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22 / 10 / 2020

Wie wäre es mit einer kleinen Spende?

Der Fälscher und Künstler Christian Ludwig Kaulitz

Künstler und Verbrecher – manchmal liegt zwischen den beiden Karrieren nur ein schmaler Grat. Der mittellose Karl May etwa hielt sich in jungen Jahren mit Diebstählen über Wasser, Caravaggio war ein verurteilter Mörder, und um den Nürnberger Bildhauer Veit Stoß kam es wegen eines gefälschten Dokuments im 16. Jahrhundert bekanntermaßen zu einem riesigen Skandal. In Nürnberg ist aber auch noch ein anderer Künstler bekannt, der als Fälscher und Betrüger gleich so erfolgreich war, dass er trotz seines enormen Talents fast sein halbes Leben lang hinter Gittern verbringen musste. Sein Name: Christian Ludwig Kaulitz.

Eine Kindheit in schwierigen Verhältnissen

Kaulitz wurde 1693 in Berlin geboren. Sein Vater, Joachim Kaulitz, war ein königlich-preußischer Kunstmeister (sprich: Ingenieur), der sich um die örtlichen Wasserwerke kümmerte. Wohl mit dem Hintergedanken, der junge Christian Ludwig würde irgendwann einmal seine Nachfolge antreten, weihte der Vater seinen Sohn schon im Kindesalter in die Geheimnisse der Mathematik ein. Leider machte ihm das Leben einen Strich durch die Rechnung: 1707 starb Joachim Kaulitz und ließ den gerade einmal 15-jährigen Christian Ludwig mehr oder weniger mittellos zurück. Er kam bei Verwandten unter und hielt sich die nächsten Jahre finanziell eher schlecht als recht als Bernsteinschneider über Wasser.

Mit 17 Jahren kam Kaulitz dann wegen einiger kleinerer Diebstähle das erste Mal ins Gefängnis. Lange hielt er es dort jedoch nichts aus: Bereits nach einem halben Jahr gelang ihm die Flucht, und er schloss sich als Ingenieur dem Schwedischen Militär an. Während des Großen Nordischen Kriegs nahm er an mehreren Schlachten teil, wurde von den Dänen gefangen genommen und nach einem Jahr schließlich wieder auf freien Fuß gesetzt. Nach seiner Entlassung schlug sich Kaulitz als Bettler durch, ehe er die Bekanntschaft eines Hochstaplers machte, der, sagen wir, ein gewisses Talent in dem Jungen sah. Und in der Tat: Innerhalb weniger Tage erlernte Kaulitz das Fälschen von Dokumenten und das Nachgraben von Siegeln – so perfekt, dass seine Fälschungen selbst für geübte Augen nicht mehr von den Originalen zu unterscheiden waren.

Diese Zeichnung zeigt den Blick auf das Heilig-Geist-Spital aus dem Fenster seines Gefängnisses.

Der richtige Dreh…

Mit diesem Rüstzeug in der Tasche begab sich Kaulitz nun auf große Wanderschaft. Sein Weg führte ihn quer durch Schlesien, Polen, Böhmen, Mähren, Ungarn, Österreich und die Steiermark. Sein Ziel: Kirchen und Klöster. Wo auch immer Kaulitz anlangte, zauberte er ein perfekt gefälschtes Empfehlungsschreiben irgendeines wohlbekannten Kardinals oder Bischofs aus dem Hut und gab an, er würde zum Wohle dieses oder jenes verarmten/abgebrannten/ausgeraubten Klosters (zutreffendes bitte ankreuzen) im Auftrag des Unterzeichneten eine Kollekte einsammeln. Ob man sich nicht mit einer kleinen Spende beteiligen wolle?

Wie dreist sein Vorgehen bisweilen war, beweist eine Episode aus dem schlesischen Heinrichsau. Der Prälat des örtlichen Zisterzienserklosters ließ sich von Kaulitz auf Teufel komm raus nicht dazu bewegen, mehr als einen Gulden für eine Stockholmer Kirche zu spenden. Kaulitz trug den einsamen Gulden pflichtschuldig in sein Kollektenbuch ein und ließ ihn sich quittieren. Dann änderte er die Summe flugs auf zweihundert Gulden – samt Siegel und allem – und ging mit seinem Buch in ein benachbartes Kloster. Als der dortige Abt sah, dass der als knauserig geltende Heinrichsauer Prälat eine solch beträchtliche Summe gegeben hatte, wollte er sich natürlich nicht lumpen lassen und gab Kaulitz selbst, zähneknirschend, einhundert Gulden. Hallelujah!

Christian Ludwig Kaulitz: Quodlibet auf den Tod des Weinhändlers Graff.

Vom Gauner zum Künstler

Von seinem Erfolg beflügelt – insgesamt ergaunerte sich Kaulitz im Laufe seiner Verbrecherkarriere wohl um die 4.000 Gulden – wurde er unvorsichtig. 1721 flog er schließlich im fränkischen Gräfenberg auf. In Nürnberg machte man ihm den Prozess. Das Urteil: lebenslänglich. Kaulitz wurde im Turmgefängnis auf dem Luginsland inhaftiert und 1731 in das Männereisen auf der Insel Schütt verlegt. Da Kaulitz dort mit seinen Fälscherfähigkeiten nicht viel anfangen konnte, verlegte er sich aufs Zeichnen. Außerdem arbeitete er als Schreiber und Kopist für die Stadt Nürnberg, der sein Talent für das originalgetreue Kopieren von Schriftstücken nicht entgangen war.

Während seiner dreiundzwanzigjährigen Haft erstellte Kaulitz eine ganze Reihe von hochwertigen Stadtansichten sowie Quodlibets für private Auftraggeber – die er sich angesichts seiner Situation in Wein bezahlen ließ. Eine seiner bekanntesten Zeichnungen zeigt den Blick von seinem Zellenfenster aus auf das Heilig-Geist-Spital. Die Qualität seiner Werke ist dabei unbestritten. Bereits 1793 beklagte Kaulitz‘ Biograf Hans Karl von Welser, welches Talent an ihm verloren gegangen ist: „Deutschlands Künstler-Reihe hätte gewiß eines ihrer ersten Glieder an ihm erhalten können, und sein Name würde dort eben so ehrenvoll stehen, wie er nun unter der feinsten Betrügerclasse mit Bedauern gezählt werden muß.“

Die meiste Zeit war Kaulitz im Männerschuldturm (auch Männereisen oder Faulturm genannt) an der Vorderen Insel Schütt inhaftiert.

Christian Ludwig Kaulitz starb am 1. Mai 1744 im Gefängnis; zumindest steht es so in einem Rechnungsbeleg des Gefängniswärters Johann Leonhard Teuffel – und zwar ganz zweifelsfrei und höchst offiziell in seiner eigenen Handschrift…


Dieser Beitrag basiert auf dem Artikel „Christian Ludwig Kaulitz“ von Theo Noll. Enthalten im Katalog „Der weite Blick. Nürnberger Panoramen aus sieben Jahrhunderten“, der zur gleichnamigen Ausstellung im Stadtmuseum im Fembo-Haus 2020 erschienen ist.
Eine Online-Version dieser Ausstellung wurde auch bei Google Arts & Culture veröffentlicht
Nürnberger Panoramen aus sieben Jahrhunderten

Bildnachweis für alle Fotos: Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg

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