dankbar den Kopf nach unten bewegte. Man sammelte Spenden für eine zu missionierende Bevölkerung. Irgendein erbaulicher Spruch war noch angebracht; in etwa derart: ‚Ich war ein armer Heidensohn, nun kenn ich meinen Heiland schon.‘
Für mich hatte das damals einen gewissen Spielzeug-Charakter. Und für 21,- DM war es damals möglich, ein Kind in Afrika auf einen gewünschten Namen taufen zu lassen. Darüber bekam man sogar eine Art Spenden-Urkunde mit Foto des Kindes.
Wie sollten Museen mit rassistischem Spielzeug umgehen? – kulturgutspiel.de – Magazin für Spielkultur
28 / 1 / 2022 | 6:54
[…] Museumsblog erläutert Falkenberg die Hintergründe zur Blechfigur des Anstoßes. Sie schreibt: „Das Wort […]